Der Entwicklungsprozess von Verpackungen wird durch den Einsatz von KI deutlich effizienter.

Der Entwicklungsprozess von Verpackungen wird durch den Einsatz von KI deutlich effizienter. (Bild: Ideogram.ai)

neue verpackung: Herr Carstens, im Juni 2023 hatten wir darüber gesprochen, wie KI erste Anwendungen in der Verpackungsentwicklung findet. Was hat sich seither konkret verändert und welchen Einfluss hat das auf Ihre tägliche Arbeit?

Moritz Carstens, Executive Creative Director bei Mutabor
Moritz Carstens, Executive Creative Director bei Mutabor (Bild: Mutabor)

Moritz Carstens: KI ist aus unserem Arbeitsalltag nicht mehr wegzudenken, wir setzen sie mittlerweile ganz selbstverständlich in verschiedenen Projektphasen ein. Die Modelle sind deutlich leistungsfähiger geworden und wir haben intern Know-how aufgebaut. Dadurch kommen wir schneller von der ersten Idee zu weit ausgearbeiteten Entwürfen. Das Ausprobieren unterschiedlicher Stile beispielsweise geht dank generativer KI effizienter und auch facettenreicher.

Wir können auch Routineaufgaben wie das Anvisualisieren von Prototypen oder die Marktrecherche optimieren – da ist KI eine riesige Hilfe. Außerdem nutzen wir KI, um kleine Marktforschungen zu simulieren. Dabei erstellen wir beispielsweise Heatmaps oder lassen Entwürfe aus der Sicht von Zielgruppen bewerten, was erstaunlich gut funktioniert. Der Datenschutz ist inzwischen auch kein großes Problem mehr. Wir haben eigene, sichere Tools entwickelt und „Ways of Working“ sowie einen „Code of Conduct“, die uns erlauben, sicher mit den neuen Tools für unsere Kund:innen zu arbeiten.

neue verpackung: Wie hat sich das Verständnis und die Akzeptanz von KI in Ihren Teams oder bei Ihren Kunden entwickelt?

Carstens: Das ist deutlich gereift. Anfangs gab es Vorbehalte – manche Designer hatten Sorge, dass die eigene Kreativität durch die Technik verdrängt wird. Diese Ängste haben sich aber mit der praktischen Erfahrung gelegt.

Wir glauben ganz stark an das Zusammenspiel von Mensch und Maschine – an die „Human Intelligence“ in Kombination mit der „Artificial Intelligence“. Die Designer werden zu Impulsgebern und Kuratoren. Die Maschine übernimmt die Ausarbeitung und Reproduktion auf verschiedenen Touchpoints. Diese „Brand Intelligence“, die dadurch entsteht, hilft unseren Kunden, die Qualität und Effizienz der Markensteuerung zu steigern. Die KI ist also ein mächtiges Werkzeug, das ohne den Menschen aber doch nicht so intelligent ist.

Auch bei unseren Kunden beobachten wir eine wachsende Akzeptanz. Wir geben zwar immer noch Workshops, um zu zeigen, was KI kann und wofür sie eingesetzt werden kann, aber inzwischen nutzen viele selbst verstärkt KI-Tools. Die Gewöhnung erfolgte unglaublich schnell.

neue verpackung: Welche neuen KI-Technologien oder Tools halten Sie aktuell für besonders relevant in der Verpackungsentwicklung?

Carstens: Besonders relevant sind derzeit generative KI-Modelle – sowohl im Bild- als auch im Textbereich. Auf der kreativen Seite nutzen wir generative Bild-KI (beispielsweise Firefly oder Midjourney), um innerhalb von Minuten visuelle Ideen in unterschiedlichen Stilen für diverse Touchpoints zu erzeugen, die früher tagelange Illustrationen oder Fotoshootings erfordert hätten. Ebenso spannend finde ich Sprachmodelle. Mit dem richtigen Modell können wir gezielt Tonalitäten adaptieren oder Übersetzungen anfertigen – das funktioniert beeindruckend gut.

Darüber hinaus beobachten wir KI-gestützte Analysetools, die für Verpackungsdesigner Gold wert sind. Sie können beispielsweise riesige Datenbanken mit bestehenden Verpackungsdesigns, Materialien und Verkaufszahlen durchforsten und daraus lernen. So erhalten wir datengestützte Vorschläge, welche Designelemente bei bestimmten Zielgruppen gut funktionieren oder wie wir ein Layout optimieren können, bevor wir es überhaupt prototypisch drucken.

Im Kommen sind auch spezialisierte Packaging-AI-Plattformen. Einige Anbieter können bereits auf Knopfdruck druckfertige PDFs oder Indesign-Dateien generieren – sofern ein skalierbares Designsystem hinterlegt ist. Das steht zwar noch am Anfang, hat aber enormes Potenzial, um Routinearbeiten in der Artwork-Erstellung zu automatisieren. Insgesamt halte ich die Kombination aus generativer Kreativ-KI und analytischer KI für am relevantesten – also Tools, die einerseits neue Ideen hervorbringen und andererseits diese direkt prüfen beziehungsweise weiterentwickeln können. So decken wir den gesamten Entwicklungsprozess effizienter ab.

neue verpackung: Sie hatten im ersten Interview betont, dass Datenqualität entscheidend ist. Haben Sie hier mittlerweile bestimmte Strategien zur Datenerhebung oder -vernetzung entwickelt?

Carstens: Absolut – gute Daten sind das A und O, wenn man KI erfolgreich einsetzen will. Wir haben daher in den letzten zwei Jahren viel in unsere Datenstrategie investiert. Wir füttern unsere KI-Tools primär mit selbst erhobenen und kuratierten Daten oder nutzen Modelle, die auf lizenzfreiem Material basieren.

Wichtig ist uns auch die Vernetzung der Daten. Silos helfen der KI nicht weiter. Deshalb versuchen wir, verschiedene Datenquellen zu verknüpfen – etwa Design-Assets mit Consumer-Feedback oder Produktionsdaten. Ein Beispiel: Wir analysieren, wie sich bestimmte Designentscheidungen – etwa eine Farbwahl oder Materialart – auf Abverkaufszahlen oder das Verbraucherverhalten auswirken. Solche vernetzten Daten geben der KI einen Kontext und ermöglichen es ihr, fundiertere Empfehlungen zu geben. Außerdem achten wir konsequent auf Datenqualität im Sinne von Relevanz und Aktualität. Lieber weniger, aber verlässliche Daten verwenden, als wahllos alles in die KI zu kippen.

neue verpackung: Welche Rolle spielt die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Stakeholdern – etwa Marketing, Produktion oder Logistik – bei der KI-basierten Entwicklung von Verpackungen heute?

Carstens: Mehr denn je müssen alle beteiligten Disziplinen Hand in Hand arbeiten, wenn KI ins Spiel kommt. Warum? Weil KI ganzheitliche Lösungen vorschlagen kann, die alle Abteilungen berücksichtigen – aber nur, wenn wir die entsprechenden Informationen auch von allen Stakeholdern einspeisen. Zugegebenermaßen ist das noch ein wenig Zukunftsmusik, weil große Konzerne meistens noch nicht so aufgestellt sind. Aber die Reise wird genau dorthin gehen – da bin ich mir sicher.

neue verpackung: Wo sehen Sie aktuell noch die größten Hürden beim Einsatz von KI in der Verpackungsentwicklung – technisch, organisatorisch oder auch regulatorisch?

Carstens: Technisch stößt generative KI im Packaging-Bereich weiterhin an Grenzen. Zwar erstellen wir beeindruckende Renderings und Designs per KI, aber daraus eine druckfähige Verpackungsdatei zu machen ist aufwendig. Ein von KI generiertes Layout muss meist von Designern sauber in unsere Grafiksoftware übertragen werden. Es fehlt beispielsweise an Präzision wie exakten Schnittmustern oder druckspezifischen Einstellungen – ein direkt nutzbares Produktions-PDF liefert die KI in der Regel nicht. Das erschwert auch die Übertragbarkeit auf verschiedene Verpackungsformate. Kurz: Ohne den menschlichen Feinschliff geht es derzeit noch nicht.

Organisatorisch besteht die Herausforderung darin, den Wandel zu managen. KI bringt andere Arbeitsabläufe – wir brauchen neue Skills im Team, müssen Prozesse anpassen und auch Entscheidungswege neu denken. Eine weitere Hürde ist die Datenbeschaffung und -freigabe: Oft schlummern in Unternehmen wertvolle Daten (beispielsweise aus Marktforschung oder Produktionsqualität), die für KI-Modelle nützlich wären. Aber sie liegen in unterschiedlichen Abteilungen oder sind aus Datenschutzgründen nicht leicht nutzbar. Dieses Silodenken aufzubrechen ist eine Aufgabe, an der viele Organisationen noch arbeiten.

neue verpackung: Welche Entwicklungen erwarten Sie in den nächsten 12 bis 24 Monaten? Gibt es Themen oder Einsatzfelder, die derzeit noch unter dem Radar laufen, aber großes Potenzial haben?

Carstens: Viele Softwareanbieter – ob Adobe oder spezielle Packaging-Software – arbeiten bereits daran, KI-Funktionen nahtlos in die Designumgebungen einzubetten. Das heißt: Ein User merkt vielleicht gar nicht mehr, dass er KI nutzt – wenn beispielsweise Layouts automatisch angepasst oder Bildinhalte per Mausklick generiert werden. Diese Konvergenz von KI und gängigen Tools wird die Anwendung weiter vereinfachen und verbreiten.

Außerdem erwarte ich erhebliche Fortschritte bei multimodalen KI-Systemen. Diese können gleichzeitig Bilder und Texte verstehen und generieren. Für uns könnte das bedeuten, dass eine KI ein Verpackungsbild analysiert und uns dazu gleich passende Verbesserungsvorschläge oder Marketingtexte liefert – quasi eine 360-Grad-Unterstützung.

Unter dem Radar gibt es tatsächlich ein paar spannende Felder. Eines ist die vollautomatische Varianten-Erstellung: Heute braucht es noch manuelle Arbeit, um ein Design auf zehn verschiedene Größen oder Sprachen anzupassen. Künftig könnten KI-Systeme mit einem hinterlegten Designsystem hunderte Artworks in verschiedenen Formaten und Sprachversionen autonom generieren. Erste Ansätze dafür gibt es schon, aber sie werden vermutlich erst in den nächsten Monaten Marktreife erlangen.

Relativ wenig beachtet, aber sehr interessant, ist zudem die Verknüpfung von KI und intelligenten Verpackungen. Ich denke an Verpackungen, die mit Sensorik oder digitalem Druck individuelle Botschaften ausspielen – hier könnte KI in Echtzeit Inhalte generieren, die auf Nutzer oder Situation zugeschnitten sind.

neue verpackung: Was würden Sie Unternehmen raten, die jetzt den Einstieg in den KI-Einsatz in der Verpackungsentwicklung planen – worauf sollten sie achten, womit anfangen?

Carstens: Mein wichtigster Rat ist: einfach anfangen, aber mit klarem Fokus. Unternehmen sollten zunächst identifizieren, wo KI im Verpackungsprozess den größten Hebel hat.
Essenziell ist für mich, früh über Rahmenbedingungen nachzudenken und eine Haltung als Unternehmen zu entwickeln. Viele unserer Kunden schauen inzwischen auf ihren Markenkern, um daraus eine KI-Haltung abzuleiten. Habe ich den echten Menschen im Fokus, ist es vielleicht nicht ratsam, Menschen per KI darstellen zu lassen – nicht, weil es nicht funktioniert, sondern weil es womöglich der eigenen Ethik widerspricht. Das muss individuell definiert werden: Wie und wo wollen wir KI einsetzen und vor allem warum?

Dabei haben wir in den letzten Jahren viele Workshops durchgeführt und konnten zahlreiche Kunden befähigen. Darüber hinaus sollten Unternehmen ihre Datenbasis organisieren. KI lernt aus Daten – je besser diese sind, desto besser die Resultate.

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