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Altwerden ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Vor allem in einer Welt, deren Industrie bis dato vor allem für junge Generationen entwickelte und produzierte. Nun, so scheint es, sind die Zeiten vorbei, in denen Unternehmen die Generation Ü50 ignorierten. Heute wissen die Marktteilnehmer um die Wichtigkeit der älteren Generation: diese wächst nicht nur stetig, sie besitzt auch eine hohe Kaufkraft. Oder wie es Alexander Wild auf den Punkt bringt: „An den Tatsachen des demografischen Wandels kommt heute niemand mehr vorbei. Die Jahre sind bereits gezählt, bis jeder Zweite in Deutschland über 50 Jahre alt sein wird. Für Unternehmen bringt diese Botschaft einer älter werdenden Gesellschaft neue Herausforderungen mit sich: Denn die Zielgruppe wächst - und verweigert sich hartnäckig allzu einfachen Pauschalbeschreibungen." Wild, Gründer und Vorstandsvorsitzender der Feierabend Online Dienste für Senioren AG, moderierte am 11. April die Konferenz „Kundenfreundliches Packaging" in München. Deren Ziel war es, in einer Art Rundumschlag, alle Beteiligten der Wertschöpfungs- und Konsumkette zu Wort kommen zu lassen: Von Designern, über Verpacker bis hin zu Vertretern der Zielgruppe selbst - den Rentnern.

In Japan sind Verpackungen altersgerecht konzipiert
Was in unseren Breitengraden langsam ins Bewusstsein kommt, das ist in Japan bereits gelebter Alltag: Ein Gros der Bevölkerung befindet sich bereits in fortgeschrittenen Semestern, 2011 verkaufte das japanische Unternehmen Unicharm mehr Windeln für Erwachsene als für Kleinkinder. Berechnungen zufolge sind 2055 annähernd 40 Prozent der japanischen Bevölkerung über 65 Jahre alt. Generell sind ältere Menschen im Land der aufgeheneden Sonne gesellschaftlich besser integriert als in Europa und Produkte sind altersgerecht konzipiert. Im Verpackungsbereich heißt das: Große Labels, klar erkennbare Laschen mit Richtungspfeilen. Was hierzulande eher spöttische Blicke fangen würde, gilt in Japan, wo auch unbelebten Dingen eine Seele nachgesagt wird, als ‚höfliche‘ Verpackung. Diese Selbstverständlichkeit ist es auch, die Japan bis dato noch vom Westen unterscheidet. Und genau hierfür macht sich Prof. Ursula Lehr, Bundesministerin a.D. und Vorsitzende der Bagso (Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen), stark. Die Keynote-Sprecherin der Veranstaltung und ihre Gemeinschaft suchen den Dialog zu Politik und Wirtschaft, und versuchen aufzuzeigen, dass in den entstehenden Altersstrukturen Potenziale für neue Märkte liegen. So helfen die „Feierabend-Scouts", eine Art Expertengruppe aus Senioren, der Industrie beim (Weiter-)Entwickeln ihrer Angebote. Sie weisen Unternehmen auf Alltagsschwierigkeiten hin, die sich den meist jungen Produktdesignern nicht von alleine erschließen. So haben ältere Menschen häufig Probleme, die Beschriftung einer Verpackung zu lesen. Sei es die reine Schriftgröße oder aber der Kontrast: Die Sehkraft von Senioren lässt nach und ein nicht-lesbarer Aufdruck kann bei gleichzeitig verfügbarer Alternative zum Ausschlusskriterium werden. Kaufentscheidend ist auch das verwendete Verschlusssystem. Vakuumverpackte Frischware, ein Marmeladenglas oder auch eine verkorkte Flasche Wein: Die im Alter nachlassende Feinmotorik und Kraft der eigenen Hand verlangt nach neuen, intelligenten Lösungen. Lehr betonte: „Altengerechtes Design schließt die Jugend nicht aus - aber jugendorientiertes Design schließt oft Ältere aus. Nötig ist ein Design für alle!" Das erkannte Dr. Gundolf Meyer-Hentschel, Vortragender und Mitglied des Programmbeirates, schon vor langer Zeit und gründete bereits im Jahr 1985 ein nach ihm benanntes Institut. Spezialität: Altern in Rekordzeit. Dafür entwickelten Meyer-Hentschel und sein Team sogenannte Alterssimulationsanzüge, die Jüngeren die Erlebniswelt eines Senioren erschließen. Einmal angezogen dämpft ein Helm Hör- und Sehkraft, Handschuhe und Ganzkörperanzug erschweren alltägliche Bewegungsabläufe. Ein Blickwechsel, der in der Vergangenheit schon den einen oder anderen Aha-Effekt bei Produktentwicklern bewirken konnte.

Lesekomfort: real und digital
Bei den Forderungen an altersgerechte Verpackungen unterscheidet Martin Greb, Creative Consultant bei DS Smith Packaging, zwei Bereiche: „Auf der funktionalen Seite ist den Konsumenten 60+ vor allem an gut lesbaren Informationen sowie einem leichten Öffnungsprinzip gelegen. Bei den emotionalen Eigenschaften legt die Zielgruppe Wert auf einen hohen Wiedererkennungswert sowie einen hochwertigen Eindruck des enthaltenen Produktes." Mögliche Umsetzungen sind beispielsweise klare Farbcodes für Handelsmarken oder auch Trays mit Innendruck, die im Verkauf die Anbruch-Attraktivität deutlich erhöhen. „Wichtig ist es, am POS zu emotionalisieren. Gleichzeitig dürfen aber keine relevanten Informationen verdeckt sein", fasste Greb Chancen und Gefahren von Regalkartons mit Displayoption zusammen. Das Thema Lesbarkeit stellt Unternehmen vor die größere Herausforderungen: Gesetzlich sind Hersteller verpflichtet, eine große Anzahl von Informationen auf der Verpackung unterzubringen, gleichzeitig benötigt das Markendesign (Stichwort Wiedererkennung) viel Platz auf der Umverpackung, und in der Folge sinkt die Schriftgröße. Die Lösung hierfür könnte in Form von NFC (Near Field Communication), Barcodes oder QR-Codes daherkommen. Die Technologien funktionieren über einen auf dem jeweiligen Produkt aufgebrachten Chip/Code und einem Smartphone auf Benutzerseite. Scannt der Anwender das Produkt ein, verwandelt eine Software die eingelesene Schrift in Sprache und ermöglicht es nicht nur Senioren, alle für die Kaufentscheidung relevanten Informationen zu erhalten (Kosten, Inhaltsstoffe, Nettofüllmenge, etc.). „Bereits 16 Prozent der Ü50-Jährigen besitzen heute ein Smartphone, was einem Zuwachs von 100 Prozent im Vergleich zum Jahr 2011 entspricht. Das Handy als Vorleser könnte also durchaus Zukunft haben", erklärte Johanna Mercier, Manager New Media bei Ball Packaging Europe. Das Klischee vom Technikmuffel passt nicht mehr auf aktuelle und künftige Generationen von Rentnern. Gleichzeitig könnten die Mobiltelefone als digitale Einkaufsliste dienen, die der Kunde in Ruhe daheim zusammenstellt und die sich automatisch beim Einscannen der Waren abhakt. Vorstellbar ist auch eine Zukunft, bei der die derzeit noch in Entwicklung befindlichen Google-Glasses das Einkaufserlebnis per Augmented-Reality vereinfachen. Der Konsument würde dann beispielsweise über Richtungspfeile den, abhängig von der eigenen Einkaufsliste, optimalen Weg durch den Supermarkt gezeigt bekommen. Gleichzeitig, so die Zukunftsvision, würde ein Blick über die Regale reichen und die Brille den Augen dahinter signalisieren, welches Produkt in der Vergangenheit schon einmal gekauft wurde. Größter Vorteil der Technologie: Durch die integrierte Sprachsteuerung wäre die Einstiegsbarriere besonders niedrig gesetzt.

Ansatz: Lösungen für den Lowtech-Bereich
Dass es statt digitalem Hightech auch analoge Innovationen sein können, die den Silver-Agern den Alltag vereinfachen, stellte Helmut Sieber, Leiter Technisches Design Center bei Carl Edelmann, unter Beweis. Die Verpackungssysteme aus seinem Haus setzen bei der Konstruktion auf hervorstehende Laschen, die das Öffnen und Schließen mit nur einer Hand ermöglichen, sowie eine farbige Trennung von Deckel und Faltschachtelkörper. „Außerdem setzen wir auf farbige, geprägte und beschriftete Punkte, die dem Anwender das Fassen erleichtern", erklärte Sieber einen weiteren Aspekt des Konzeptes. Unter dem Motto „Gekauft wird, was convenient ist" blieb auch Hanno Bartling, Global Produkt Management bei SIG Combibloc, auf der Hardwareseite. Sein Thema waren Lebensmittelverpackungen mit Wiederverschlusssystemen. Die Probleme beginnen für Senioren oft bereits am Supermarktregal. Die ältere Generation kämpft hier gleich an mehreren Fronten: Nicht nur leiden sie häufig unter motorischen Schwierigkeiten und können hierdurch beispielsweise keinen Pillengriff mehr ausführen, sie verfügen im Alter außerdem nicht mehr über die gleiche Kraft wie es bei jüngeren Erwachsenen der Fall ist. Die Entnahme aus dem Regal oder Tray sowie das Gewicht sind hier die bestimmenden Faktoren dafür, ob es ein Produkt vom Supermarkt nach Hause schafft. Und auch beim Gebrauch selbst sind Griffigkeit sowie die Komplexität und der nötige Kraftaufwand für Erstöffnung und Wiederverschluss Fragestellungen, mit denen sich Verpackungsdesigner beschäftigen müssen. Die Herausforderung dabei fasste Bartling wie folgt zusammen: „Verschiedene, teilweise gegensätzliche Aspekte der Anwenderfreundlichkeit müssen miteinander abgestimmt werden. Unter den verfügbaren Öffnungssystemen gibt es keine optimale Lösung, jede aktuelle Anwendung stellt lediglich einen Kompromiss dar." Generell sollten Drehverschlusssysteme, um nicht als verschlossene Tür für die Älteren zu enden, über eine Riffelung verfügen die das Greifen erleichtert und einen kleinen Drehwinkel, der den nötigen Kraftaufwand niedrig setzt.

Grundsatzproblem: kindersicher versus seniorenfreundlich
Thilo Vogt, Business Development Manager bei Faubel & Co., griff einen weiteren Bereich auf, der zu Kompromissen zwingt: Pharmaverpackungen. Vorgeschrieben ist, dass Medikamente vor dem Zugriff durch Kleinkinder geschützt werden müssen. Gerade bei den Ein- bis Zweijährigen ist die Kombination aus natürlichem Entdeckerdrang und Unwissen eine leider nicht selten tödliche Gefahr. Denn kleine Kinder neigen dazu, die Erwachsenen ihrer Umgebung nachzuahmen, das gilt auch für die Einnahme von Medikamenten. Dass viele Pillen dann auch noch eine starke optische Ähnlichkeit zu Süßigkeiten besitzen und Verpackungen generell den Spieltrieb aktivieren, tut sein Übriges. Um dies zu verhindern, setzt die Pharmabranche derzeit noch häufig auf Sicherheitsverschlüsse, die beispielsweise das simultane Drücken und Drehen eines Schraubverschlusses voraussetzen, um ein Behältnis zu öffnen. Doch was als kindersicher gilt, das ist oft auch gleichzeitig seniorensicher. Die Folge: Hat ein älterer Mensch Schwierigkeiten, ein Behältnis zu öffnen, lagert er dessen Inhalt in einem leichter verfügbaren Gefäß aus - und der Kinderschutz ist nichtig. Die CRSF-Blisterlösung (child resistant and senior friendly), die Vogt in München vorstellte, besticht durch ihr durchdachtes Design. Das System basiert auf vier verschiedenen Verhinderungskonzepten: Zur Entnahme benötigt der Anwender zielgerichtete Kraft, ein gewisses Maß an Fingerfertigkeit, Logik (Lesen, Lernen, Interpretieren von Piktogrammen) sowie Zeit. Das Konzept wurde vom IVM-Institut getestet, am Ende standen vielversprechende Ergebnisse. Während 99 Prozent der Seniorenprobanden in der Lage waren, der Blisterverpackung den Inhalt zu entnehmen, war weder vor noch nach einer Funktionsdemonstration auch nur ein Kind in der Lage, das Sicherheitskonzept der Verpackung zu knacken.

Fazit: Botschaft verstanden?
Zum Abschluss kam die Zielgruppe selbst zu Wort. Einige Senioren, Vertreter der Feierabend-Scouts, berichteten aus ihrem Alltag und standen für Publikumsfragen zur Verfügung. Die wichtigste Botschaft war sicherlich der Wunsch nach mehr gesellschaftlicher Anerkennung: Die Silver-Ager wünschen sich Lösungen, die ihre körperlichen Gebrechen kompensieren, um ohne Einschränkungen oder fremde Hilfe ihren Alltag beschreiten zu können. Positive Veränderungen konnten sie hier bereits in verschiedenen Branchen feststellen, doch der Verpackungsbereich zähle bis dato leider nicht dazu. Das sollte sich aber bald ändern - genug Impulse lieferte die Veranstaltung in München.

Gewinner Silverpack 2013
Zum Abschluss der Konferenz fand die Preisverleihung des Verpackungswettbewerbs „Silverpack“ statt, der bereits zum fünften Mal die Auszeichnung „Höfliche Verpackung“ ausgeschrieben hatte. Gewinner in diesem Jahr war das Unternehmen A&R Carton mit dem Slider Pack. Der Kunststoffschieber ermöglicht laut Jury eine ausgesprochen kundenfreundliche Lösung für das Öffnen und Wiederverschließen von Kartonverpackungen für trockene Lebensmittel, beispielsweise Müsli. Philipp Eißner, Group Innovation Manager, und Simon Holka, R&D Performance Packaging der AR Packaging Group, nahmen die Auszeichnung entgegen.

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