neu verpackung: Wie entstand eigentlich die Idee, eine Agentur mit Fokus auf Verpackung zu gründen?
Cate Wind: Als Künstlerin und gelernte Glasmalerin spielt das Haptische schon immer eine große Rolle in meinem kreativen Wirken. Dazu kam der Wunsch, die Welt ein bisschen schöner zu machen. Das ist meine kreative Vision, die seit der Kindheit besteht und nie nachgelassen hat. Wenn Formen, Farben und Materialien auf gekonnte Weise zusammenspielen, wird es für mich spannend – das gilt sowohl für die Kunst als auch für Verpackungsdesign. Das Produkt in Kombination mit dem Design transportiert immer ein Gefühl – mal ist das Nostalgie, mal Aufregung, mal Vertrauen.
Noch im Studium der visuellen Kommunikation gewann ich zwei Designpreise für Verpackungen. Da war schnell klar: Hier kann ich mit meinem Faible für schöne Dinge und meinem ausgeprägten Sinn dafür, wie man Dinge gut in Szene setzt, Veränderung schaffen. Ein gutes Packaging ist ein kleiner Lichtblick im Alltag. Bis heute finde ich es magisch, wenn unsere Verpackungskonzepte Realität werden. Außerdem sind Verpackungen so wunderbar haptisch und dabei demokratisch: Wirklich jeder kann sie kaufen, verschenken, behalten, benutzen, entsorgen.
Wie früher können auch heute Verpackungen Kultstatus erlangen
neue verpackung: 25 Jahre WIN – das sind auch 25 Jahre Verpackungsgeschichte. Neben dem Nachhaltigkeit: Was waren die aus Ihrer Sicht wichtigsten oder auch spannendsten Entwicklungen?
Wind: Ein Thema, das rasant an Bedeutung gewonnen hat, ist Transparenz bezüglich Herkunft, Herstellung und Produktion. Die Kunden haben heute eine viel größere Awareness über die Auswirkungen der industrialisierten und modernen Verpackungsindustrie auf die Umwelt und dazu sehr individuelle Lifestyleentscheidungen hinsichtlich ihrer Ernährung getroffen. Die Erwartungshaltung an das Packaging ist ganz klar: Es muss sich schnell und intuitiv erkennen lassen, ob das Produkt für die Diät oder den Lifestyle geeignet ist.
Das bedeutet für unsere Designs ganz andere Anforderungen an die Differenzierung von Codes und verlangt eine gewisse Klarheit im Design, gestützt durch visuelle Symbole, die als Hilfestellung fungieren.
Wie früher können auch heute Verpackungen Kultstatus erlangen und zu einer Art Statussymbol werden. Allerdings positionieren sich Brands heute zunehmend politisch und wirken aktiv an der Gestaltung der Welt mit, statt „nur“ Produkte zu schaffen. Kundinnen und Kunden suchen heute vermehrt Orientierung in Lifestyleprodukten und erwarten ein konsequentes, authentisches Storytelling. Neben Umweltaspekten sind auch Werte wie „cruelty free” oder „locally sourced” mittlerweile nicht nur fester Bestandteil im Branding von Food-Marken, sondern auch im Kosmetikbereich zu finden. Auch der Trend von Genderneutralität im Packaging nimmt Fahrt auf: Wir erkennen eine langsame, aber konsistente Entwicklung – weg von den rosa Schmetterlingen für junge weibliche Zielgruppen – vereinfacht gesagt.
Auch das Internet hat natürlich enorm viel verändert: Früher mussten Verpackungen primär im Regal gut aussehen und sich vereinzelt in Printkampagnen verlängern lassen. Heute müssen sie auch für Online-Verkäufe geeignet sein, bei Instagram funktionieren und ein digitales Storytelling erlauben, das über mehrere Kanäle stattfindet. Und der Startpunkt bei vielen Marken ist oft die Verpackung. Auf Smartphones wirken oftmals minimalistische, boldere Packagings besser. Auch das muss alles mitgedacht werden.
Daraus ergibt sich eine ganz andere Produktkommunikation: Das Verhältnis zwischen Customer und Produkt ist heute ein viel persönlicheres. Die Ansprache, sowohl visuell als auch verbal, ist viel direkter und aktivierender geworden. Mit den Bildwelten schaffen wir Erlebnisse, die emotionalisieren. Mit den Erwartungen der Kunden wächst auch der Mut: Wir sind heute freier bei der Gestaltung und unsere Auftraggeber kommen mit originellen Visionen, oder lassen sich gerne von uns inspirieren.
Und auch die Unternehmen, mit denen wir zusammenarbeiten, haben sich verändert. Es gibt immer mehr Food-Start-ups und motivierte junge Leute, die ihre Vision mit uns umsetzen können. Finanzierungsmodelle wie Kickstarter, Crowd-Funding und Investoren in „greifbarer Nähe“ haben die Möglichkeiten für Einzelpersonen als Unternehmer, die ihre Vision mit uns umsetzen wollen, total verändert. Vor 30 Jahren wäre das nicht möglich gewesen.
neue verpackung: Die aktuell geforderten alternativen Materialien wie Kunststoffrezyklat und faserbasierte Lösungen stellen bei der Verarbeitung neue Anforderungen. Wie wirkt sich dies auf den Designprozess aus?
Wind: Grundsätzlich ist das Material als ästhetisches Element zu betrachten und immer auch Teil des Konzeptes. Entsprechend definiert es immer die Möglichkeiten, die dann im Design widergespiegelt werden. Wenn das Material dunkler ist, muss das im Design berücksichtigt werden, das gilt für Recyclingpapier, das natürlich dunkler ist als geblichenes, aber auch für Plastik und Glas. Beim Druckverfahren muss man das im Hinterkopf behalten.
Wir betrachten also immer das Gesamtbild und kleben nicht einfach Etiketten drauf. Grobe, faserige Oberflächen reagieren anders auf Farben, Aerosole, Kartonagen als glatte Oberflächen. Das Material ist also der Ausgangspunkt des Designprozesses.
Dazu kommt der Punkt der Authentizität: Wenn man mit alternativen Materialien arbeitet, ist man ja schon in einer nachhaltigen Richtung unterwegs. Dann muss sich das ökonomische Bewusstsein auch im Design wiederfinden. Es ergibt nicht viel Sinn, auf einem nachhaltigen Material viel zu lackieren, hier würde man eher auf eine Farbreduktion setzten. Und wenn man dadurch ein rundes nachhaltiges Designkonzept schafft, sollte das wiederum in der Kommunikation als Benefit aufgegriffen und in der Positionierung berücksichtigt werden.
neue verpackung: Dass eine Verpackung nachhaltig ist, muss vom Konsumenten, der ja in der Regel nur wenig mit Begriffen wie Monomaterial-Lösung anfangen kann, am POS erkannt werden. Wie lässt sich dies über das Design erreichen?
Wind: Da ist meine Antwort so simpel wie die Lösung: Man sollte Begrifflichkeiten, Icons und Hinweise aufbringen, die für alle verständlich und einheitlich sind. Sie sollten selbsterklärend sein, Hilfestellung im Alltag geben, nicht viel Zeit kosten und idealerweise auch noch Spaß machen. Solche Informationen sollten sich nicht selbst ein Bein stellen, indem sie zu kompliziert sind.
Als Packaging-Agentur tragen wir eine Mitverantwortung, das Bewusstsein für die richtige Entsorgung bei den Leuten zu fördern. Aufklärungsarbeit ist mittlerweile fast bei jedem Projekt elementarer Bestandteil.
neue verpackung: Nachdem wir nun über Vergangenes und Aktuelles gesprochen haben – was bringt eigentlich die Zukunft? Welche Trends werden sich voraussichtlich als prägend erweisen?
Wind: Das Ziel wird weiterhin sein, Verpackungsmüll zu vermeiden oder Verpackungen zu „optimieren“. Ressourcensparende Verpackungen und Inhalte, wie jetzt schon viel zu sehen bei Dry Shampoos oder auch Hafermilch in Pulverform, sind eine spannende Entwicklung. Die Produkte werden erst zuhause nach Kauf mit Wasser „aktiviert“. Das führt zu kleineren Verpackungen und niedrigeren Transportkosten.
Auch Verpackungen, die sich selbst gänzlich auflösen wie die Sachets von Plus oder Refill Stationen, die gänzlich auf Verpackungen verzichten, wird man immer häufiger antreffen. Und natürlich werden immer mehr alternative Materialien gesucht und gefunden werden.
Nachhaltigkeit wird DAS Thema. Dabei gilt es für Marken, sich stärker nach der Kultur sowie gesellschaftlichen und politischen Themen auszurichten – der Schwerpunkt verschiebt sich vom Produkt auf die Positionierung.
Purpose driven brands werden in Zukunft mehr Einfluss gewinnen, die Kunden werden noch genauer hingucken und das „why“ and „how“ hinter der Marke betrachten.
Mental-health-Themen wie Schlafförderung werden in Produkten, Design und Verpackungen auftauchen. Hygiene und Sicherheit werden auch nach der Pandemie Key-Trends sein.
Und auch das Internet und Trends wie Augmented Reality werden in Zukunft die Regeln des klassischen Packagings auf den Kopf stellen. Schon jetzt müssen Designs zunehmend „grammable” sein, was oft bedeutet: minimalistischer und trotzdem bold. QR-Codes bieten die Möglichkeit, Zusatzinformationen zu Produkten oder Games einzubetten, was zu einer viel tieferen Kundenbindung führt und zu neuen Möglichkeiten, diese in die Markenwelt mitzunehmen. Und auch die Rolle von Produkten in der virtuellen Welt wird neue Chancen für Marken eröffnen. Wird eine Coca-Cola-Flasche im Metaverse genauso aussehen, wie im Supermarktregal? Wir sind jedenfalls gespannt, was die Zukunft bringt.
Die Fragen stellte Philip Bittermann, Chefredakteur neue verpackung