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Die Märkte verändern sich und Markenartikler, Agenturen sowie das produzierende Gewerbe stehen unter zunehmendem Wettbewerbsdruck. Durch steigende Anforderungen müssen Produktentwicklungen, Marketingkonzepte aber auch Einkaufsstrategien neu überdacht werden. Die Möglichkeiten zur Optimierung und die Potentiale des Beschaffungslandes China hat die „neue verpackung" beim Hong Konger Verpackungsspezialisten Christian Rommel kritisch hinterfragt.

neue verpackung: Inwiefern hat sich der Beschaffungsprozess deutscher Unternehmen in den letzten Jahren gewandelt?
Christian Rommel: Das Selbstverständnis des globalen Dorfes als Beschaffungsmarkt ist gewachsen und der internationale Einkauf ist heute nicht nur zwingende Notwendigkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und das liegt nicht nur am zunehmenden Kostendruck beim Hersteller durch höhere Betriebs- und Produktionskosten. Auch die steigende Anzahl englischsprachiger Webpräsenzen chinesischer Anbieter erleichtert den Direktzugang zum chinesischen Markt.

neue verpackung: Welche anderen Gründe haben diese Entwicklung forciert?
Christian Rommel: Neben Überkapazitäten in der deutschen Druckindustrie drängen Billiganbieter aus Osteuropa auf den hiesigen Markt. Die hohe Fertigungsqualität des Digitaldrucks und steigende Internetnutzung eröffnet Online-Druckereien neue Geschäftsfelder. Vor allem sind es jedoch sinkende Auflagenzahlen und höhere Spezialisierung durch zielgruppen-orientiertes Marketing, die die grafische Industrie vor neue Herausforderungen stellen.

neue verpackung: Wie bewerten Sie das „China-Sourcing" als eine der erfolgversprechendsten internationalen Beschaffungsstrategien?
Christian Rommel: Man muss zwei Bereiche unterscheiden: Die Pflicht besteht darin, unmittelbare Einsparungspotentiale bei technisch relativ einfachen Zukaufteilen, Halbfertigwaren und Standardprodukten zu erzielen. Die Kür fokussiert sich auf die Herstellung aufwändiger Produkte, die nicht nur funktional, sondern unter Marken- und Marketingaspekten auch besonders attraktiv sind. Dazu kommen Spezialanfertigungen mit individuellem Werkzeugbau - auch für Kleinauflagen. Innovative Verpackungen lassen sich in China deutlich ökonomischer entwickeln, bemustern und zur Serienreife bringen.

neue verpackung: Übersteigen die Risiken im Direktgeschäft mit Fernost nicht die Vorteile?
Christian Rommel: Eindeutig nein, wenn man klare Grundsätze verfolgt. Chinesische Unternehmen nur nach ihren Webseiten, Messeauftritten oder Firmenbroschüren zu bewerten, wäre fatal. Hier werden oft nur perfekte Fassaden aufgebaut, die der Realität nur selten entsprechen.
Es sollten Angebote nur in Verbindung mit kundenspezifisch hergestellten Mustern bewertet und verglichen werden, da große Preisunterschiede zumeist auch durch große Qualitätsunterschiede entstehen. Drittens müssen Qualitäten und Kontrollen klar definiert werden. Ohne eigene Mitarbeiter vor Ort, die die Abnahme machen, wird es immer Ärger geben, wenn der Container in Deutschland eintrifft und das Ergebnis nicht den Vorstellungen entspricht. Chinesen werden vielleicht kostenfrei nachfertigen, wenn das gelieferte Produkt nachweislich Fehler aufweist. Aber sie werden kein Geld zurückzahlen und die hohen Luftfrachtkosten, um die Nachlieferung schnell nach Deutschland zu bringen, geht praktisch immer aufs Konto des Kunden. So können sich Einsparungspotentiale schnell ins Gegenteil verkehren, wenn man im Vorfeld den falschen Lieferanten gewählt hat und Geld für Produktionsüberwachung und Qualitätskontrolle sparen wollte.

neue verpackung: Welche Rolle spielt die Besonderheit der chinesischen Kultur innerhalb der Geschäftsbeziehung beim China-Sourcing?
Christian Rommel: Die interkulturelle Kompetenz wird sowohl über- als auch unterschätzt. Der lächelnde Chinese, der nie laut wird und nie sein Gesicht verliert, ist ein falsches Klischee. Natürlich ist Sensibilität und Anpassung an die Kultur des deutschen Geschäftspartners wichtig, aber man sollte sich nicht verbiegen. Wichtiger ist es, Geduld und Toleranz mitzubringen und erst mal nur zu schauen und zuzuhören. Nicht sofort nach den Unterschieden suchen und glauben, man könne alles besser. In China wird anders gedacht und gearbeitet als bei uns, was schnell zu großem Unverständnis führen kann. Doch es gibt für alle Unterschiede sehr gute Gründe, die sich dem Deutschen selten auf Anhieb erschließen. Zu glauben, mit missionarischem Eifer dem Chinesen jetzt mal die Welt erklären zu können und ihm zu sagen, wie er alles besser und richtig macht, ist absolut verkehrt und wird nicht funktionieren.

neue verpackung: Welcher Weg ist Ihrer Meinung nach am
geeignetsten, die richtigen Lieferanten ausfindig zu machen?
Christian Rommel: Schnelle Kontakte über Suchmaschinen wie Alibaba führen selten zum gewünschten Ergebnis, da Sein und Schein in China eng beieinander liegen. Einen zuverlässigen Partner findet man eher über direkte Kontakte bestehender Lieferanten und durch Empfehlungen von Universitäten, Fachvereinigungen oder gar Ministerien. In jedem Fall sollte im Vorfeld besser mehr Zeit und Geld für eine akribische Recherche in chinesischer Sprache investiert werden, was sich mittelfristig schnell rechnet.

neue verpackung: Wie kann man aus der unüberschaubarenAnzahl potentieller Lieferanten den für das eigene Unternehmen richtigen Partner herausfinden?

Christian Rommel: Die Lieferantenauswahl erfolgt nach anderen Kriterien als in Deutschland. Beispielsweise ist Größe und Modernität oftmals weniger wichtig als Flexibilität des Unternehmens und persönlicher Einsatz der Ansprechpartners. Wir haben ein mehrstufiges Raster und Auswahlverfahren entwickelt, das sich nach über zehn Jahren als recht zuverlässig erwiesen hat: Als erstes kommt die klassische Online-Recherche auf Englisch und Chinesisch neben den oben erwähnten persönlichen Empfehlungen. Nach der Auswertung der Webseiten oder Firmenbroschüren sortieren wir Firmen anhand eines Profils zu Größe, technischer Ausstattung, Exporterfahrung etc. Nach der qualitativen Analyse von Standardmustern bzw. Referenzprodukten erfolgt eine dezidierte Anfrageprozedur und die Bestellung kundenspezifischer Muster samt Vergleichen und Auswertung in punkto Preise, Leistung, Qualität und Lieferzeit. Mehrere Anrufe dienen neben Emailverkehr dazu, das Kommunikationsverhalten zu überprüfen. Es folgt ein Besuch der Produktionsstätten und aller Subunternehmer zur Kontrolle der Angaben. Das betrifft vor allem interne Qualitätskontrollsysteme.

Sich persönliche Eindrücke über das Unternehmen und die chinesische Kontaktperson zu verschaffen, sind ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg. Gespräche mit dem Firmenchef zum Aufbau persönlicher Beziehung sollte grundsätzlich vor jeder Auftragsplatzierung stattfinden. Präsenz ist essentiell. Es ist sinnvoll, kleine identische Testaufträge parallel bei verschiedenen Anbietern zu platzieren, bevor man sich gemäß klaren Bewertungskriterien für einen Hauptlieferanten entscheidet. Für diese ganze Prozedur ist eigenes, kompetentes, chinesisches Personal vor Ort absolut unverzichtbar.

neue verpackung: Mit welche Schwierigkeiten muss bei Verhandlungen mit chinesischen Lieferanten gerechnet werden?
Christian Rommel: Chinesen wollen einfache, ihnen bekannte Artikel in großer Stückzahl zum günstigen Preis, aber auf niedrigem Qualitätsniveau produzieren. Deutsche wollen kundenspezifische Produkte, die vielleicht erst noch entwickelt werden müssen, in kleiner Stückzahl in bester Qualität haben. Zielsetzung, Erwartungshaltung und Realität sind selten identisch und führen zum gegenseitigen Frust. Meist sagen die Chinesen „Ja, wir können es", meinen jedoch „Wir versuchen es mal". Das Ergebnis ist gerade bei qualitätskritischen Druck- und Verpackungsprodukten selten so, wie der deutsche Kunde es sich vorstellt.

neue verpackung: Ist der bürokratische Aufwand des China-
Sourcings mit Deutschland vergleichbar?
Christian Rommel: Es wird schwieriger eingeschätzt als es wirklich ist. Viele Abwicklungen sind wesentlich unbürokratischer als bei uns, aber es gibt auch viele rechtliche Grauzonen, z. B. im Bereich Exportlizenzen, Mehrwertsteuer-Deklaration und Exportdokumente. Man muss den „chinesischen Weg" akzeptieren, der für Deutsche oftmals weder logisch nachvollziehbar noch kontrollierbar ist. Da fühlt der Deutsche sich unsicher und um das zu vermeiden, benötigt er einheimisches Personal, dem er absolut vertraut und das loyal ist.

neue verpackung: Als wie zuverlässig lassen sich Qualitätskontrollen einschätzen?
Christian Rommel: Das internationale AQL-System ist auch in China als Qualitätsinstrument bekannt und akzeptiert. Wichtiger ist es aber, vorher eine klare Qualitätsrichtlinie aufzusetzen und mit den Lieferanten durchzusprechen.

1. Vorbereitung: Maschinenwartung, Reinigung der Arbeitsplätze, Wareneingangskontrolle.

2. Toleranzen: Grenzmuster festlegen, Zwischenkontrollen abstimmen.

3. Abnahme: Bewertungskriterien erklären, beschreiben, bemustern, bildlich darstellen.

4. Überwachung: eigene Qualitätskontrolleure vorstellen und ständig involvieren.

5. Absprache: regelmäßige Absprachen über Produktionsfortgang mit Lieferanten.

6. Angleichung: nicht nur eigene Maßstäbe ansetzen, sondern auch Kompromisse eingehen.

7. Auswertung: Grundlagen schaffen für Folgeaufträge, auch im gegenseitigen Verständnis.

neue verpackung: Welche durchschnittlichen Kosteneinsparungen lassen sich in China erzielen?
Christian Rommel: Je nach Produkt, Fertigungstechnologie und Qualitätsniveau zwischen 0 - 50 %. Ein maschinengefertigtes Standardprodukt wie eine A4-Firmenbroschüre in 4c kostet in Shanghai genausoviel wie in Gelsenkirchen. Mit speziellen Werkzeugen in Kundendesign erstellte Festkartonagen mit verschiedenen Veredelungsstufen, Griffen, integrierten Magnetverschlüssen und tiefgezogenen Einlagen würden weniger als die Hälfte des deutschen Preises kosten, sofern man solche Produkte überhaupt in Deutschland fertigen könnte. Über alles gerechnet ist ein Einsparungspotential von 20-30 % realistisch. Das beinhaltet bereits die Frachtkosten.

neue verpackung: Welche konkreten Produkte können Sie uns
nennen, bei denen sich das Potential Chinas für Unternehmen der Papier- und Kartonindustrie ausschöpfen lässt?
Christian Rommel: Klassische Faltschachteln lohnen abgesehen von der verlängerten Zeitschiene durch den Seetransport überhaupt kein Engagement in China, es sei denn, die Befüllung erfolgt ebenfalls dort. Interessant sind vor allem Produkte, die nicht vollautomatisch und maschinentechnisch herzustellen sind, wie z. B. aufwändige Boxen, Schuber, Buchrücken, Mappen, Displays und Feinkartonagen und Etuis. Bezogene Festkartonagen im Materialmix in besonderen Größen, Formen, Konstruktionen, Öffnungs- und Verschlusstechniken mit Einlagen aus Kunststoff, Karton oder Schaum, mehreren Veredelungsstufen wie Sonderfarben, Prägungen oder Stanzungen und zusätzlichen Accessoires wie Griffe, Schleifen oder Fenster.

Und die gesamten elektronischen Zusatzapplikationen wie Musik, Licht, Bewegung und Video sind für den Display-Bereich und POS-Produkte enorm wichtig. Also überall dort, wo der Mensch Hand anlegen muss und das Produkt kein billiger Massenstandard ist, sondern das gewisse Extra besitzen soll, das die Augen des Konsumenten zum Leuchten bringt, führt an China kein Weg vorbei.

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