neue verpackung: Markenartikler haben, zumindest ab einer gewissen Größe, ein globales Vertriebsnetz. Nun heißt es ja so schön „andere Länder, andere Sitten“ – was heißt das für das Packaging Design?
Die sinngemäße Übertragung auf das Packaging Design wäre demnach ja: Andere Länder, andere Designsprachen. Dem können wir unserer Erfahrung nach jedoch nur bedingt zustimmen. Das hängt nicht nur mit den Ländern bzw. Märkten an sich zusammen, sondern auch mit der jeweiligen Kategorie, in der sich das Produkt befindet. Eine ebenso wichtige Rolle spielen die Usage Occasion und das anvisierte Produkterlebnis. Genauer ausgeführt bedeutet das, dass bestimmte Kategorien funktionaler bzw. rationaler sind als andere. In der Praxis wird hier häufig von Low-Involvement-Produkten gesprochen, wo naturgemäß visuelle Unterschiede geringer ausgeprägt sind, als bei High-Involvement Produkten, bei denen die Konsument*innen erst überzeugt werden müssen.
Einen großen Unterschied gibt es insbesondere bei Produkten aus dem Food Bereich, da Taste Appeal kulturell ganz anders interpretiert wird und andere Designcodes gelernt sind. Das sieht man insbesondere bei Produkten, bei denen Natürlichkeit als Kernelement visuell betont werden sollen. Was beispielsweise in der DACH-Region visuell als besonders natürlich gelernt ist, kann schon in Süd- oder Osteuropa ganz anders aussehen. Ähnlich verhält es sich mit dem Thema Vertrauen – eines der höchsten Güter von Marken. Vertrauen erweckend ist zunächst immer das, was von uns als vertraut wahrgenommen wird – also von uns als Gesellschaft in der jeweiligen Kultur als bereits gelernt gilt. Dem gegenüber stehen jedoch Produkte und Kategorien, bei denen andere Märkte und Länder als authentischer oder prägend wahrgenommen werden. Hier sehen wir dann eher Designcodes, die Kategorie oder Themen bezogen sind und sich nicht unbedingt in den jeweiligen Ländern differenzieren. Ein exemplarisches Design-Phänomen wäre hier zum Beispiel, dass „Skandinavische Designs“ als besonders passend für naturnahe Themen gesehen und codiert werden.
neue verpackung: Gibt es Branchen bzw. Produkte, in denen die Unterschiede besonders ausgeprägt sind oder vielleicht sogar welche, bei denen das Design weltweit ohne Anpassungen zum Einsatz kommt?
Wie gerade bereits erwähnt, gibt es Phänomene, wie das „Skandinavische Design“, die marktübergreifend Anwendung finden. Generell ist es sicher auch richtig, dass durch die fortschreitende Globalisierung und immer digitaler und vernetzter werdende Welt die Unterschiede geringer werden. Zumindest werden Designcodes, die als spannend oder besonders passend für eine Kategorie oder Produkterlebnis empfunden werden, schneller kopiert und finden global Anklang. Dennoch gibt es immer noch visuelle Unterschiede. Vor allem zwischen verschiedenen Kontinenten. Aber auch innerhalb eines Kontinents können visuelle Codes ganz anders gelernt und gesetzt werden. In Europa ist Großbritannien besonders spannend. Wir würden UK-Designs als deutlich bolder und mutiger beschreiben. Unserem Urteil nach wird bei uns noch mehr auf Altbewährtes gesetzt und nur vorsichtig aus gelernten Codes ausgebrochen. Auch aus der Sorge heraus, Bestandskund*innen zu verlieren. Eine Sorge, die auch durchaus ihre Berechtigung hat.
neue verpackung: Nun beschreibt das gerade Gesprochene die Gegenwart. Wie aber glauben Sie, sieht die Zukunft des Packaging Designs aus? Werden die Globalisierung und mehr noch der stark wachsende Online-Handel, wo ja nach Inhalt gesucht und gekauft wird, dazu führen, dass lokale Vorstellungen von Ästhetik ein weniger entscheidende Rolle spielen werden?
Nicht unbedingt. Sicher ist, dass visuell mehr getestet werden wird. Designsprachen und visuelle Codes sind heute global viel sichtbarer als früher und finden dadurch immer mehr Anklang. Das bedeutet auch, dass ästhetische Merkmale aus anderen Ländern und Kulturen auf andere Märkte adaptiert werden – sofern sie zur jeweiligen Markenstory oder den Produkten passen. Eine Sache, die sich seit Erfindung der Marke jedoch nie ändern wird, ist die der Differenzierung – also die visuelle Markierung, um sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Das bedeutet auch, dass es in Zukunft regionale oder lokale Designcodes gibt, um beispielsweise eine bestimmte Region visuell hervorzuheben oder als Herkunft zu markieren. Regionalität ist in der Gesellschaft bei weitem kein schwindender Wert, sondern hat in den letzten Jahren wieder zunehmend an Bedeutung gewonnen. Das liegt zu großen Teilen an der wachsenden Bedeutung von Nachhaltigkeit ausgelöst durch die globale Klimakrise und zum anderen auch an gesellschaftlichen Krisen, wie die Corona Pandemie, dem Russland-Ukraine-Krieg, steigender Inflation und dem Energieembargo. In unsicheren Zeiten sehnen sich Menschen nach einem Gefühl der Sicherheit und Vertrautheit. Das Bedürfnis nach Vertrautheit in Bezug auf Produktkonsum kann auch durch visuelle und regionale Codes bedient werden. Die Frage ist nur, ob all diese Codes in der Zukunft noch auf die Verpackung selbst gedruckt werden oder das Produkterlebnis sich ins Digitale verlagert, so dass die Primärverpackungen, auch im Sinne der Nachhaltigkeit, auf das Wesentliche reduziert werden - den Schutz des Inhalts.
WIN Creating Images auf dem Packaging Summit 2023
Sie interessieren sich für Verpackungsdesign? Dann kommen Sie einfach am 20. und 21. Juni 2023 nach Hamburg auf den 6. Packaging Summit. Hier können Sie unter anderem auch Melvin Fahl und Patrick Stöppler, WIN Creating Images mit ihrem Vortrag „Ist Design eine Weltsprache? Jein!“ hören – und natürlich auch sprechen.
Außerdem (unter anderem) mit dabei: Peter Schmidt Group, Verbraucherzentrale Hamburg, Koenig & Bazer Sheetfed, Beiersdorf, Henkel, dm, Mülltrennung wirkt, Der Grüne Punkt, Metsä Board, Pro Carton und Nestlé.
Alle Informationen zur Veranstaltung rund um die Welt der Verpackung finden Sie unter https://www.packagingsummit.de/
Nachhaltige Verpackungen: der große Überblick
Sie wollen alles zum Thema nachhaltige Verpackungen wissen? Klar ist, dass der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen in den kommenden Jahren stark steigen wird. Aber das Thema ist komplex: Wann gilt denn überhaupt eine Verpackung als nachhaltig und welche Kriterien müssen dabei künftig erfüllt sein? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.