In der Getränkeabteilung wetteifern viele verschiedene Verpackungen um die Aufmerksamkeit der Käufer. Umso wichtiger ist daher, wie ein Produkt im Regal wirkt. Der Verpackungshersteller West-Rock hat die Anforderungen seiner Kunden verstanden und seinen gesamten Wertschöpfungsprozess, zu dem auch der Bau maßgeschneiderter Anlagen für seine Kunden gehört, danach ausgerichtet. Von der Verpackungsidee bis zur Umverpackung von Getränkeflaschen in zum Beispiel Vierer-, Sechser- oder Achter-Packs auf eigenen Linien setzt das Unternehmen konsequent auf digitales Engineering und hat dabei ein erhebliches Einsparpotenzial identifiziert.
Durchgängig digitaler Workflow
Die Designer von West-Rock testen für ihre Kunden über einen virtuellen Supermarkt bereits vor der Produktion, was am Ende im Regal stehen wird. So können sie zum Beispiel mehrere Varianten einer neuen Gebindegröße in die Regale platzieren, sofort berechnen, wie viele Gebinde in den vorhandenen Regalraum passen, ob das Gewicht für die Käufer noch angenehm ist und wieviel Platz die Waren im Einkaufswagen einnehmen. Bevor sie dem Getränkehersteller die neue Umverpackung vorschlagen und im virtuellen Supermarkt anschaulich präsentieren, senden sie die Daten aber erst einmal an einen Kollegen in der Arbeitsvorbereitung. Der übernimmt die Daten und prüft in seiner Simulationssoftware, ob und mit welchem Aufwand die neue Verpackung auf seiner West-Rock Anlage zu welchen Stückkosten hergestellt werden kann.
Vom ersten CAD-Mausklick an können alle Konstruktionsdaten in die 3-D-Experience-Plattform von Dassault Systèmes einfließen. Noch bevor ein Monteur die erste reale Schraube anzieht, optimieren die Konstrukteure alle Antriebe und Kinematiken bis hin zu den Steuerungsfunktionen komplett mit Simulationssoftware. Bosch Rexroth stellt hierfür für neben den 3-D-Modellen auch Verhaltensmodelle, also vollständige virtuelle Abbilder der verbauten Komponenten zur Verfügung.
„Der entscheidende Vorteil ist, dass die Ingenieure ihre Steuerungs-Applikation mithilfe der 3-D-Experience-Plattform komplett virtuell in Betrieb nehmen. Die daraus gewonnen Erkenntnisse können so direkt in der Engineering-Umgebung Indra-Works von Rexroth angewendet werden“, erklärt Philippe Bartissol, Vice President, Industrial Equipment Industry, Dassault Systèmes.
Offen für Simulationsergebnisse
Möglich ist das durch die Softwarelösung Open Core Engineering von Rexroth. Sie verbindet die virtuelle Simulation mit der realen Maschinenwelt. Dadurch kann die Maschinen-Simulation die Daten und Befehle der echten Maschinen-Steuerung verstehen und sofort umsetzen.
Dazu löst Bosch Rexroth eine Herausforderung, an der viele andere Steuerungen scheitern: „Oft läuft die Berechnung eines Takts der Maschinen-Simulation langsamer als die Realität. Um sich dennoch auf die Simulationsergebnisse verlassen zu können, muss sich die Steuerung dem zeitlichen Ablauf der Simulation anpassen und auf deren Ergebnisse warten. Damit wird ein reales Verhalten der Maschinen-Simulation garantiert“, erklärt Dr. Thomas Bürger, Leiter Entwicklungsbereich Automationssysteme bei Bosch Rexroth.
Bei West-Rock steuern mehrere Motion-Logic-Steuerungen, Indra-Motion MLC von Rexroth, die verschiedenen Module der Verpackungslinie mit insgesamt mehr als 80 intelligenten und schaltschranklosen Servoantrieben Indra-Drive Mi. Diese einzelnen Steuerungen sind über Sercos Echtzeit-Querkommunikation miteinander verbunden. Dadurch wird eine hohe Synchronität in der gesamten Linie gewährleistet.
Entwicklungszeit drastisch reduziert
„Durch das neue modellbasierte Engineering mit Bosch Rexroth Komponenten und der 3-D-Experience-Plattform von Dassault Systèmes haben wir unsere Entwicklungszeit drastisch reduziert“, erklärt Philippe Duperray, Innovation Manager West-Rock Machinery.
Das verringert die Herstellkosten deutlich, bringt darüber hinaus im täglichen Betrieb erhebliche Kostenvorteile: Das virtuelle Abbild der Verpackungsgebinde kann nahtlos für die Arbeitsvorbereitung genutzt werden. Dort werden mithilfe der vorhandenen Daten die Produktionsabläufe vorab simuliert und kalkuliert. Sobald der Kunde den Auftrag freigibt, kann die Produktion abhängig vom System unverzüglich starten. Dieser durchgängig digitale Workflow ist bislang einzigartig.
Umrüsten per Mausklick
„In der Zusammenarbeit mit Bosch Rexroth und Dassault Systèmes haben wir neue Automationslösungen umgesetzt, die uns noch flexibler und produktiver machen“, betont Philippe Duperray. Denn die Konsumgewohnheiten der Verbraucher ändern sich immer schneller. Darauf muss das Unternehmen flexibel reagieren können. Für West-Rocks Kunden bedeutet das, dass sie sich immer kürzeren Produktlebenszyklen und kleineren Losgrößen stellen müssen. Kurze Umrüstzeiten zusammen mit höherer Agilität sind der entscheidende Stellhebel für die Produktivität.
Deshalb zielt West-Rock bei seinen aktuellen Verpackungslinien auf die Umrüstung per Mausklick. Innerhalb der Verpackungslinie haben die Ingenieure einen immer höheren Anteil bislang mechanisch ausgeführter Funktionen in die Software verlagert. Basierend auf der Engineering-Umgebung Indra-Works und Open Core Engineering ist die Software dabei genauso modular aufgebaut wie die Hardware. Sie basiert komplett auf offenen Standards. Die Programmierung erfolgt mit den SPS-Sprachen nach IEC 61131 und PLCopen Bausteinen.
Vordefinierte Technologiefunktionen, die West-Rock einfach nur noch parametriert, vereinfachen das Umsetzen komplexer Funktionen. Angefangen von Nockenschaltwerken und Kurvenscheiben reicht die Palette bis zu komplexen Funktionen wie Flex-Profile von Rexroth: Ändert sich ein Parameter, passen sich sämtliche Antriebe des betreffenden Antriebsverbundes automatisch an diese Veränderungen an.
Über die SPS-basierte Automatisierung eröffnet Rexroth mit der Schnittstellentechnologie Open Core Interface die Möglichkeit, komplett neue Ökosysteme zu entwickeln. Mit einer Vielzahl von IT- und Internetsprachen programmierten Funktionen hat der Anwender einen erweiterten Direktzugriff auf den Steuerungskern. Damit entfällt in vielen Fällen der Umweg über eine gesonderte SPS-Programmierung. Das stößt das Tor zu Industrie 4.0 weit auf, weil IT-basierte Programme – wie die Simulationsumgebungen von Dassault Systèmes – nun direkt mit der Automatisierung kommunizieren.