Diskussion unter Markenmachern: Dr. Lutz Lange, „Rotkäppchen“ (rechts) wendet sich an Dr. Jakob Steiff (links), der  den Besuchern des Verpackungsdialogs einige Anekdoten aus dem Reich der Plüschbären mitgebracht hatte. Museumsdirektor Hans-Georg Böcher (in der Mitte) rieb sich aufgrund der herrlichen Geschichten vergnügt die Hände.

Diskussion unter Markenmachern: Dr. Lutz Lange, „Rotkäppchen“ (rechts) wendet sich an Dr. Jakob Steiff (links), der den Besuchern des Verpackungsdialogs einige Anekdoten aus dem Reich der Plüschbären mitgebracht hatte. Museumsdirektor Hans-Georg Böcher (in der Mitte) rieb sich aufgrund der herrlichen Geschichten vergnügt die Hände.

Wie immer war die kleine Museums-Kirche in der Heidelberger Altstadt voll besetzt. Erneut waren der Einladung des Verpackungsmuseums nicht nur hochrangige Gastredner gefolgt, die als Unternehmer für Markenfragen verantwortlich zeichnen, sondern es befanden sich auch im Publikum zahlreiche Geschäftsführer aus allen Bereichen der Markenartikel- und Verpackungsindustrie – darunter die Geschäftsführer namhafter Marken wie Teekanne, Capri-Sonne, Gerolsteiner. Die Moderation hatte wie in den Vorjahren der Direktor des Museums, Hans-Georg Böcher, übernommen. Nein, Lifestyle sei eigentlich kein Thema für eine Marke wie „Steiff Tiere“ betonte gleich zu Anfang Dr. Jakob Steiff. Da klinge immer etwas von Begriffen wie „Statussymbol“ mit, was nicht zu „Steiff“ passe, da die Marke mit dem berühmten „Knopf im Ohr“ auf eine intensive, teils lebenslange Verbindung zwischen Kind und Spielzeug abstelle und damit einen ganz besonderen, hoch emotionalen Produktnutzen anstrebe. Als Gesellschafter der Steiff-Beteiligungsgesellschaft, zu deren Tochterunternehmen auch die Margarete Steiff GmbH zählt, trägt Jakob Steiff keine direkte Geschäftsführungs-Verantwortung. Der in Giengen geborene Sohn von Friedhelm Steiff, dem Großneffen von Margarete Steiff, nahm denn auch die Zuhörer mit in einen mehr aus der Sicht der Unternehmer-Familie gehaltenen, launigen Vortrag, der wie gewünscht mit lebendig erzählten Anekdoten aufwarten konnte. Alles hatte mit der legendären Gründerin begonnen, Margarete Steiff (1847-1909), die – obwohl seit ihrer Kinderlähmung an den Rollstuhl gefesselt – das Unternehmen aus bescheidensten Anfängen alleine aufgebaut hatte. Die gelernte Näherin hatte nicht nur Kleidung gefertigt, sondern in einer Modezeitschrift das Schnittmuster eines kleinen Elefanten entdeckt, der als Nadelkissen dienen sollte. Das aus Filz gefertigte „Elefäntle“ bewies indessen bessere Eignung als frühes Spielzeug. Von hier bis zur Erfindung und Fertigung des ersten Plüschbären mit beweglichen Armen (dem legendären „Bär 55 PB“) war es ein weiter Weg. Was im TV-Film des SWR mit Heike Makatsch in der Hauptrolle zu sehen war, sei so auch in Wahrheit geschehen: Am letzten Tag der Leipziger Muster-Messe kam ein amerikanischer Händler an den Stand, der gleich 3.000 Stück von dem Plüschbär bestellte – der rettende Auftrag! In den USA wurde daraus ein großer Erfolg, zumal man das Erzeugnis mit dem Namen des amerikanischen Präsidenten Theodore „Teddy“ Roosevelt assoziierte, der als Bärenliebhaber galt. Mit dem 1902 entwickelten „Teddy-Bär“ war ein Konsum-Standard geboren. Nur vier Jahre nach dessen Markteinführung, im Spitzenjahr 1907, stellen 400 Mitarbeiter und 1.800 Heimarbeiter 974.000 Teddybären und viele andere Spielzeugartikel her.

Dr. Jakob Steiff, der Geschäftsfüher des gleichnamigen Teddy-Imperiums, geizte nicht mit Einblicken in sein Unternehmen.
Dr. Jakob Steiff, der Geschäftsfüher des gleichnamigen Teddy-Imperiums, geizte nicht mit Einblicken in sein Unternehmen.


Die Verpflichtung auf Qualität sei bis heute ein wesentliches Leitbild, betonte Dr. Jakob Steiff. Hatte doch einst Margarete Steiff selbst den – für die seinerzeit ja bescheidenen Zeiten revolutionären – Satz geprägt: „Für Kinder ist das Beste gerade gut genug.“ Das Publikum zeigte sich erstaunt angesichts dieser aus der Zeit springende, vorausschauende Wertschätzung der kindlichen Erlebniswelt.

Begegnung mit einem vertrauten Familienmitglied

Mit Braumeister und Stiefvater Dieter Leipold als Partner, dem zweiten Ehemann der Mutter und eigentlichen Erfinder, entwickelte Peter Kowalsky (Foto) das Öko-Brausegetränk Bionade. Ab 1997 war Kowalsky Geschäftsführender Gesellschafter der Bionade International GmbH, verantwortlich für die Forschung, Entwicklung und Marketing.
Mit Braumeister und Stiefvater Dieter Leipold als Partner, dem zweiten Ehemann der Mutter und eigentlichen Erfinder, entwickelte Peter Kowalsky (Foto) das Öko-Brausegetränk Bionade. Ab 1997 war Kowalsky Geschäftsführender Gesellschafter der Bionade International GmbH, verantwortlich für die Forschung, Entwicklung und Marketing.

Kinder sollten als Zielgruppe das Bindeglied zur nächsten Marke darstellen. In der Überleitung sprach Böcher davon, dass man nun einem „vertrauten Familienmitglied“ begegne. Schließlich sei „Brandt Zwieback“ eine ikonische Marke. Er wolle gar keine Präsentation halten, sagte der mit großem Anfangsapplaus begrüßte Unternehmer Carl Jürgen Brandt. Vielmehr wolle er seinen Zuhörern, die er launig als „liebe Kundinnen und Kunden“ begrüßte, einfach locker „en passant“ etwas aus seiner Familie erzählen. „Familie“ sei dabei durchaus gleichzusetzen mit „Brandt“, Familie sei gleich „Zwieback“, sei gleich „unsere Verpackung“. Zu Beginn seines Vortrages erläuterte er die Analogie der Verpackung mit der Kleidung. Kleidung erfülle ja mehrere Funktionen. Als Beispiel nannte der passionierte Jäger seine Jagdkleidung, die ihm – der guten Qualität wegen – seit Jahren treue Dienste im Wald leiste. Kleidung müsse wärmen, haltbar sein, diene aber auch der Erkennung. Genauso müsse Verpackung mehrere Funktionen erfüllen. Sie sei vielleicht etwas mit den Uniformen zu vergleichen, die wichtige Orientierungsfunktionen nach außen zu leisten haben und hatten.

Der Firmengründer, sein Vater Carl Brandt (1886-1965), war gelernter Bäcker und Konditor. In der Kleinstadt Haspe (heute Hagen-Haspe) meinte dieser zunächst, nicht reüssieren zu können. So ist der Bäcker als Schiffskonditor zur See gefahren. Viele Male fuhr er mit dem Norddeutschen Lloyd (Bremen) von Southampton nach New York und zurück.

„Die Geschichte fing auf dem Schiff an“, sagte sein Sohn (in Anspielung auf den Schiffszwieback), „zumindest in Amerika“. Carl Brandt wurde persönlicher Leibkoch von Henry Ford I. Beeindruckend fand er die Erkenntnis, dass da ein Unternehmer lebte, der „den gleichen Namen hatte wie ein Auto“. Das schwebte ihm für seine Erzeugnisse auch vor. Brandt wollte in den USA bleiben und hatte in Detroit bereits ein Grundstück erworben. Im Zuge der Schwierigkeiten um die Generationennachfolge jedoch wurde der in USA (Detroit) lebende Vater des Vortragenden mit einem Telegramm aufgefordert, doch unbedingt zurückzukommen, da zuhause „alles in Flammen“ aufginge. Der Bäcker setzte sich wieder aufs Schiff (natürlich in der Schiffsküche, wie sein Sohn betonte), kehrte wie gewünscht zurück und übernahm die kleine Bäckerei in der Hammerstraße in Hagen-Haspe. Im Kopf jedoch schwebte ihm die bei Henry Ford beispielhaft gesehene und erlebte Etablierung einer eigenen Marke vor, die im Idealfall auch den eigenen Namen einmal berühmt und weithin bekannt machen werde.

Dr. Lutz Lange machte „Rotkäppchen“ zu einer erfolgreichen gesamtdeutschen Marke.
Dr. Lutz Lange machte „Rotkäppchen“ zu einer erfolgreichen gesamtdeutschen Marke.


Der Gründer Carl Brandt war kein Freund der neumodischen Werbung gewesen. Der Pionier war sich einst sicher: „Das Beste, was ich habe, ist mein Markenauftritt, meine Verpackung.“ So ließ er um 1960 eine Flotte von 84 großen Lastwagen (natürlich der Marke Ford) mit seinem Packungsmotiv herumfahren. Jeden Monat wurden zu Marketing-Zwecken beachtete Korso-Fahrten von Hagen über Dortmund, Bochum, Essen und wieder zurück durchgeführt. Seine Verpackung liebte er. Und so bestand der Gründer darauf, wenn er einmal nicht mehr da sei: „Die Tüte darf sich nicht verändern.“ Natürlich waren Veränderungen am Markendesign nicht zu vermeiden, das sich immer ein wenig dem Zeitgeschmack unterordnete. Insbesondere um die Auswahl des geeigneten Kindergesichts ranken sich allerlei Anekdoten, mit denen Carl Jürgen Brandt, der 1946 zur Welt kam, für große Heiterkeit im Auditorium sorgte. Eine Umstellung sollte um 1950 auf Wunsch seiner Mutter eigentlich mit der Abbildung seines eigenen Kindergesichts verbunden werden. Er sei als Kind aber offenbar als nicht werbewirksam genug angesehen worden. Vermutlich habe er wohl „wie ein Trostpreis“ ausgesehen, flachste der Unternehmer scherzhaft. So wurde statt seiner der Sohn eines Vertreters ausgewählt, der allerdings unter der ungewollten Berühmtheit durchaus zu leiden hatte. „Da kommt unser Zwieback“ wurde der Junge gehänselt, dessen Gesicht dann von der Packung genommen werden musste. Vermutlich packe der keinen Zwieback mehr an, mutmaßte Brandt verständnisvoll.

Eine Umstellung nun, die sicher nicht die Zustimmung seiner verstorbenen Mutter gefunden hätte, sei die Umstellung vom Mehrlagenbeutel auf die Faltschachtel gewesen, die rein ökonomisch begründet war. Die Schachtel erhöhte die Stapelfähigkeit des Produktes enorm, verbesserte die Auslastung der Lieferkette und stellte einen noch größeren Produktschutz sicher. Zudem wurde der Packungswechsel mit dem Zeitpunkt des Weggangs der Fabrik und dem Neuaufbau einer automatisierten Fabrikation in Ostdeutschland verbunden.

Brandt und Zwieback: das ist bis heute im Gleichklang zu nennen. Carl Jürgen Brandt sagte ganz offen, dass die Verpackungsumstellung vom Mehrlagenbeutel auf Faltscchachtel sicher nicht die Zustimmung seiner verstorbenen Mutter gefunden hätte. Die Umstellung sei rein ökonomisch begründet gewesen.
Brandt und Zwieback: das ist bis heute im Gleichklang zu nennen. Carl Jürgen Brandt sagte ganz offen, dass die Verpackungsumstellung vom Mehrlagenbeutel auf Faltscchachtel sicher nicht die Zustimmung seiner verstorbenen Mutter gefunden hätte. Die Umstellung sei rein ökonomisch begründet gewesen.

Für die Marken-Kommunikation indes brachte dies Schwierigkeiten, da man eine Ikone verändert hatte. „Man sollte das eigentlich nicht machen. Und das haben wir auch gemerkt.“ Brandt räumte ein, dass es viele Stimmen gab, die das „Weg von der Tüte“ kritisierten. Die knisternde Haptik des Beutels war mit der Schachtel verloren gegangen. Auch vermissten Kunden nun die gewohnten Bruchstücke, die Brandt „Knippchen“ nannte. „Das ist nicht mehr unser Produkt“ sei eine viel gehörte Stimme gewesen. Dennoch sei die Entscheidung strategisch begründet und richtig gewesen. Emotional jedoch trauere auch er dem Beutel ein wenig nach. Und so sei es keineswegs ganz ausgeschlossen, dass es dereinst einmal ein Sonderprodukt geben könne, das wieder im Beutel verpackt sei.

Fall der Mauer läutet neues Kapitel der Erfolgsgeschichte ein

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Um Markenstärke „im Wandel der Lebensstile“ sollte es dann im nächsten Vortrag gehen. Seit 1975 ist Dr. Lutz Lange mit der Marke „Rotkäppchen“ verbunden. Der langjährige Marketing-Vorstand hätte es sich als junger Angestellter in DDR-Zeiten nie träumen lassen, dass er später einmal – nach einem „Management Buy Out“ – zu einem der Gesellschafter des Unternehmens werden würde. Zu Beginn erinnerte er an ein Jubiläum: Genau 25 Jahre seien nun seit dem Fall der deutschen Mauer vergangen, einem Ereignis, das ein neues Kapitel für die Erfolgsgeschichte der Marke aufschlug.

Angefangen hatte alles mit der Gründung einer Champagner-Fabrik-Gesellschaft in Freyburg an der Unstrut im Jahre 1856. In der Einladung zur Gründungsversammlung dieser AG hieß es damals: „Die Mousset-Fabrikation ist allbekannt und unbestritten der sicherste und einträglichste Zweig des Weingeschäftes, und der Genuss der moussierenden Weine hat in den letzten Jahren so beträchtlich zugenommen, dass noch viele große Fabriken entstehen müssen, um den Bedarf zu decken.“

Die Brüder Moritz und Julius Kloss gründeten im September desselben Jahres 1856 zusammen mit ihrem Freund Karl Förster, alle gemeinsam in der Leitung der Aktien-Champagnerfabrik, ein Weingeschäft. Nur wenige Jahre später ging die Aktiengesellschaft in Konkurs. Die drei Gründer konnten 1866 die Immobilie und das Inventar der Aktiengesellschaft übernehmen, welche zum Standort des nun neu gegründeten Unternehmens Kloss & Förster wurden. Die Sektkellerei hat ihren traditionellen Standort gefunden, und bis heute behalten. Als wichtigste Marke entwickelte sich ab 1866 zunehmend Kloss & Förster „Monopol“. Ganz offensichtlich hatte hierfür die französische Champagner-Marke „Monopol“ des Hauses Heidsieck aus Reims Pate gestanden. Nicht nur der Name, auch die Aufmachung wurde kopiert. Sah doch der Auftritt des deutschen Champagners mit einer weinroten „Kappe“ dem französischen Vorbild zum Verwechseln ähnlich. Gewissermaßen war der „Monopol“ von Heidsieck Teil des „Erbguts“ der Marke geworden, wie Dr. Lange scherzhaft bemerkte.

Mit dem „Gesetz zum Schutz der Warenbezeichnungen“, das am 1. Oktober 1894 in Kraft trat, änderte sich der Rechtsschutz in Deutschland erheblich. Nun waren auch reine Wortmarken geschützt. Sofort schlug das Champagnerhaus Heidsieck, das die Wortmarke „Monopol“ seit 1846 führte, gegen die Hauptmarke „Monopol“ von Kloss & Förster zu. Die Freyburger Kellerei verlor den Prozess. Die etablierte Wortmarke war verloren, jedoch die rotlastige Ausstattung durfte fortgeführt werden, was offenbar schwerer wog. Was lag näher, als dem Sekt mit der roten Kappe den anspielungsreichen Namen „Rotkäppchen“ zu geben. Endlich hatte das Produkt einen deutschen Namen. Umgehend, nämlich schon am 20. Februar 1895, wurde die Wortmarke „Rotkäppchen“ als Warenzeichen zum Schutz angemeldet. Der Eintrag erfolgte am 15. Juli 1895 unter der WZ-Nummer 8311. Rotkäppchen gehört damit zu den ältesten geschützten Marken der deutschen Historie.

Der Absatz wurde durch den Verlust der Wortmarke übrigens kaum beeinträchtigt. Hierfür mag ein Grund in der hohen öffentlichen Wahrnehmung gelegen haben. Die rechtliche Niederlage der deutschen Kellerei gegen die Franzosen schmerzte das Publikum. Selbst der Kaiser machte keinen Hehl aus seinen Sympathien für den Sekt aus Freyburg. Und ganz offenbar war damals bereits – ähnlich wie heute – die gleichbleibende Verpackung, also die Optik des visuellen Markenauftritts ein dominierender Faktor für die Marken-Erkennung. Natürlich lag ein gewisser Pfiff in der augenzwinkernden Verwendung des Märchenbegriffs. Was war nun der Grund für den Aufstieg der Marke: Die mediale Aufmerksamkeit durch den Rechtsstreit? Die Tatsache, dass in der vom Champagner bestimmten Welt der Sekte ein deutscher Sekt nun einen „urdeutschen“ Namen trug, also emotionale Innovation? Oder die angestammte Leitfarbe Rot, die im Sinne der Farbpsychologie emotional wirksam wurde?

Machen wir einen zeitlichen Sprung: Da es in der DDR-Wirtschaft offiziell Festpreise gab, weil es im Sozialismus keine Preiserhöhungen geben durfte, wurden Sondererzeugnisse aufgelegt. Sie trugen – inmitten der Tristesse der DDR – so klangvolle Namen wie „Grand Mousset“, „Carte blanche“, „Carte noir“, „Cuvée 60“. So hatte man 1989 zur Wende über 26 verschieden lautende Sekterzeugnisse. Der Inhalt war immer der gleiche, nämlich Sekt. Der Staat gab die neuen, erhöhten Preise vor. Die gewünschte emotionale „Erhöhung des Gebrauchswertes“ musste die Kellerei dem Staat mit viel Kreativität liefern.

In der DDR stand Rotkäppchen für das Lebensgefühl des Besonderen. Jeder familiäre oder geschäftliche Anlass wurde mit Rotkäppchen gefeiert, das als Inbegriff von Sekt galt. „Ob Kindtaufe, Jugendweihe, Hochzeit, Brigadefeier, Geschäftsabschluss: Wenn es mit Freunden oder Familie etwas zu feiern gab, dann durfte das auch etwas kosten“, so Lange. Der Preis von 17 bis 23  Mark der DDR für eine Flasche Sekt war zwar beträchtlich, tat der Nachfrage aber keinen Abbruch. Sie überstieg bei Weitem das Angebot. Nur zur Erinnerung: Ein durchschnittliches Monatseinkommen lag etwa bei 1.000 Mark.

Rotkäppchen Sekt war Ausdruck eines ganz besonderen Lebensgefühls, das trotz der hohen Preise regelrecht danach gierte, sich etwas Gutes zu tun, sich das Besondere zu gönnen. Und so hatte diese Marke auch am „denkwürdigsten Tag der jüngeren deutschen Geschichte“, wie Dr. Lange den Tag des Mauerfalls am 09. November 1989 nannte, „noch einmal seinen letzten großen Auftritt in der zu Ende gegangenen DDR“. Dr. Lange zeigte ein Foto der Feiernden auf der Mauer, die sich im Freudentaumel mit einer Flasche Rotkäppchen Sekt auf die Mauerkrone begeben hatten. Viele zogen mit Rotkäppchen in der Hand nach West-Berlin.

Auf den Freudentaumel folgte „das nüchterne Erwachen in der neuen Realität“. Für den Neuanfang der Marke in der vereinten Bundesrepublik wurden einige Wei-chen instinktiv wohl richtig gestellt. Kühn sei die Entscheidung gewesen, sich vom Druck der hohen Lagerbestände nicht verführen zu lassen, den Sekt allzu zu günstig zu positionieren. Vielmehr wollte man eine DM mehr als das günstigste Erzeugnis im Sekt-Segment erlösen. Da viele Verbraucher nach der Wende der irrigen Meinung waren, dass die Sektmarke eine genuine Erfindung der DDR gewesen sei, sei es klug gewesen, sich im Kontrast hierzu auf die hundertjährige Historie der Marke besonders stark einzulassen. Gerade weil die angestammte rote Farbe des Markenauftritts ja „einer bestimmten politischen Richtung“ zuzuordnen war, sollte die Kommunikation bewusst nicht an die DDR erinnern, sondern (ohne Ostalgie) auf die gesamthafte Klassizität der Marke einzahlen. Mit den ersten Einnahmen wurden die historischen Räumlichkeiten der Kellerei, die die Gründungs- und Gründerjahre visuell erlebbar machten, umfassend renoviert. Hier wurden Besuchergruppen geführt. „Wir vermieden es, uns als Ostprodukt zu outen. Wir wollten ja nicht aus Mitleid gekauft werden.“ In den Jahren nach 1992 verdoppelten sich die Absatzzahlen jährlich. „Der Rest war professionelles Marketing mit allem, was dazugehört“.

Ebenfalls vom Wettbewerb unterschätzt wurde eine aufsteigende Marke, die das Thema des nächsten Vortrags war. Peter Kowalsky, der mit seinem Vortrag für das Ende des Tages angekündigt wurde, fing gleich mit einem Kalauer an: „Der Mann fürs Ende, vielen Dank! So ähnlich sehen das die Oetkers auch.“ Er selbst sei Brau-Ingenieur, 47 Jahre alt. Seine Mutter hatte das elterliche Unternehmen geerbt, eine kleine Brauerei in der Rhön, die etwa 15 Mitarbeiter hatte. Auf einem Foto zeigte er die Macher von Bionade: „Das ist meine Familie, meine Mutter, der Herr Leipold, mein Bruder und ich. Und das sind die, die den Lifestyle gemacht haben und die es aber eigentlich gar nicht wussten. Und wir hatten es auch gar nicht vor. Wir waren eine kleine Brauerei in der Rhön. Und als kleine Brauerei in der Rhön nimmst Du Dir nicht vor, Lifestyle zu machen. Sowas kann Coca-Cola machen, die haben den Apparat dazu, aber als kleines Familienunternehmen willst Du etwas machen, was über Generationen hinweg trägt. Wir wollten alles machen, nur keinen Lifestyle. Warum gerade das dann zum Lifestyle wurde, das versuche ich heute zu erzählen. Man kann auch sagen: Das sind die vier Ahnungslosen.“ Dieter Leipold sei der Erfinder der Bionade gewesen, der die Idee hatte. Leipold hatte als Devise ausgegeben: „Wir wollen so groß werden wie Fanta.“ Einziges Problem: „Der wusste aber gar nicht, wie groß Fanta war. Und Fanta ist groß.“ Wenn man nicht weiß, was alles Schlimmes passieren kann, dann hat man keine Angst. Und wenn man nicht weiß, was alles nicht geht, geht mehr. Ziel sei es gewesen, ein Produkt für die einzige Gruppe herzustellen, die keine Lobby hatte: die Kinder. Wie Bionade zum Lifestyle wurde, lesen Sie in der nächsten Ausgabe der „neuen verpackung“ im Februar.

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