Roboterarme, die Müll sortieren

KI ermöglicht, gezielt Fraktionen aus dem Müll herauszusortieren. (Bild: Steinert)

Redaktion: NIR-Technik sowie Magnet- und Wirbelstromtechnik werden bisher zum Trennen und Sortieren des Abfalls eingesetzt. Wie hoch ist der Anteil, der am Ende des Sortierprozesses in die werkstoffliche Verwertung geht?

Hendrik Beel: Die werkstofflichen Verwertungsquoten sind festgeschrieben und wurden in den letzten Jahren immer wieder angezogen. So beträgt die werkstoffliche Quote für Kunststoffe aus Leichtverpackungen (LVP) aktuell 59 % der lizensierten Menge und ab dem 01.01.2022 werden es 63 % sein. Für NE/Fe-Metalle sind es aktuell 80 % und ab dem 01.01.2022 dann 90 %.

Redaktion: Wie viele Sortierstationen durchläuft der Abfall, um dieses Sortierergebnis zu erzeugen und in wie viele Fraktionen teilt sich diese Menge auf?

Beel: Die Anzahl der Sortierstufen ist sehr stark prozess- und durchsatzabhängig. Hier gibt es aktuelle Konzepte mit 25 NIR-Trennern, aber auch mit mehr als 55, wenn es gänzlich ohne Handsortierung gehen soll. Das rechnet sich natürlich nur für große Durchsätze und gleichzeitig sehr hohe Reinheiten. Hatte eine „große“ LVP Anlage um das Jahr 2000 noch 100.000 Jahrestonnen, so sind das heute eher 200.000 t/a.

Die Anzahl der bereitgestellten Fraktionen geben im Wesentlichen die Systeme vor. Das sind so in der Regel 15 bis 17 unterschiedliche Output-Ströme, wobei die Kunststoffe PE und PP im 2D und auch im 3D die höchsten Anteile haben.

Redaktion: Wie und wann werden schwarz eingefärbte Kunststoffe aussortiert?

Beel: Bei steigenden gesetzlichen Anforderrungen rücken auch die kleineren Stoffströme in den Fokus. Nur wenn auch diese separiert und verwertet werden, können die vorgegebenen 63 % werkstoffliche Verwertung erreicht werden.

Aus umgesetzten Projekten wissen wir, dass im Jahresmittel 2 bis 3 % schwarze Kunststoffe im Input einer LVP-Anlage landen. Diese wertvollen Kunststoffe können mit moderner Sortiertechnik beispielsweise mit unserer Unisort Black aus den Resten zurückgewonnen werden. Diese zusätzliche Nachreinigungsstufe wird eingesetzt, um alle zuvor nicht erkannten dunklen Objekte wie Kosmetikverpackungen für Männer, Waschmittelbehälter für dunkle Textilien oder PP Pflanztöpfe positiv zu sortieren. Ohne zusätzliches Sortiermodul durchlaufen diese Produkte die gesamte Linie und landen unweigerlich in den Sortierresten, die teuer entsorgt werden müssen.

 

Grafik: KI-basiertes Sortieren von Silikonkartuschen
Beim KI-basierten Sortieren von Silikonkartuschen werden Polymerart und Form berücksichtigt. (Bild: Steinert)

Redaktion: Wie dick dürfen Deckschichten oder Etiketten sein, damit das Polymer von den NIR-Sensoren noch sicher erkannt wird? Könnten zusätzliche Marker das Sortieren unterstützen?

Beel: Die noch mögliche Dicke der Deckschicht hängt ganz wesentlich vom Material der Deckschicht ab. Das kann bei den meisten Fullsleeve PET-Flaschen absolut ok sein, während es bei geschäumten Banderolen dann nicht mehr funktioniert.

Marker können aus unserer Sicht eine sinnvolle zusätzliche Informationsquelle sein, wenn sich die entsprechend markierten Objekte nur so von ihrem Umfeld separieren lassen.
Beispielsweise Food-/Non-Food-Verpackungen könnten unter Umständen chemisch exakt gleich aufgebaut sein und auch von der Form her keine Unterschiede aufweisen. In diesem Falle liefert NIR keine brauchbare Unterscheidung, da auch die Formerkennung nichts abgrenzen kann. Hier könnte ein Marker sicherlich helfen. Alternativ könnte eine veränderte Formgebung oder ein etwas anderer Aufbau der Verpackung zum gleichen Ergebnis führen.

auszusortierende Ketchupflasche
Die KI hat die auszusortierende Ketchupflasche erkannt und sorgt dafür, dass diese in die Fraktion PET transparent gelangt. (Bild: Steinert)

Redaktion: Oder könnte hier die Künstliche Intelligenz (KI) unterstützen? Sie haben eine KI-basierte Sortierstation entwickelt. Welche Möglichkeiten bietet diese Technologie?

Beel: Genau für diese Fälle haben wir die KI entwickelt. Immer wenn sich Objektgruppen durch Form und/oder Farbgestaltung für uns Menschen von den übrigen Materialien abgrenzen lassen, so kann die KI diese kleinen Unterschiede nutzen, um die trainierten Stoffe zu identifizieren.
Beispielsweise gibt es ein Thema mit Ketchupflaschen aus PET. Diese Flaschen sind zumeist aus klarem PET, also einem verhältnismäßig hochwertigen Material, und werden von einer NIR-Kamera auch als PET erkannt. Durch die Ketchupreste in der Flasche sieht die Flasche bei der Farbunterscheidung rot aus. Also wird die nicht restentleerte Flasche in der Fraktion PET Bunt landen – einer weniger werthaltigen Fraktion.

In Kombination von NIR, Farbe und KI kann dem System die Ketchupflasche antrainiert werden. Das bedeutet, dass das System die Flasche nicht als PET Bunt bewertet, sondern als PET Klar und überführt diese Objekte dann auch in diese hochwertigere Stoffgruppe.

Ein weiteres Beispiel sind die Kartoffelnetze, die in der PE-Folie landen und in der weiteren Verarbeitung stören. Auch hier kann die KI helfen, die Stoffgruppe für die PE Folie zu drücken. Die Form und auch Farbe der Netze grenzt sich deutlich von den übrigen Folien ab, was die Erkennung stark vereinfacht.

Verwenden alle im Markt befindlichen Erkennungssysteme die gleichen optischen Systeme, so können Objekte an einem beliebigen Ort aufgenommen und über ein Softwareupdate auf alle anderen Trennanlagen kopiert werden, sodass alle Anlagen von jeder neuen Entwicklung profitieren können, auch wenn sie das entsprechende Objekt noch nie gesehen haben.

zerquetschte PET-Flaschen
KI-unterstütztes Mülltrennen sorgt dafür, dass wertige Materialien zielgerichtet in die entsprechenden Fraktionen sortiert werden. (Bild: Steinert)

Redaktion: Welche Lösung gibt es für andere, nicht vollständig entleerte Verpackungen wie beispielsweise Silikonkartuschen? Hier ist der Inhalt im Vergleich zur Ketchup­flasche nicht erkennbar. Wie lernfähig ist diesbezüglich die KI?

Beel: In diesen Fällen versuchen wir die Verpackung selber anzutrainieren. Was für die Kartusche ja super funktioniert, wird dann bei Abflussreiniger schon deutlich schwieriger, weil hier weniger typische Form-/ Farbmerkmale der Verpackung selber vorhanden sind. An diesen Stellen entscheidet sich dann, wie leistungsfähig das KI-Programm selber ist.

Redaktion: Welchen Anteil sollte das zu erfassende Produkt am Gesamtabfallstrom besitzen, damit sich KI lohnt?

Beel: Das KI-Modul ist bei uns optional in jede EVO 5.0 Maschine zu integrieren. Der Aufwand und auch die Kosten sind nicht sonderlich hoch. Die KI bietet für alle Sortierschritte in einer Anlage Potentiale. Gerade bei großen oder unübersichtlichen Projekten brauchen die Kunden Planungssicherheit und entscheiden sich meist bei jeder Maschine für die KI-Option. Sollten sich in der Zukunft Verpackungen ändern oder ungünstige Verbundkombinationen auftreten, so kann der jeweilige Trenner viel schneller an die neue Situation angepasst werden.

Redaktion: Wie wird der Trenner an neue Materialien angepasst und welche Hürden sind hierbei zu überwinden?

Beel: Zunächst muss immer die Trennaufgabe genau definiert werden. Welches Objekt ist in welchem Umfeld ein Problem. Dann müssen repräsentative Muster gesammelt und diese dann in einer Datenbank hinterlegt werden.

Redaktion: Was passiert mit den im Gelben Sack vorhandenen bioabbaubaren Kunststoffe derzeit?

Beel: Das ist eine sehr gute Frage. Sofern die bioabbaubaren Kunststoffe eine identische NIR-Signatur haben wie andere aus konventionellem Kunststoff hergestellten Verpackungen, so landen sie auch in den gleichen Zielfraktionen.

Haben sie aber einen anderen Aufbau und unterscheiden sich somit, gehören sie in keine klassische Zielfraktion wie PE oder PP und landen somit in den Restströmen einer LVP-Sortierung.

Redaktion: Sehen Sie die Möglichkeit, dass durch den Einsatz von KI das Sortieren von bioabbaubaren Polymeren möglich wird?

Beel: Sofern die bioabbaubaren Polymere zu den übrigen Polymeren keine Unterschiede im NIR-Spektrum haben, ist das zumindest mal eine Option.

Redaktion: Wo sehen Sie momentan die Grenzen der KI für Sortieraufgaben?

Beel: Die erste EVO 5 mit KI ist seit 2019 im Feld. Wir fangen mit dem Thema ja gerade erst an. Die Entwicklung hängt viel an Rechenleistung und da gibt es nur eine Richtung. Sicher sind duktile, nicht formstabile Objekte mit veränderlicher Form immer eine Grenze.

Die verfahrenstechnischen Anforderungen an eine NIR-Erkennung sind in den meisten neuen Konzepten immer an der Grenze des Machbaren. NIR-Trenner binden somit einen Großteil der Gesamtinvestition. Als Konsequenz werden diese immer an die obere Leistungsgrenze ausgelegt. Eine zusätzliche KI-Option darf die Performance nicht reduzieren, sie muss diese sogar verbessern. Einschränkungen durch weniger Bandbelegung oder verlagsamte Bandgeschwindigkeit sind nicht akzeptabel.

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