Hand, die auf virtuelles Spiel zeigt

Gamification kommt bereits an vielen Stellen zum Einsatz – bald auch im Verpackungsbereich? (Bild: Sergey – stock.adobe.com)

In der Produktentwicklung werden Spiele vor allem auf zwei unterschiedliche Weisen eingesetzt: Durch das Einsetzen vollständiger Spiele, sogenannter Serious Games, und durch das Verwenden von Spieldesignelementen, auch genannt Gamification [1]. Sie lassen sich vor allem für die Erhöhung der Nutzungsintensität sowie die Steigerung der Motivation der Nutzenden zu einem gewünschten Verhalten einsetzen. Diese Ziele können beispielsweise mithilfe von Belohnungen, Erfolgserlebnissen und dem Erzeugen von Wettbewerb erreicht werden. Typische Elemente, die für Gamification eingesetzt werden, sind unter anderem Ranglisten, Fortschrittsanzeigen, Feedbacksysteme und Quests.

Zu beachten ist, dass der Einsatz von Gamification meist einen ergänzenden oder anpassenden Charakter hat. Das heißt, dass die Spiele-Komponenten bisher vor allem als ergänzendes Mittel zum Zweck eines bereits bestehenden Systems eingesetzt werden [2]. Eine willkürliche spielerische Gestaltung führt hierbei meist nicht zum Erfolg, da es eines geeigneten Konzepts bedarf, um auf die individuellen Bedürfnisse der Anwendenden einzugehen und nachhaltige Effekte zu erreichen. Wenn dies aber gelingt, können Unternehmen Gamification und Serious Gaming (im Folgenden GuSG) gezielt für die Erhöhung der Produktivität und Zufriedenheit ihrer Mitarbeitenden einsetzen.

Während es sich bei GuSG um bereits länger bekannte Konzepte handelt, lassen sich mittlerweile auch Spie-le, die ursprünglich zu Unterhaltungszwecken entwickelt wurden, für die Produktentwicklung nutzen. In Satisfactory oder Production Line: Car factory simulation werden beispielsweise unter anderem Produktionslinien aufgebaut, Prozesse und Abläufe optimiert und repetitive Abläufe durchlaufen. Durch die Beobachtung der Spielenden und das Sammeln der Spieldaten können Rückschlüsse für die Entwicklung realer Produktions-prozesse gezogen werden.

Spiel mit Industriehalle
Der natürliche Spieltrieb kann zur Mitarbeitermotivation genutzt werden. (Bild: OpenAI/Dall-E)

Praktische Anwendung von Gamification

Gamification lässt sich im Verpackungsmaschinenbau für die Anpassung und Ergänzung von sowohl Methoden und Prozessen als auch der Gestalt und Funktion von Verpackungen anwenden; Serious Gaming findet vor allem im Training und in der Ausbildung von Fachkräften seinen Einsatz. Im Folgenden sollen erfolgreiche Beispiele für solche Umsetzungen gezeigt werden, um die Potenziale von GuSG aufzuzeigen.

Von der Gamifizierung von Verpackungen können sowohl Unternehmen als auch ihre Kunden profitieren, da sich hierdurch für die Kunden Vorteile durch die Erweiterung der Funktionen, die Erhöhung von Spaß und Zufriedenheit der Kunden sowie pädagogische und soziale Effekte ergeben [3] und Unternehmen von der Stärkung ihrer Marken und der Kundenbindung profitieren können. Dies ist beispielsweise in der McDonald’s-Monopoly-Kampagne, in der die Kunden durch Abziehsticker Belohnungen gewinnen und Teil einer Sammelaktion werden können, oder bei Spielen auf der Rückseite von Zerealienverpackungen zu beobachten. Des Weiteren bieten smarte Verpackungen, beispielsweise mit QR-Codes und Augmented-Reality-Schnittstell-en, Chancen, gamifizierte Interaktionen mit der Verpackung zu ermöglichen.

Amazon und Starbucks setzen wiederum GuSG in ihren Methoden und Prozessen in der Logistik ein. Das Projekt „FC Games“ von Amazon belohnt Mitarbeitende für eine erhöhte Produktivität durch acht Mini-Spiele mit unterschiedlichen Designs und Komplexitätsgraden, die den aktuellen Arbeitsstand anzeigen, und wird eingesetzt, um repetitive und mühselige Arbeiten angenehmer zu gestalten [4].

In den Spielen können beispielsweise durch Erledigen von Arbeitsschritten ähnlich zu Spielen mit Trophäen­systemen Tiere gesammelt und auf verschiedene Stufen weiterentwickelt werden, wodurch das Belohnungssystem der Mitarbeitenden angesprochen wird [5]. Starbucks fördert sowohl die individuelle Leistung ihrer Mitarbeitenden in der Lieferkette als auch die Zusammenarbeit durch ein Punktesystem und konnte so die Erhöhung der Effizienz, die Reduktion von Notfalllieferung und die Einsparung von Kosten erreichen [6].

Beispiele für den Einsatz von GuSG im Training und der Ausbildung sind ein gamifizierter, virtueller Getrie-beworkshop sowie einer VR-Kreativitätsumgebung am IPEK - Institut für Produktentwicklung am KIT oder die Schweißsimulationsumgebung Guideweld VR, in denen die Vorteile der virtuellen Umgebungen, beispielsweise risikoarmes Arbeiten und neue Informations- und Darstellungsmöglichkeiten, genutzt werden [7][8][9].

Szene aus dem virtuellen Getriebeworkshop am IPEK.
Szene aus dem virtuellen Getriebeworkshop am IPEK. (Bild: IPEK)

Integrierte Produktentwicklung

Die Implementierung von GuSG geht häufig mit der Erfassung von Daten einher, damit Elemente wie das Sammeln von Belohnungen und Fortschrittsanzeigen umgesetzt werden können. Während das Personal von der Erhöhung der Motivation und somit der eigenen Zufriedenheit profitiert, können Unternehmen die Daten verwenden, um beispielsweise erfolgreiche Mitarbeitende zu identifizieren, Bewegungsabläufe zu erfassen, die Ergonomie von Produktionsanlagen zu verbessern, eine frühe Kundeneinbindung zu ermöglichen und den Einfluss von Änderungen am System zu analysieren.

Das IPEK identifizierte insbesondere in Verbindung mit den Potenzialen des Metaverses für Visualisierungen und Analysen Chancen für die parallele, kundenorientierte Entwicklung von Produkt und Produktionssystem [10]. Die Relevanz der frühen Kundeneinbindung für die Entwicklung von Verpackungsmaschinen und -prozessen zeigte sich nicht zuletzt in der Kooperation mit der Gerhard Schubert GmbH im Innovationsprojekt „Integrierte Produktentwicklung“ zum Thema „Kundenorientierte, flexible Verpackungsprozesse und -maschinensysteme für die Verpackung der Zukunft“ [11].

Mit Spielen zu mehr Fachkräften und Nachwuchs

Nach einer Studie der DAK spielen 72,5 % der Jugendlichen regelmäßig Computerspiele [12]. Diese Begeisterung lässt sich auch in der Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitenden nutzen. Angestellte eines Logistikunternehmens gaben zu 84 % an, dass sie wahrscheinlicher bei einem Unternehmen bleiben würden, das Gamification am Arbeitsplatz anbietet [13] und die IHK wirbt um Auszubildende, indem sie ihnen eine gamifizierte VR-Umgebung für die Berufsorientierung anbietet [14].

Auch am Karlsruher Institut für Technologie soll das neu entstehende Lern- und Anwendungszentrum Mechatronik im Metaverse und potenziell durch Spiele­elemente unterstützt Studierenden sowie Schülerinnen und Schülern weltweit zugänglich gemacht werden, um sie für Technikstudiengänge und -ausbildungen zu begeistern und gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

Damit der Einsatz von GuSG tatsächlich akzeptiert wird, müssen Datenschutzfragen frühzeitig geklärt, Schnittstellen und Regelwerke an die individuellen Mitarbeitendenbedarfe und -fähigkeiten angepasst und eine faire, betrugsverhindernde Bewertung der Arbeitsergebnisse ermöglicht werden.

Gamification in Forschung und Entwicklung

In der Forschung konnten GuSG in Studien und Forschungsprojekten nachgewiesen erfolgreich eingesetzt werden, um die Dauer von Produktionsprozessen bei gleichbleibender Qualität zu verkürzen, die Motivation der Mitarbeitenden zu erhöhen, die Fehlerrate zu verringern und die Produktivität zu erhöhen [15][16][17].

Eine besondere Herausforderung ist dabei die Multidisziplinarität des Themas. Während es sich bei den Fragen nach extrinsischer und intrinsischer Motivation und Zufriedenheit von Mitarbeitenden um Fragen der Psychologie handelt, findet die Anwendung und Umsetzung häufig im Bereich der Informatik und im Ingenieurswesen statt. Um die Anwendung in Unternehmen zu fördern, existieren allgemeine Frameworks wie das 6D-Framework, Octalysis-Framework oder MDA-Framework, die den Gamificationprozess begleiten und allgemeine Hilfestellungen für die Konzeptionierung und Gestaltung bieten, teilweise auch branchenspezifische Frameworks.

Im Zeitalter der realistischen Erwartungen

Gartner ordnete 2022 Gamification im Hype Cycle im Plateau der Produktivität an [18]. Folglich ist der erste Hype inklusive der übermäßigen Erwartungen bereits überschritten und die Umsetzung in geeigneten und relevanten Gebieten wird fokussiert, wobei ein positiver Trend für die Anwendung von Gamification in Ferti-gungsprozessen zu erkennen ist [19]. Es ist davon auszugehen, dass sich der gezielte Einsatz von Gamification in der kommenden Zeit in passenden Gebieten mit realistischen Erwartungshaltungen verstärkt verbreiten wird.

Auch wenn Gamification kein Wundermittel ist, das unliebsame Aufgaben plötzlich zu beliebten Aufgaben macht, bietet sie große Potenziale für den Verpackungsmaschinenbau. Nicht nur die Gamifizierung von Verpackungen, sondern auch die Anpassung und Ergänzung von Prozessen bieten Chancen für eine verbesserte Arbeitsumgebung, eine erhöhte Produktivität und eine frühe Ein­­­be­­ziehung von Kunden in Entwicklungsprozesse. Besonders mit der Weiter- und Neuentwicklung der Gamification­ansätze ist es nicht die Frage, ob Gamification, Serious Games und Spieletechnologien auch im Verpackungsmaschinenbau Einzug halten, sondern wann und in welcher Intensität. Die Chancen, die sich durch die fortschreitende Digitalisierung von Verpackungs­prozessen ergeben, sollten frühzeitig ergriffen werden, um einen ganzheitlichen Ansatz in der Konzeptionierung zu verfolgen und auf spätere, aufwendige Anpassungs­maßnahmen verzichten zu können.

Auch am Institut für Produktentwicklung wird intensiv an der Anwendung von Gamification und Serious Gaming geforscht. Der Fokus liegt hierbei aufgrund der großen Potenziale für die Industrie und ihre Arbeitnehmer in besonderem Maße auf dem Transfer der Forschung in die Wirtschaft und Industrie.

Literaturangaben:
[1]    Deterding, S., Khaled, R., Nacke, L. u. Dixon, D.: Gamification: Toward a definition. CHI '11 Extended Abstracts on Human Factors in Computing Systems. New York, NY, USA: ACM 2011
[2]    Spekker, M. W., Schwarz, S. E., Bastian, A., Fischer, M., Albers, A. u. Düser, T.: Understanding of Gamification in Product Engineering – A Systematic Literature Review. In: Malmqvist, J., Candi, M., Saemundsson, R. J. u. Bystrom, F. and Isaksson, O. (Hrsg.): DS 130: Proceedings of NordDesign 2024, Reykjavik, Iceland, 12th - 14th August 2024. NordDesign. 2024
[3]    Syrjälä, H., Kauppinen-Räisänen, H., Luomala, H. T., Joelsson, T. N., Könnölä, K. u. Mäkilä, T.: Gamified package: Consumer insights into multidimensional brand engagement. Journal of Business Research 119 (2020), S. 423–434
[4]    Statt, N.: Amazon expands gamification program that encourages warehouse employees to work harder. The program, FC Games, is expanding to at least 20 fulfillment centers in the US, 2021. https://www.theverge.com/2021/3/15/22331502/amazon-warehouse-gamification-program-expand-fc-games, abgerufen am: 10.10.2024
[5]    Atari 365: Amazon FC Employees Play These Video Games While They Work, 2023. https://www.atari365.com/post/amazon-fc-employees-play-these-video-games-while-they-work, abgeru-fen am: 10.10.2024
[6]    Sainath, K. L. u. Sai, K. T.: Supply chains are playing games: A review literature on Gamification in supply chain. Journal of Future Sustainability 3 (2023) 1, S. 59–66
[7]    Grau, R. M., Bastian, A., Frank, N., Volpp, T. u. Dueser, T.: Immersive Paths for Digital Product Engineering: Evaluation of a Game-Based Virtual Gearbox Workshops in Mechanical Design Education. In: Malmqvist, J., Candi, M., Saemundsson, R. J. u. Bystrom, F. and Isaksson, O. (Hrsg.): DS 130: Pro-ceedings of NordDesign 2024, Reykjavik, Iceland, 12th - 14th August 2024. Nord Design. 2024
[8]    Bastian, A., Hirt, P., Schwarz, S., Düser, T. u. Albers, A.: Adaptation of creativity techniques for virtual environments using TRIZ-Box as an example (im Druck). Procedia CIRP 2023
[9]    Totem Learning Ltd: Guideweld. https://www.totemlearning.com/guideweld-vr-welding-simulation-game, abgerufen am: 10.10.2024
[10]    Düser, T., Fischer, M., Schwarz, S. E., Bastian, A., Freyer, J., Vlajic, K., Eisenmann, M., Matthiesen, S. u. Albers, A.: Application of the Metaverse in Product Engineering – A Workshop for Identification of Potential Field of Action. In: He, S., Lai, J. u. Zhang, L.-J. (Hrsg.): Metaverse – METAVERSE 2023. 19th International Conference, Held as Part of the Services Conference Federation, SCF 2023, Honolulu, HI, USA, September 23–26, 2023, Proceedings. Lecture Notes in Computer Science, Bd. 14210. Cham: Springer Nature Switzerland; Imprint Springer 2023, S. 39–52
[11]    Gerhard Schubert GmbH: Die Studenten haben uns mit ihren Ideen begeistert. Innovationsgeist, 2022. https://www.schubert.group/de/magazin/die-studenten-haben-uns-mit-ihren-ideen-begeistert/, abgerufen am: 10.10.2024
[12]    DAK-Gesundheit: Computerspiele: 465.000 Jugendliche sind Risiko-Gamer. Neue Studie von DAK-Gesundheit und Deutschen Zentrum für Suchtfragen untersucht auch Geldausgaben bei 12- bis 17-Jährigen. Hamburg 2019
[13]    IHK Osnabrück - Emsland - Grafschaft Bentheim: Mit Virtual-Reality-Technologien Auszubildende begeistern, 2023. https://www.ihk.de/osnabrueck/servicemarken/aktuell/pressemeldungen/pressemeldungen-2023/mai-2023/mit-virtual-reality-technologien-auszubildende-begeistern-5809516, abgerufen am: 10.10.2024
[14]    Lucas Systems, Inc.: Gamification. The next evolution of warehouse workforce engagement. Lucas Insights, 2024. https://www.lucasware.com/knowledge-center/gamification/, abgerufen am: 10.10.2024
[15]    Dolly, M., Nimbarte, A. u. Wuest, T.: The effects of gamification for manufacturing (GfM) on workers and production in industrial assembly. Robotics and Computer-Integrated Manufacturing 88 (2024), S. 102722
[16]    Liu, M., Huang, Y. u. Zhang, D.: Gamification's impact on manufacturing: Enhancing job motivation, satisfaction and operational performance with smartphone‐based gamified job design. Human Factors and Ergonomics in Manufacturing & Service Industries 28 (2018) 1, S. 38–51
[17]    Günthner, W. A., Klevers, M. u. Sailer, M. (Hrsg.): Forschungsbericht zu dem IGF-Vorhaben Game-Log - Gamification in der Intralogistik der Forschungsstellen Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik, Technische Universität München und Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, Ludwig-Maximilians-Universität München. Garching: fml - Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik Technische Universität München 2015
[18]    Perri, L.: Neues in der digitalen Verwaltung aus dem Gartner Hype Cycle 2022, 2022. https://www.gartner.de/de/artikel/neues-in-der-digitalen-verwaltung-aus-dem-gartner-hype-cycle-2022, abgerufen am: 10.10.2024
[19]    Keepers, M., Nesbit, I., Romero, D. u. Wuest, T.: Current state of research & outlook of gamification for manufacturing. Journal of Manufacturing Systems 64 (2022), S. 303–315

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