„Der Fokus auf die Technologieführerschaft ist und bleibt 
einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des deutschen Verpackungsmaschinenbaus.“ Vera Fritsche, 
Referentin im VDMA 
Fach­­­­verband NUV

„Der Fokus auf die Technologieführerschaft ist und bleibt
einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des deutschen Verpackungsmaschinenbaus.“ Vera Fritsche,
Referentin im VDMA
Fach­­­­verband NUV

neue verpackung: Wenn es stimmt, dann läutete vor vielen Jahren eine Abfüllmaschine für Bier das Zeitalter des Fließbandes ein. Somit war die Verpackungstechnik Wegbereiter der modernen Massenfabrikation. Was waren weitere Meilensteine der Verpackungstechnik?

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(Bild: Adobe Stock)


Vera Fritsche: In einer Verpackungsmaschine laufen viele Einzelbewegungen ab. Die Synchronisierung dieser erfolgte in der Vergangenheit mittels mechanischer Kopplung. Deren Basis war die Königswelle, die über Kurvenscheiben, Zahnräder, Nocken und sonstige Kraftkopplung alle Bewegungen in einem definierten Ablaufschema initiierte.
Die Entwicklung und der zunehmende Einsatz von Steuerungs- und Antriebstechnik in den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts hat Verpackungsmaschinen maßgeblich verändert. Dezentrale Antriebslösungen und schnelle elektrische Synchronisation ersetzten zunehmend die Königswelle. Damit konnte man die durch die Mechanik vorgegebenen physikalischen Grenzen überwinden, was deutliche Produktionssteigerungen zur Folge hatte.
Mit dem Einsatz von Robotern begann für die Verpackungsmaschine ein neues Zeitalter. Die Robotertechnologie ermöglichte den Bau von Gruppierketten, mit denen man nun pro Minute eine große Zahl beliebig stückige Produkte gruppieren konnte.
Industrieroboter sind dank ihrer außerordentlichen Flexibilität, Geschwindigkeit, Präzision und Wiederholgenauigkeit ein wichtiger Schlüssel zu höherer Wirtschaftlichkeit, Qualität und Nachhaltigkeit beim Verpacken von Waren. Pick-&-Place-Roboter sind weiter ein großer Trend in der Verpackungstechnik.
Die Höchstleistungen, die heutige moderne Verpackungsmaschinen erbringen, wären ohne Automatisierungstechnik undenkbar. Kein Wunder, dass sich die Verpackungsmaschinenbranche daher zu einem der führenden Anwendungsbereiche von High-Tech-Komponenten der Antriebs-, Steuerungs- und Automatisierungstechnik entwickelte. Mit dem Einsatz von Sensoren, Kamerasystemen und der zugehörigen Bildverarbeitungssoftware konnte man die Leistungsfähigkeit der Maschinen weiter steigern. Maschinelles Sehen ist eine Schlüsseltechnologie, die maßgeblich über Wirtschaftlichkeit, Effizienz und Sicherheit industrieller Prozesse entscheidet. So haben sich kameragesteuerte Roboter als hochproduktive Helfer beim industriellen Verarbeiten und Verpacken von Nahrungsmitteln etabliert. Gegenüber konventionellen Sondermaschinen bieten solche Maschinen entscheidende Vorteile: sie können eigenständig und zielgerichtet auf Veränderungen in ihrer Arbeitsumgebung reagieren und lassen sich wesentlich flexibler auf andere Produkte, Formate oder gänzlich neue Aufgaben umstellen.

neue verpackung: Der deutsche Ver­packungsmaschinenbau ist sowohl bei der Produktion als auch beim Export weltweit Nummer 1. Woran liegt das eigentlich?
Vera Fritsche: Im deutschen Verpackungsmaschinenbau haben Forschung und Entwicklung einen hohen Stellenwert. Nur mit Neuentwicklungen und dem Einsatz neuester Technologien lassen sich die Anforderungen nach hoher Leistung und Flexibilität erfüllen.
Die deutschen Hersteller entwickeln hoch flexible Maschinensysteme, die auch bei hohem Durchsatz die vom Markt geforderten kurzen Reaktionszeiten bei steigender Produkt- und Verpackungsvielfalt realisieren. Modulare Baugruppen ermöglichen es zudem, schnell auf sich ändernde Kundenwünsche einzugehen und entsprechend maßgeschneiderte Lösungen anzubieten.
Der Fokus auf die Technologieführerschaft ist und bleibt daher einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren des deutschen Verpackungsmaschinenbaus.

neue verpackung: In der Vergangenheit gingen die Exporte der deutschen Verpackungsmaschinenbauer vor allem in andere EU-Länder. Mittlerweile lässt sich eine Verschiebung hin zu mehr Exporten in aufstrebende Wirtschaftsräume wie Asien beobachten, vor allem Indien ist hier für viele Unternehmen ein spannender Markt. Wird sich im Zuge dieser Entwicklung vielleicht auch die Produktion verlagern? Zumindest im Anlagenbau ist ja oft bei der Auftragsvergabe entscheidend, dass zumindest ein Teil der Wertschöpfung im Zielland stattfindet.


Vera Fritsche: Europa ist nach wie vor der größte Regionalmarkt. Nahezu die Hälfte aller deutschen Verpackungsmaschinen­exporte gehen in europäische Länder.
Asien hat sich nach Europa zur zweitwichtigsten Absatzregion für die deutschen Unternehmen entwickelt. 2012 gingen 23 Prozent aller deutschen Verpackungsmaschinenexporte in asiatische Länder. Seitdem sank der Anteil der Auslieferungen und lag 2017 bei 18 Prozent.
Nicht nur die schwache Nachfrage aus China, dem größten Abnehmer von Verpackungsmaschinen „made in Germany“ in Asien, wirkt sich hier aus, sondern auch die gesunkene Nachfrage aus anderen asiatischen Ländern, wie Indien, Indonesien, Thailand.
In Asien ist Indien nach China und Südkorea das drittwichtigste Absatzland für Verpackungsmaschinen aus deutscher Produktion.
Die indische Nahrungsmittelindustrie hat in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt, ist aber immer noch nicht sehr weit entwickelt. Von den landwirtschaftlich erzeugten Produkten werden erst rund zehn Prozent weiterverarbeitet. Zum Vergleich: in Malaysia sind es 83 Prozent, in China 23 Prozent und in den USA 65 Prozent. Der Pro-Kopf-Konsum von verpackten Nahrungsmitteln beträgt in Indien 36 kg, in China ist es doppelt so viel.
Anders sieht es im Pharmabereich aus. Hier hat sich Indien zu einem der weltweit größten Hersteller von Generika entwickelt. Rund 20 Prozent der Produktion werden exportiert. Damit ist diese Indus­trie eine der gewinnbringendsten in Indien. Indien hat nach den USA die zweitmeisten FDA-konformen Anlagen.
Die Bearbeitung des indischen Marktes erfordert von den deutschen Unternehmen einen sehr langen Atem. 2017 gingen lediglich knapp zwei Prozent aller exportierten Verpackungsmaschinen nach Indien. Dieser Anteil blieb in den letzten Jahren relativ konstant. Dies ist auch ein Grund dafür, dass nur wenige deutsche Verpackungsmaschinenproduzenten eine eigene Maschinenproduktion vor Ort haben. Der niedrige Lieferanteil hält viele deutsche Verpackungsmaschinenhersteller davon ab, eine eigene Maschinenproduktion in Indien aufzubauen. Neben hohen Investitionen sind die Herausforderungen groß: Hierzu zählen unter anderem regulatorische Unsicherheit, viel Bürokratie sowie eine unzureichende Infrastruktur. Das Investitionsklima Indiens verbessert sich nur schleppend. In der globalen Rangliste der Weltbank zur Vereinfachung der Geschäftsabwicklung „Ease of Doing Business 2018“ rangiert Indien immer noch weit hinten: auf Platz 100 von 190.
Indien bleibt aber auch künftig ein aussichtsreicher Absatzmarkt für die deutschen Verpackungsmaschinenlieferanten. Eine wachsende Mittelschicht, steigende Einkommen, weiter zunehmende Urbanisierung und eine immer stärkere Verbreitung moderner Handelsstrukturen lassen die Nachfrage nach modern verarbeiteten und verpackten Nahrungsmitteln steigen. Durch die weiter zunehmende Industrialisierung bei der Herstellung und Verpackung von Nahrungsmitteln steigt der Bedarf an automatisierten Verarbeitungs- und Verpackungsmaschinen.

HMIs der Industrie-4.0-Generation dienen künftig als Schnittstelle für die Datenerfassung, -weitergabe und -visualisierung einzelner Maschinen oder Gesamtlinien.
HMIs der Industrie-4.0-Generation dienen künftig als Schnittstelle für die Datenerfassung, -weitergabe und -visualisierung einzelner Maschinen oder Gesamtlinien. (Bild: Adobe Stock)

neue verpackung: Trotz der erfreulichen Entwicklung der Schwellenländer sind die USA weiterhin der größte Einzelabnehmer für deutsche Verpackungsmaschinen. Ist die Branche deshalb auch besonders gefährdet durch die Tendenz zum Protektionismus der aktuellen US-Regierung?
Vera Fritsche: Im Verpackungsmaschinensektor gibt es nur bedingt amerikanische Wettbewerber. Bei hochwertigen Verpackungsmaschinen sind die amerikanischen Hersteller weit hinter den Deutschen zurück. Die USA müssen Verpackungsmaschinen importieren, um ihre Inlandsnachfrage zu decken. Knapp 30 Prozent aller Importe kommen aus Deutschland.
Noch ist nicht abzusehen, inwieweit sich die Tendenz zum Protektionismus auf unsere Branche insgesamt auswirken wird. Eine eigene Produktion in den USA zu errichten, geht nicht von heute auf morgen, sondern dauert oftmals Jahre. Dies können die überwiegend mittelständischen deutschen Unternehmen nicht stemmen.
Die amerikanische Nahrungsmittelindus­trie ist weiter auf Expansionskurs. Lebensmittelsicherheit ist nach wie vor ein großes Thema und sorgt für steigenden Investitionsbedarf. Hierzu zählen insbesondere Automatisierungslösungen für mehr Effizienz, Reduzierung von Fehlern sowie Früherkennungssysteme zur Identifikation von Verunreinigungen, aber auch Konzepte für einfacheres Reinigen von Maschinen und Anlagen. Die amerikanischen Kunden fragen auch zunehmend Maschinen nach, die bei kurzen Umrüstzeiten eine Vielzahl von Packstilen verarbeiten können und schnelle Produkt-, Mengen sowie Formatwechsel ermöglichen. Und gerade hier können die deutschen Hersteller punkten.
2017 exportierten die deutschen Unternehmen Maschinen und Anlagen im Wert von 669 Millionen Euro in die USA, ein Prozent weniger als im Vorjahr. Dies ist vor allem auf Basiseffekte im Bereich der Füll- und Verschließmaschinen zurückzuführen. Hier legten die Auslieferungen 2016 im Vergleich zum Vorjahr um elf Prozent zu, 2017 sank dann die Nachfrage um knapp vier Prozent. Die sonstigen Verpackungsmaschinen stiegen 2017 gegenüber 2016 um fünf Prozent auf 267 Millionen Euro.

neue verpackung: Mit dem Begriff Industrie 4.0 werben seit einiger Zeit faktisch alle Lösungsanbieter. Auf die Verpackungsindustrie bezogen: Welche Vorteile könnte diese Entwicklung auf Maschinenseite Anwendern künftig konkret ermöglichen?
Vera Fritsche: In der Verpackungsindustrie nimmt die vernetzte Fabrik Gestalt an. Dabei spielt die Kommunikation zwischen Mensch und Maschinen sowie der Maschinen untereinander eine zentrale Rolle. HMIs sind dabei der Schlüssel zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Prozessführung. HMIs der Industrie-4.0-Generation dienen als Schnittstelle für die Datenerfassung, -weitergabe und -visualisierung einzelner Maschinen oder Gesamtlinien. Dabei ermöglicht eine intuitive geführte Bedienung per Multi-Touch-Technologie – ähnlich wie bei Smartphones oder Tablets – dem Bediener das unterstützte Arbeiten. Schritt für Schritt wird er durch die einzelnen Arbeitsabläufe der Produktion geleitet. Gleiches gilt für Formatwechsel, Reinigungs- und Wartungsvorgänge sowie weitere Prozesse.
Industrie 4.0 bietet einen Paradigmenwechsel in der Instandhaltung. Unerwartete Ausfallzeiten sind in der Lebensmittel­industrie eines der größten Risiken. Mit Predictive Maintenance-Maßnahmen kann man solchen teuren Stillständen vorbeugen.
Der Trend geht heute weg von der reaktiven und turnusmäßigen Wartung mit ihren festen Austauschintervallen von Komponenten hin zu voraussagbaren, zielgerichteten und vor allem präzise planbaren Wartungsmaßnahmen. Das bietet den Maschinenbaukunden signifikante Vorteile wie beispielsweise eine höhere Verfügbarkeit von Maschinen und Anlagen, deutlich geringere Ausfallrisiken, höhere Betriebs- und Produktionssicherheit sowie deutlich niedrigere Instandhaltungskosten.
Neu bei der Fernüberwachung und Fernsteuerung von Maschinen und Anlagen ist die Qualität und Vielfalt der Eingriffsmöglichkeiten über die Vernetzung der Systeme sowie der durch Condition Monitoring gewonnenen Daten.

 

Für Sie entscheidend

Der VDMA Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen
Der Fachverband Nahrungsmittelmaschinen und Verpackungsmaschinen ist der Zusammenschluss von rund 300 vorwiegend mittelständisch geprägten Unternehmen. Sie repräsentieren über 80 Prozent des Branchenumsatzes. Um dem branchenspezifischen Informationsbedarf der Mitglieder Rechnung zu tragen und um das Know-how zu den größeren Teilbranchen zu bündeln, ist der Fachverband aktuell in sechs Fachabteilungen untergliedert: Bäckereimaschinen, Fleischverarbeitungsmaschinen, Getränkemaschinen und Molkereitechnik, Süßwarenmaschinen, Pharma- und Kosmetikmaschinen sowie Verpackungsmaschinen. Mit über 100 Mitgliedern sind die meisten Unternehmen Mitglied in der Fachabteilung Verpackungsmaschinen.

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