
Seit 2018 ist Steffen P. Würth Vorsitzender des Branchenverbands VDW. (Bild: VDW)
neue verpackung: Herr Würth, das Thema Bürokratie beschäftigt Sie seit Langem. Warum sind die Beschwerden gerade in letzter Zeit so laut geworden?
Steffen Würth: Wir Unternehmen sind es gewohnt, Daten und Statistiken zu liefern. Das gehört seit Jahrzehnten dazu. Was sich jedoch verändert hat, ist die schiere Menge und Geschwindigkeit, mit der neue Regelungen – vor allem aus Brüssel – über uns hereinbrechen. Der Green Deal hat eine Beschleunigung ausgelöst, die uns gerade im Mittelstand überfordert. Es sind zu viele Themen auf einmal: CSRD, EUDR, ESG, demnächst PPWR, die EU-Taxonomie, NIS2-Richtlinie, Lieferkettenregelungen. Die Komplexität ist kaum noch zu bewältigen.
neue verpackung: Können Sie ein Beispiel geben, wo die Umsetzung besonders problematisch ist?
Würth: Nehmen wir die EUDR: Das Gesetz verlangt Dinge, bei denen wir noch nicht einmal wissen, wie wir sie technisch umsetzen sollen. Unsere Vorlieferanten wissen es auch nicht. Die Kunden fordern etwas, und keiner kann erklären, wie genau es gemacht werden soll. Das führt zu Unsicherheit – selbst Wirtschaftsprüfer sagen uns, dass sie nicht wissen, worauf sie künftig bei der CSRD achten sollen. Das ist das Problem: zu viele unbestimmte Vorgaben, deren Umsetzung unklar ist.
neue verpackung: Glauben Sie, dass diese Bürokratiewelle die Wettbewerbsfähigkeit gefährdet?
Würth: Ja. Die Grundgedanken – Umweltschutz, Menschenrechte, Transparenz – sind nachvollziehbar und wichtig. Aber die Umsetzung ist oft so realitätsfern, dass sie nicht erfüllbar ist. Besonders ärgerlich ist, wenn man nicht weiß, was mit den Daten passiert, die man bereitstellt. Bei der CSRD zum Beispiel: Es ist völlig unklar, wofür diese Daten verwendet werden sollen.
neue verpackung: Sehen Sie bei der EUDR auch inhaltliche Probleme?
Würth: Absolut. Ich war selbst in nordeuropäischen Forstbetrieben. Dort gibt es nachhaltige Bewirtschaftungsverträge über Generationen hinweg. Solche Systeme mit FSC-Zertifizierungen laufen seit Jahrzehnten. Wenn das mit einem undifferenzierten Gesetz über einen Kamm geschoren wird, stimmt die Verhältnismäßigkeit nicht mehr. Dann trifft es auch die Falschen.
neue verpackung: Die Politik verspricht seit Jahren den Abbau von Bürokratie. Vor wenigen Wochen hat die EU ein Omnibus-Paket dazu beschlossen. Glauben Sie daran?
Würth: Ich muss da schmunzeln. Erinnern Sie sich an Edmund Stoiber? Der wurde 2007 als "Entbürokratisierer" nach Brüssel geschickt – das Ergebnis war überschaubar. Jede Regierung hat den Bürokratieabbau versprochen. Jetzt scheint es konkreter zu werden: Es gibt im Koalitionsvertrag Ansätze wie „one in, two out“ oder mindestens ein Bürokratierückbaugesetz pro Jahr. Ich hoffe, dass sich diesmal wirklich etwas tut – es muss einfach, weil die Regelungsdichte ein kritisches Niveau erreicht hat.
neue verpackung: Sprechen wir über Ihre Branche. Was sind dort die größten Herausforderungen?
Würth: Die EUDR ist unser drängendstes Thema. Wir verarbeiten Holzprodukte – das betrifft uns direkt. Unsere Kunden fragen konkret nach, wie wir damit umgehen. Viele dieser Fragen können wir derzeit nicht beantworten. Weitere Themen sind die PPWR, obwohl wir als faserbasierte Verpackungsindustrie weitgehend ausgenommen wurden. Aber es gibt Nachwirkungen – etwa bei Umreifungsbändern, Holzpaletten oder Mehrwegsystemen. Auch CO₂-Themen und Energiepreise beschäftigen uns. Und natürlich die CSRD.
neue verpackung: Kunststoffverpacker sagen oft, faserbasierte Materialien hätten künftig bessere Karten. Stimmen Sie zu?
Würth: Nicht uneingeschränkt. Wir sind nicht gegen Mehrweg. Aber es muss wirtschaftlich und ökologisch sinnvoll sein. Denken Sie an die Paketzentren mit Milliarden von Sendungen – wie sollen diese Verpackungen alle zurückgeführt werden? Das ist schlicht nicht praktikabel. Wir als Wellpappenindustrie bieten funktionierende Kreislaufsysteme – seit Jahrzehnten. Unsere Papierfasern lassen sich über 20-mal recyceln. Wir sind Möglichmacher für die Volkswirtschaft.
neue verpackung: Haben Sie in Ihrem Unternehmen durchgerechnet, wie hoch der Aufwand für Bürokratie ist?
Würth: Wir haben eine ganze Abteilung, die sich eigentlich um Technik kümmert, teilweise mit diesen Themen beschäftigt. Drei Personen arbeiten mittlerweile explizit an CSRD, EUDR & Co. Eine zusätzliche Stelle wurde nur für diese Aufgaben geschaffen – bei 650 Mitarbeitenden. Dazu kommen externe Berater. Verschiebungen helfen zwar, aber sie lösen das Problem nicht.
neue verpackung: Kann Digitalisierung hier helfen?
Würth: Ohne Softwareunterstützung geht es nicht. Es gibt Anbieter, aber man muss genau schauen, was passt. Die Kosten liegen im sechsstelligen Bereich – das muss man sich leisten können. Und ehrlich gesagt, manchmal fühlt sich das wie ein vorsätzlicher Angriff auf unsere Wirtschaftlichkeit an. Je mehr Regulierungen dazukommen, desto schwerer wird es, Wertschöpfung zu betreiben und weiter zur Verpackungsoptimierung beizutragen.
neue verpackung: Und indirekte Belastungen?
Würth: Ja, durchaus. Nehmen Sie NIS2: Wir sind nicht direkt betroffen, aber wenn unsere Kunden unter die Regelung fallen, müssen wir den gleichen Aufwand betreiben. Das Gleiche gilt für das Lieferkettengesetz. Auch wenn wir aufgrund unserer Größe und Tätigkeit nicht unmittelbar betroffen sind, erwarten Kunden, dass wir alle Vorgaben erfüllen – am besten zertifiziert und belegt. Es ist ein hochkomplexes Thema.
Ich will der Politik keinen bösen Willen unterstellen. Es werden Regelungsvorschläge entwickelt – aber oft ohne vollständiges Verständnis für die Auswirkungen in der Praxis. Deshalb sind Dialogformate und Verbändeanhörungen so wichtig. Sie ermöglichen es uns, unsere Expertise einzubringen und auf Probleme hinzuweisen. Am Ende muss ein praxistaugliches Ergebnis stehen.
neue verpackung: Was können Sie anderen Unternehmen empfehlen?
Würth: Man kann und darf sich nicht wegducken, nicht nur aus rein rechtlichen Gründen. Man muss aktiv an die Sache herangehen. Wenn ein Verband als Sprachrohr für eine Industrie oder für viele Betroffene fungiert, dann wird das ganz anders wahrgenommen.