Im Zuge des vermehrten Kunststoffeinsatzes in den letzten Jahrzehnten konnte beobachtet werden, dass es gerade bei Polymeren durch Wechselwirkungen mit Pharmazeutika oder Lebensmitteln zu kritischen Veränderungen dieser Füllgüter kommen kann. Da solche Produkte direkt an den Endkonsumenten gehen, gefährden diese Veränderungen unmittelbar die Produktsicherheit und stellen damit einen nicht zu unterschätzenden Faktor für die Gesundheit der Bevölkerung dar.
Wie komplex diese Thematik ist, zeigt sich an einer kurzen, Überblick gebenden Zusammenstellung von möglichen Inhaltsstoffen. Alleine für die Primärverpackung sind mehrere tausende Zusatz- und Hilfsstoffe in der Kunststoffproduktion weltweit im Einsatz. Zusätzlich werden in der pharmazeutischen Produktion diverse Lagerbehälter, Transportschläuche, Filtermaterialien usw. eingesetzt, wodurch weitere bedenkliche Inhaltsstoffe in das Präparat übergehen können.
Typische Inhaltsstoffe aus Materialien auf Polymer-, Silikon- und Zellulose-Basis sind organische Inhaltstoffe, wie Oligomere, Monomere, Antioxidantien, Stabilisatoren, Weichmacher, Gleitmittel (Paraffine, Stearate etc.), Nukleierungsmittel, Spinnhilfen für Faserstoffe (Fettsäuren, Silkonöl etc.), Bindemittel (Acrylate, Formaldehyd-Harze), Klebstoffe, Restlösemittel, Formentrennmittel oder Reinigungsmittel. Weitere typische Inhaltsstoffe sind anorganische Inhaltsstoffe und Partikel. Dazu kommen oft noch Druckfarben, die Lösungsmittel enthalten können, oder von denen zum Beispiel Photoinitiatoren oder Abbauprodukte übergehen können.
Verpackungsmaterialien unterliegen aber auch einer Reihe von chemischen, physikalischen und biologischen Einflussfaktoren: All diese Faktoren können zu chemischen und mechanischen Veränderungen führen, die sowohl die Schutzfunktion der Verpackung beeinträchtigen, als auch das Risiko neu entstehender Verunreinigungen, Abbauprodukte und Reaktionsprodukte bergen.
Untersuchungsmethoden oft unzureichend
In Summe finden sich dadurch in Kunststoffverpackungen zahlreiche Verbindungen im Spurenbereich, die in der Spezifikation des Polymers gar nicht gelistet sind! Die europaweit standardisierten Untersuchungsmethoden sind jedoch oftmals unzureichend, da nicht die tatsächliche Produktsicherheit beurteilt wird, sondern nur verallgemeinernde modellhafte Parameter (Simulanzien). Die gängige Prüfpraxis für die Tauglichkeit von Verpackungen zielt in erster Linie auf eine Materialkonformitätsprüfung ab, in der auf bekannte Substanzen geprüft wird. Im Arzneibuch sind das zum Beispiel die EP 3.1 Materialien für die Herstellung von Behältern, EP 3.2 Behälter (Glas, Kunststoff, Gummistopfen) und USP 661, 381, 87.
Für Medizinprodukte sind weitreichendere Untersuchungen hinsichtlich Biokompatibilität vorgesehen: EN ISO 10993 Biokompatibilität von Medizinprodukten. Und für Lebensmittel werden bereits Grenzwertprüfungen für gelistete Inhaltsstoffe nach Migration mit Simulanz-Lösemittel durchgeführt: VO 10/2011/EU „PIM“ Migrationsprüfung mit Simulanz-Lösemittel sowie ÖNORM EN 13130 Spezifische Migration als Grenzwertprüfung.
Viele dieser Prüfungen sind abhängig vom Vorliegen einer Rezeptur. Die Risikobewertung von nicht näher spezifizierten Kunststoffen gleicht der Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Um ein tatsächliches Gefährdungspotenzial abschätzen zu können, ist es notwendig, möglichst alle Substanzen zu erfassen, die vom Kunststoff in das Füllgut migrieren. Erst auf Basis solch eines breiten Screenings kann das Risiko minimiert werden ein toxisches Gefährdungspotenzial zu übersehen.
Extractables-Studie bei pharmazeutischen Verpackungen
Im Bereich der pharmazeutischen Verpackungen wird das Thema im Rahmen von sogenannten Extractables und Leachables untersucht. Im ersten Teil, der Extractables-Studie, werden alle Substanzen erfasst, die im Worst Case aus dem Verpackungsmaterial herausgelöst werden können. Im zweiten Teil, der Leachables-Studie, werden diejenigen Substanzen erfasst, die unter Realbedingungen aus dem Verpackungsmaterial in das Präparat migrieren. Die primären regulatorischen Vorgaben dazu finden sich auf europäischer Ebene in der EMA-Guideline on plastic immediate packaging materials. In Amerika sind dazu die USP 1663/1664 (Assessment of Extractables/Drug Product Leachables Associated with Pharmaceutical Packaging/ Delivery Systems) in Vorbereitung.
In den Extractables-Studien werden die Kunststoffe typischerweise Extraktionen mit 2-3 Lösungsmitteln unterschiedlicher Polarität unterworfen, wie beispielsweise Wasser, Ethanol und Dichlormethan. Zusätzlich werden unterschiedliche Extraktionsmethoden angewendet, wie zum Beispiel Soxhlet- plus Ultraschallextraktion, um eventuelle Veränderungen durch die Extraktion selbst zu erfassen. Typischerweise kommt es hierbei zum Beispiel zur Hydrolyse von Carbonsäureestern, wonach auch die korrespondierende Säure mitberücksichtigt werden muss. Andere verbreitetete Extraktionsmethoden sind Rückfluss, Hochdruckflüssigkeitsextraktion oder Mikrowelle.
Lösungsmittel und Extraktionsmethode werden dabei so gewählt, dass sie hinsichtlich der chemischen Parameter ein Worst-Case-Abbild des tatsächlichen Einsatzgebietes ergeben. Schließlich sollen diejenigen Substanzen ermittelt werden, die mögliche Leachabels sind. So zum Beispiel ist es sehr unwahrscheinlich, dass extrem lipophile Substanzen in eine rein wässrige Lösung migrieren.
Die quantitativen Ergebnisse der Extractable-Studie werden auch über den zeitlichen Verlauf beobachtet, um eine erschöpfende Extraktion sicherzustellen. Auch umgekehrt soll sichergestellt werden, dass nicht durch zu lange Extraktion bereits Sekundärprozesse auftreten, wie beispielsweise Hydrolyse eines Additives.
Leachable-Studie bei erhöhter Lagertemperatur
Vor der Leachable-Studie wird meist eine Simulations-Studie mit dem Realprodukt durchgeführt, das unter Stressbedingungen, also zum Beispiel erhöhter Temperatur, gelagert wird. Dadurch erhält man eine weitere Eingrenzung auf ein Subset der möglichen Leachabels auf die wahrscheinlichen Leachables.
Erst dann werden über den Lagerzeitraum der Stabilitätsstudien des pharmazeutischen Produktes die Leachables-Studien durchgeführt. In diesen Studien wird primär gezielt auf das Set der wahrscheinlichen Leachables untersucht. Die Untersuchung über den gesamten Lagerzeitraum ist notwendig, da sich das Verhalten von Polymeren im Laufe des Lebenszyklus ändern kann. Im Rahmen einer Lagerdauer von 24 Monaten und mehr altern Polymere und können beispielsweise Additive und andere Substanzen leichter freisetzen, als unmittelbar nach ihrer Herstellung. Ebenso können sich Reaktionsprodukte von Restmonomeren unter anderem Substanzen bilden, die erst nach längerer Zeit erkennbar werden.
Schon beispielsweise die Erhöhung der Lagertemperatur von 40 auf 60°C bewirkt in hohem Maß das Entstehen von Nebenprodukten, wie beispielsweise aus der Lagerung eines Polypropylens ersichtlich ist, das als Additive Caprolactam, Bisphenol-A Benzophenon und Diephenylphthalat enthält: 95 % Ethanol, 40°C, 10d, 95 % Ethanol, 60°C, 10d.
Die Analyse der Extrakte erfolgt typischerweise mittels chromatographischer Methoden, HPLC und GC, wobei meist eine Kombination von Detektoren eingesetzt wird. Eine 100%-ige Erfassung aller Substanzen ist per se nicht möglich, da jede Substanz nur mit einer beschränkten Anzahl von Detektoren sichtbar ist. Durch Anwendung mehrerer Detektoren wird dieses Risiko minimiert. So wird typischerweise mit der HPLC sowohl UV/VIS als auch MS/MS eingesetzt, und bei der GC FID und MS.
Als direkte Analysenmethode kann auch die Headspace-GC-MS eingesetzt werden, in der der Kunststoff in einem geschlossenen System erhitzt wird und diejenigen Substanzen gemessen werden, die aus dem Material in die Gasphase migrieren.
Auch auf mögliche Schwermetalle darf nicht vergessen werden, hier hat sich vor allem die ICP-MS oder ICP-OES bewährt. Zum Teil kann auch die Analyse auf elementare Ionen notwendig sein, die man mittels Ionenchromatographie durchführt.
Durchführung von Risikoanalysen
Um das tatsächliche Gefährdungspotenzial abschätzen zu können, werden zu den einzelnen Studienabschnitten Risikoanalysen durchgeführt. Diese beinhalten die Wahrscheinlichkeit der Migration sowie das toxikologische Potenzial. Dieses ist üblicherweise von der Konzentration abhängig (Paracelsus: „die Menge macht das Gift“), sodass grundlegend ein Grenzwert für die Leachables festgelegt werden muss. Denn finden kann man Leachables in Spuren immer. Das ist nur eine Frage der Nachweisgrenze. Von entscheidender Bedeutung ist daher die Kenntnis über die Menge an aufgenommenem Füllgut je Zeiteinheit, also zum Beispiel das Applikationsschema von Arzneimitteln. Gesondert zu betrachten sind in der Bewertung High-Risk-Substanzen wie beispielsweise Kanzerogene. Hier ist eine möglichst niedrige Nachweisgrenze entscheidend um bereits geringste Mengen zu detektieren und Schäden für den Patienten auszuschließen.
Das OFI verfügt über detaillierte Erfahrung auf dem Gebiet der Polymere und der Durchführung von Extractables- und Leachables-Studien und bietet diese für alle anwendungsnahen Bereiche der Kunststoffbranche an. Durch die Integration von Spurenanalytik, Material-Know-how und toxikologischer Bewertung kann den Herstellern von Kunststoffprodukten und den Anwendern aus den Bereichen der Pharmazie, der Medizinprodukte und der Lebensmittelwirtschaft ein Instrumentarium angeboten werden, um die Produktsicherheit signifikant zu erhöhen und Entwicklungszeiten von pharmazeutischen Produkten und von Kunststoffprodukten zu verkürzen.