Durch Künstliche Intelligenz werden auch komplexe Sortier- oder Montieraufgaben lösbar.

Durch Künstliche Intelligenz werden auch komplexe Sortier- oder Montieraufgaben lösbar. (Bild: Zapp2photo – stock.adobe.com)

Redaktion: Der Deutsche Robotik Verband ist Ende letzten Jahres gegründet worden. Was hat sie dazu bewogen? Mit dem VDMA-Fachverband Robotik + Automation gibt es ja bereits einen etablierten Vertreter.

Olaf Gehrels: Man muss da ein wenig ausholen. Zunächst einmal muss man die Lanze für das brechen, was Universal Robots (UR) in den vergangenen Jahren im Markt geleistet hat. Anfangs von etablierten Roboterherstellern noch belächelt und nicht ernst genommen, haben sie ein völlig neues Marktsegment mitetabliert. Mit ihrem benutzerorientierten Ansatz der Bedienoberfläche konnte auch der „gewöhnliche“ Anwender Roboter in Betrieb setzen – ohne große Vorkenntnisse, Schulung oder Ähnliches. 

Derzeit tummeln sich viele neue Unternehmen am Markt, die den Ansatz der Benutzerfreundlichkeit mit neuen innovativen Software-Tools weiterverfolgen. Diese Unternehmen tun sich jedoch schwer Gehör im Markt zu finden. Die etablierten Marktteilnehmer, die auch hervorragende Arbeit leisten, sind sicherlich beim VDMA gut aufgehoben. Auf die Bedürfnisse der KMU bezogen gab es bis dato allerdings keine Interessenvertretung. Diese Lücke werden wir als Deutscher Robotik Verband füllen. 

Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass 90 Prozent aller heute zu fertigenden Tätigkeiten in Deutschland immer noch händisch durchgeführt werden. Allein aus dem Grund, dass es immer noch viel zu aufwendig ist, die Robotik in diese Tätigkeiten einzubinden. Hier spielt natürlich auch die Wirtschaftlichkeit eine große Rolle. Wir sehen uns als Sprachrohr für all die Unternehmen, die das ändern wollen. Deren Interessen, speziell auch in Richtung Sicherheitsfragen, gilt es zu vertreten.

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Es gibt für jeden Roboter eine Aufgabe, aber nicht für jede Aufgabe nur einen Roboter.

Olaf Gehrels, Vorstand Deutscher Robotik Verband
(Bild: Deutscher Robotik Verband)

Redaktion: In ihrem Vorstand verfügen Sie über ein geballtes Maß an Fachwissen, Sie als ehemaligen Deutschland- und Europachef von Fanuc eingeschlossen. Mit Helmut Schmid, ehemaligem Chef von Universal Robots, und heute Geschäftsführer von Franka Emika, haben sie ein weiteres prominentes Gesicht an Bord. Wie sehr hilft das beim Aufbau von Verbandsstrukturen und der Kommunikation mit Unternehmen?

Gehrels: Die Expertise, die Helmut Schmid mitbringt, insbesondere aus seiner Zeit als Mitglied beim VDMA, ist enorm. Das hat uns in der Anfangszeit natürlich ungemein geholfen, erste Strukturen innerhalb des Verbandes zu festigen. Gleichzeitig ist es aber so, dass wir uns als Start-up in der Verbandsbranche betrachten. Das kommunizieren wir auch bewusst, weil wir uns eben auch sehr stark von dem führen lassen, was unsere Mitglieder an uns herantragen. Das ist uns als Verband und auch unserem Vorsitzenden Helmut Schmid wichtig. Ich persönlich habe nach vielen Jahren Fanuc- und Midea- Zugehörigkeit (Muttergesellschaft von Kuka) vor zwei Jahren Coboworx, ebenfalls ein eigenes Start-up, mit drei ehemaligen Weggefährten gegründet. Wir sind sehr nahe an den jungen Unternehmen dran, wie Wandelbots, Robominds, Micropsi und vielen anderen Newcomern aus Deutschland. Genau wie diese jungen Unternehmen richten wir uns als Verband an den Bedürfnissen unserer Mitglieder aus. Indem wir ein Netzwerk schaffen, wollen wir Mitgliedern, die sich seit Jahren mit der Robotik beschäftigen, ermöglichen, sich über die Herausforderungen am Markt auszutauschen.

Redaktion: An was arbeiten Sie gerade?

Gehrels: Eines unserer Projekte ist das Gütesiegel für die Robotik. Dafür arbeiten wir auf Verbandsebene mit den vielen darin aktiven Hochschulen zusammen. Mit dem Gütesiegel wollen wir Unternehmen herstellerübergreifend einen Leitfaden an die Hand geben, welcher Roboter sich für welche Anwendung eignet. Er soll insbesondere Einsteigern in der Robotik als unabhängiges Informationsmedium dienen. 

Im erweiterten Fokus liegt auch das Thema Roboterführerschein beziehungsweise der sichere Umgang mit dem Betriebsmittel Roboter. Sobald der Roboter sich in kollaborierenden Applikationen mit dem Menschen den Arbeitsplatz teilt, sind Mitarbeiter beziehungsweise Strukturen oft überfordert. Ziel ist es, ein Bewusstsein für das Betriebsmittel Roboter zu schaffen.

 

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Die Intralogistik bietet großes Automatisierungspotenzial. (Bild: Nay – stock.adobe.com)

Redaktion: In welchen Zeiträumen planen Sie bei solchen Projekten?

Gehrels: An diesen Projekten arbeiten wir intern mit unseren Fachbereichen ganz konkret. Wichtig ist, dass unsere Mitglieder wissen, was sie erwartet. Stichwort: Hilfe zur Selbsthilfe. Gerade das Thema Sicherheit ist sehr relevant und wird oftmals eher stiefmütterlich von der Herstellerseite behandelt. Mit unserem zweiten Vorsitzenden Christoph Ryll verfügen wir hier über die notwendige Expertise im Verband. Die Hersteller geben die Verantwortung gerne in Richtung der Systemintegratoren und Anwender weiter, für die das Thema dann sehr viel Zeit beansprucht. Wir als Verband wollen diese Thematik auch für den Einsteiger leichter zugänglich gestalten. Bei der entsprechenden Umsetzung benötigen unsere Mitglieder Unterstützung. Denn die Umsetzung der Anforderungen führt häufig dazu, dass eine roboterbasierte Automation nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. Gemeinsam erarbeiten wir pragmatische Lösungen. 

Redaktion: Im Oktober jährt sich die Verbandsgründung: Entwickelt sich der Verband gemäß den selbst gesteckten Zielen?

Gehrels: Unser Ziel ist es, bis zur Automatica im nächsten Jahr die Marke von 1.000 Mitgliedern zu überschreiten. Ein ehrgeiziges Ziel, ja. Aktuell sind wir bei etwa 150 Mitgliedern. Der Bedarf und das Interesse sind groß. Wir sind nicht nur eine Interessensvertretung, wir unterstützen unsere Mitglieder mit konkreten Werkzeugen. Dazu gehört neben dem angesprochenen Gütesiegel und dem Roboterführerschein auch der Zugang zum ZIM-Innovationsnetzwerk. Dabei bieten wir unseren Mitgliedern auch die Möglichkeit, von deutschen und europäischen Förderprogrammen für ihre FuE-Projekte zu profitieren, indem wir sie bei der Überwindung bürokratischer Hürden unterstützen. Es ist ein ganzer Blumenstrauß an Dienstleistungen, die wir anbieten. Je konkreter diese Angebote werden, desto stärker wird sich auch unsere Mitgliedszahl entwickeln.

Redaktion: Einfache Inbetriebnahme und Programmierung: Frühere Hemmschwellen für die Anschaffung von Robotern sinken. Der Startschuss für den flächendeckenden Einsatz in Anwendungsbereichen, deren Automatisierungsgrad bisweilen eher gering und noch ausbaufähig sind?

Gehrels: Natürlich. Mitglieder kommen immer wieder auf uns zu, die die Fertigung für ihre sogenannten high runners, also Produkte, die in großen Stückzahlen gefertigt werden, bereits erfolgreich automatisiert haben. Diese Unternehmen suchen nun vermehrt nach einfachen Automatisierungslösungen für die „Exoten“, also von Bauteilen mit häufiger Varianz und kleinen Losgrößen. Die Kosten für die Automatisierung solcher Anwendungen sind nur leider noch sehr hoch. Gemeinsam mit unseren Mitgliedern möchten wir hier ansetzen. Ziel ist es, mit einer höheren Durchdringung des Marktes andere Stückzahlen zu erreichen, um so auch die wirtschaftliche Grundlage für diese Roboteranwendungen deutlich verbessern zu können.

Redaktion: Stichwort Mensch-Roboter-Kollaboration: Alles nur Hype oder doch ein nachhaltiges Erfolgskonzept für die Industrie?

Gehrels: Es ist viel Hype, den ich persönlich aber als sehr positiv erachte. Er verändert letztlich auch das Bewusstsein von Unternehmen, die Roboter nun auch vermehrt dort einsetzen, wo der einzelne Mitarbeiter entlastet werden kann. Um zusätzlich den Herausforderungen des Fachkräftemangels entgegenzuwirken, müssen technische Lösungen gefunden werden. Die Robotik und Automatisierung ist hier ein probates Mittel. Grundsätzlich ist es so, dass das Thema Mensch-Roboter-Kollaboration dazu dient, das Bewusstsein im Umgang mit Robotern zu sensibilisieren. Getreu nach dem Motto „Der Roboter nimmt mir nicht die Arbeit weg, sondern entlastet mich.“ Wir müssen nun dafür sorgen, dass solch eine Entlastung auch wirtschaftlich darstellbar wird. Ansätze sind im Markt bereits vorhanden, etwa das Thema Mieten beziehungsweise Robot as a Service, kurz RaaS. Das sind alles Puzzlestücke, die dazu führen, dass der Einsatz von Robotik sukzessive eben auch von kleinen und mittleren Unternehmen in Betracht gezogen wird.

 

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Handlingsaufgaben gehören zu den Kernkompetenzen von Industrierobotern. (Bild: Industrieblick – stock.adobe.com)

Redaktion: Welche Regeln müssen beim Einsatz kollaborativer Roboter befolgt werden und wie unterstützen Sie als Verband?

Gehrels: Christoph Ryll unterstützt mit seinem Fachbereich Unternehmen in den Bereichen Normung, gesetzliche Vorgaben und Sicherheit. Hier gibt es eine Reihe von Themen, die es zu beachten gilt: von aktiver und passiver Sicherheit bis hin zu unterschiedlichen Möglichkeiten, um Gefährdungspotenziale auszuschalten oder zu minimieren. Es gibt für jeden Roboter eine Aufgabe, aber nicht für jede Aufgabe nur einen Roboter. Aus diesem Grund ist es wichtig, erst die Aufgabe oder den Prozess zu ermitteln und dann den optimal passenden Kollegen Roboter zu definieren. Und dabei auch den Mut haben, mal neue Wege zu gehen. Denn Innovationen stehen nun mal nicht in den Normen! 

Redaktion: Wie lange dauert es, bis ein Roboter einsatzbereit im Betrieb steht?

Gehrels: Der Prozess dauert heute Wochen oder gar Monate, also leider viel zu lange, das muss zukünftig deutlich schneller gehen. Mit unseren Mitgliedern arbeiten wir an Möglichkeiten und Ansätzen, wie etwa dem digitalen Zwilling, die sämtliche sicherheitsrelevanten Themen bereits in der konzeptionellen Phase der Anlage berücksichtigen und prüfen. Genau das sollte auch der bevorzugte Weg sein. Unsere Mitglieder haben beispielsweise gemeinsam mit dem TÜV und dem IBF aus Österreich sogenannte Vorlagenprojekte, vergleichbar mit Wizards, entwickelt, mit denen die Risikobeurteilung sehr applikationsspezifisch durchgeführt werden kann. Mit der Zielsetzung, dass eine Risikobeurteilung, die heute drei bis vier Tage dauert in drei bis vier Stunden erfüllt werden kann. Es gibt also unterschiedliche Ansätze, um den Aufwand zu minimieren. Unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass der Anwender das Gefühl hat, ein Betriebsmittel im Haus zu haben, das beherrschbar ist.

Redaktion: Blicken wir auf das aktuelle Marktgeschehen: Die Corona-Pandemie ging auch an der deutschen Industrie – hier im speziellen auch an der Robotik und Automation – nicht spurlos vorbei. Nach einem eher verhaltenen Jahr 2020 zeigt die Kurve für 2021 in Sachen Absatzzahlen aber wieder nach oben. Wie ist Ihre Prognose für das laufende Jahr und darüber hinaus? 

Gehrels: Die International Federation of Robotics (IFR) ist in Sachen Prognosen sehr zuversichtlich. Wir als Deutscher Robotik Verband teilen diese Einschätzung. Die Zahlen, die der IFR hinsichtlich Wachstumsprognosen herausgeben hat, spiegeln sich auch in den Gesprächen mit unseren Mitgliedern wider. Der Markt wird wieder zweistellig wachsen. Corona war sicherlich ein enormer Beschleuniger für alle digitalen Themen und damit auch für das Bewusstsein, dass ein intelligenter Einsatz von Robotik eine sinnvolle Entlastung darstellen kann. Wir sehen der Zukunft sehr positiv entgegen. 

Redaktion: In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland auch eine breite Start-up-Szene in den Bereichen kollaborative Robotik und Low-cost-Ansätzen etabliert. Eine Bedrohung für die etablierten Platzhirsche am Markt oder Startschuss für weitere Innovationen innerhalb der Branche? 

Gehrels: Sowohl als auch. Es gibt ja den bekannten Tesla-Effekt. Das, was Tesla in der Automobilindustrie bewirkt hat, hat etwa Universal Robots in der Robotik geschafft. Das setzt sich mit den neuen Marktteilnehmern im Marktumfeld der Robotik fort. So hat sich beispielsweise das Softwareunternehmen Micropsi Industries auf Künstliche Intelligenz für Industrieroboter spezialisiert. Eine eigens entwickelte Zusatzkomponente ermöglicht es, Industrierobotern ihre Arbeitsumgebung mit Kameras wahrzunehmen und ihre Bewegungen an die Gegebenheiten anzupassen. Solche Entwicklungen treiben natürlich auch die etablierten Roboterhersteller an, die jetzt auch nachziehen. Im Markt ist eine enorme Dynamik, die das Innovationstreiben in der Branche belebt. Altlasten, wie sie die etablierten Platzhirsche am Markt herumtragen, besitzen Start-ups nicht. So können sie sich viel freier an die Herausforderungen wagen. Im sogenannten War of talents besitzen junge Start-ups meines Erachtens wesentliche Wettbewerbsvorteile. Sie können junge, hungrige Talente für innovative Themen eher begeistern, als etwa die eta­blierten Marktteilnehmer. Ein schönes Beispiel ist sicherlich der Automobilkonzern Volkswagen. Für VW ist es ungemein schwerer, sich als junges, agiles Unternehmen zu präsentieren, das innovative Technologiethemen vorantreibt. Ein Tesla tut sich hier um ein vielfaches leichter. Das ist in der Robotik-Branche nicht anders. Von daher: Ja, es wird einen weiteren Tesla-Effekt geben – ausgelöst durch die Themen No-Code-Programmierung und eben Künstliche Intelligenz. 

Redaktion: Der Markt für fahrerlose Transportsysteme (FTS) boomt. Immer mehr Systeme unterschiedlicher Anbieter sprießen regelrecht aus dem Boden. Wie sehr passen bereits jetzt Unternehmen ihre Produktion auf ein ganzheitliches Materialflusskonzept an und welche neuen Herausforderungen entstehen dadurch – sowohl für die Unternehmen als auch die Verbände?

Gehrels: Wir sind gerade dabei, hierfür einen eigenen Fachbereich auf die Beine zu stellen. Der Bereich Intralogistik bietet ein enormes Automatisierungspotenzial. Viele Tätigkeiten werden hier noch per Hand vollführt. Wo in der Logistik noch die Sackkarre dominiert, ist es noch ein weiter Weg zur Robotik – auch wenn die Technik eigentlich vorhanden ist. Durch autonom agierende, mobile Plattformen kommt die Robotik nun zum Menschen. Künftig werden auch vermehrt Leichtbauroboter in Verbindung mit mobilen Plattformen dazu eingesetzt, den Materialfluss in einem Unternehmen abzudecken. Mit der mobilen Robotik ergeben sich wiederum neue sicherheitstechnische Herausforderungen, die es zu lösen gilt. Das trifft auch auf die Gefährdungspotenziale zu, die sich ändern, sobald ein Roboterarm auf ein mobiles Plattformsystem montiert wird. Daran arbeiten unsere Fachbereiche. 

Redaktion: Auch am Thema Künstliche Intelligenz kommt man derzeit nicht vorbei. Wie sehr profitieren hier Bereiche wie Robotik?

Gehrels: Realistisch erwarten kann man, dass Roboter zukünftig in Bereichen eingesetzt werden, die heute schlichtweg noch nicht automatisiert sind. Was mithilfe Künstlicher Intelligenz bereits heute möglich ist, veranschaulicht beispielsweise eines unserer Gründungsmitglieder, Robominds. Unter Anwendung Künstlicher Intelligenz ist das Unternehmen in der Lage, Blutproben in Kunststoffröhrchen unterschiedlicher Farbgebung aus Schüttgut zu vereinzeln und zu magazinieren. 

Künstliche Intelligenz wird in Zukunft die Programmierung weitestgehend überflüssig machen. Der Trend geht klar in Richtung No-Code-Programmierung. Das ist der neue Benchmark. Dafür wird jedoch auch die entsprechende Rechenleistung benötigt. Nur dann lassen sich Algorithmen oder Search Engines auf ihre Aufgaben konditionieren. Der Roboter wird sich dann selbst beibringen, was er zu tun hat. Es erschließen sich also komplett neue Einsatzmöglichkeiten. Letztendlich wird die Künstliche Intelligenz dazu beitragen, die Aufbruchstimmung in der Robotik und damit Automatisierungslösungen weiter zu entfachen, und damit auf eine wirtschaftlich erschwingliche Basis zu stellen.

Die Fragen stellte Dominik Bechlarz, Redaktion PLASTVERARBEITER

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