Als Ende des 18. Jahrhunderts die ersten Stahlverpackungen für Lebensmittel erfunden wurden, war das ein großer, kaum zu unterschätzender Fortschritt für viele Menschen: Erstmals war es möglich, wertvolle Nahrungsmittel über längere Zeit aufzubewahren und zu konservieren, ohne zu verderben. Denn Stahlverpackungen verschließen den Inhalt luftdicht, sind lichtundurchlässig und verhindern das Eindringen von Flüssigkeiten. Außerdem lassen sie sich einfach stapeln und verstauen, und sind stoß- sowie bruchsicher.
Auch heute noch liegen Lebensmitteldosen mit Vollaufreißdeckel aufgrund neuer Stahlgüten und stetig reduziertem Materialaufwand voll im Trend. Nockendrehverschlüsse aus Stahl kommen aufgrund ihrer offenkundigen Vorteile auf vielen Glaskonserven und -flaschen zum Einsatz. Bei Thyssenkrupp Rasselstein in Andernach kennt man sich mit den Herausforderungen rund um die Verpackung von Lebensmitteln bestens aus. Die Spezialisten für Verpackungsstahl liefern Material für eine Vielzahl von etablierten Öffnungssystemen und forschen beständig an Stahlgüten, um die Systemeigenschaften zu verbessern.
Stephan Schiester ist Entwicklungsingenieur in der Werkstofftechnik bei Thyssenkrupp in Andernach und Experte für den sogenannten Nockendrehverschluss, der vor allem auf Behältergläsern und Saftflaschen zum Einsatz kommt. „Nockendrehverschlüsse finden sich zum Beispiel auf Babynahrung, Obst- und Gemüseprodukten, Marmeladen und Konfitüren, Milch und Milchprodukten oder Feinkostsaucen“, weiß Schiester. „Diese Verschlüsse werden mittels Tiefziehen hergestellt. Wichtig dabei ist, dass die Wanddicke konstant bleibt und keine Zipfel – Wellen und Erhebungen im tiefgezogenen Material – entstehen. Denn diese würden später am Werkzeug oder beim Transport ständig Gefahr laufen, irgendwo hängenzubleiben.“
Verpackungsstahl ermöglicht dünnwandige und zipfelarme Verschlüsse
Mit dem Verpackungsstahl Rasselstein Ultra-Low-Earing (ULE) stellt Thyssenkrupp Herstellern von Nockendrehverschlüssen ein Material mit außergewöhnlicher Homogenität und Isotropie bereit, das die Herstellung besonders dünnwandiger und dabei zipfelarmer Verschlüsse ermöglicht. „Der ULE-Stahl reagiert bei der Verarbeitung zum Nockendrehverschluss auf unterschiedlichste Belastungen aus verschiedenen Richtungen immer gleich. So werden unerwünschte Zipfelbildungen und ungleiche Wanddicken vermieden“, erklärt Schiester. Mit dem Material lassen sich Verschlüsse mit geringen Wanddicken bis 0,13 mm und hohen Napfwänden herstellen, die bisher so nicht realisiert werden konnten – entsprechend groß ist die Freude bei den Kunden.
Auch bei Thyssenkrupp selbst konnte die neue Stahlgüte überzeugen: Sie gewann den zweiten Preis beim unternehmensinternen „Steel Tomorrow“-Wettbewerb. „Solche Erfolge können wir natürlich nur feiern, weil wir die gesamte Fertigungskette im Blick haben und gemeinsam mit den Kollegen von Thyssenkrupp Steel in Duisburg forschen und entwickeln“, freut sich Schiester. „Mit unseren Innovationen wollen wir dazu beitragen, dass Verpackungsstahl seine Rolle als umweltschonendes und effizientes Produkt zukünftig weiter ausbauen wird.“
Gleichzeitig hart und umformfähig
Gleichzeitig hart und umformfähig
Auch bei anderen Anwendungen steht das Rad der Entwicklung keineswegs still: Bei den Lebensmitteldosen für Obst und Gemüse, Fertiggerichten, Suppen und viele weitere Nahrungsmitteln dreht sich ein Großteil der Entwicklung um den praktischen Vollaufreißdeckel: Hier geht es vor allem darum, den Ressourceneinsatz – sprich die Materialdicke bei gleichbleibenden oder sogar verbesserten Eigenschaften – zu senken. Mit Rasselstein Solidflex hat Thyssenkrupp laut eigenen Angaben einen neuen Maßstab in Sachen Stabilität bei gleichzeitig hoher Formbarkeit gesetzt: „Die Zugfestigkeit konnte gegenüber der bewährten Materialgüte Rasselstein DR formable erhöht werden. Rasselstein Solidflex verfügt über Streckgrenzen von über 600 MPa, und das bei einer Dehnung von mehr als fünf Prozent!“, berichtet Dr. Burkhard Kaup, Leiter der Werkstofftechnik von Thyssenkrupp in Andernach, nicht ohne Stolz. Dies ermöglicht, dass Ring-Pull-Deckel, die aus diesem Material entstehen, leichter zu öffnen sind. Denn die Kombination aus Festigkeit und Umformfähigkeit verringert die Aufreißkräfte und vereinfacht den sogenannten Nietzug, damit dem schnellen Snack aus der Dose für Zwischendurch nichts mehr im Wege steht.
Last but not least werden auch Kronenkorken aus Verpackungsstahl hergestellt. Ursprünglich, das heißt im Jahre 1892, als das Patent in den USA angemeldet wurde, hatten sie 24 gestanzte Zacken, was jedoch im 20. Jahrhundert aus Gründen der Zuführung in Verpackungsanlagen auf 21 – eine ungerade Zahl, um Führungsfehler zu vermeiden – reduziert wurde. Auch hier gibt es verschiedene Stahlgüten für besonders dünne und trotzdem stabile Kronenkorken.
Enge fachliche Zusammenarbeit im Konzern
Um die jeweiligen Anforderungen von Nockendrehverschlüssen, Ring-Pull-Deckeln und Kronenkorken bestmöglich zu erfüllen, forscht Thyssenkrupp in Andernach und Duisburg beständig an neuen Stahlsorten und -güten. Entscheidend für den Erfolg sei vor allem die konzernweite Zusammenarbeit, betont Dr. Kaup: „Wir profitieren einerseits sehr von der Konzentration auf wenige Standorte, die Herstellung erfolgt komplett in Deutschland. In Andernach können wir direkt am Produktionsbetrieb Versuche durchführen und zugleich die industrielle Machbarkeit prüfen. Andererseits verfügen wir durch die enge fachliche Zusammenarbeit mit der Stahlproduktion in Duisburg über einen großen Erfahrungsschatz, der nicht zuletzt die sehr hohen Reinheitsgrade des Vormaterials gewährleistet.“