Carbon Dioxide Removal Technology für bessere Böden und besseres Klima
Von Ernteabfällen zu Klimazertifikaten
Carbon Dioxide Removal (CDR) hat das Potential, zur Schlüsseltechnologie im Kampf gegen die Klimakrise zu werden. Doch während Begriffe wie Windkraft oder Kreislaufwirtschaft längst fester Bestandteil der Nachhaltigkeitsdebatte sind, bleibt CDR für viele noch ein abstraktes Konzept. Dabei umfasst es weit mehr als hochkomplexe Direct-Air-Capture-Anlagen, die CO₂ aus der Luft filtern und unter der Erde speichern.
Diese technischen Lösungen sind nur ein Teil eines viel breiteren Spektrums an Möglichkeiten zur aktiven CO₂-Entfernung aus der Atmosphäre. Denn klar ist: Die reine Reduktion von Emissionen reicht nicht mehr aus, um die Klimaziele zu erreichen. Unsere Atmosphäre gleicht einer überlaufenden Badewanne – selbst wenn das Wasser (also die Emissionen) aus dem Hahn langsamer fließen, steigt der Pegel weiter an. Erst wenn wir den Stöpsel ziehen – sprich: CO₂ aktiv aus der Atmosphäre entnehmen –, schaffen wir es, die Konzentration wieder zu senken. Genau hier setzt CDR an.
Während manche Technologien wie Direct Air Capture noch im Entwicklungsstadium sind, existieren bereits heute skalierbare, naturbasierte Ansätze mit realer Klimawirkung. Ein Beispiel: Biochar Carbon Removal. Biochar – also Pflanzenkohle – wird aus landwirtschaftlichen Reststoffen hergestellt. Statt zu verrotten oder verbrannt zu werden, werden diese organischen Reststoffe unter Ausschluss von Sauerstoff karbonisiert. Der dabei gebundene Kohlenstoff kann über Jahrhunderte im Boden gespeichert werden, beispielsweise auch in landwirtschaftlich genutztem Boden. Biochar ist damit nicht nur ein effektives CDR-Instrument, sondern auch eine Brückentechnologie: Sie verbindet Landwirtschaft, Kreislaufwirtschaft und globale Klimawirkung.
Wie werden aus Ernteabfällen Carbon Removal Credits?
Das Start-up Recycoal macht genau das – CO₂ entfernen durch Pflanzenkohle, mit Wirkung auf Boden, Klima und lokale Wertschöpfung in Ostafrika. Das 2023 gegründete Unternehmen mit Sitz in Aachen ist heute in mehreren Ländern Afrikas aktiv – darunter Ruanda, Tansania und Senegal. Im Zentrum steht ein naturbasierter Ansatz: die Produktion und Anwendung von Pflanzenkohle (Biochar) aus ungenutzten landwirtschaftlichen Ernteabfällen. In einem emissionsarmen Pyrolyseprozess wird organisches Material karbonisiert, also in einen stabilen Kohlenstoff umgewandelt. Die so generierte Pflanzenkohle wird anschließend mit Nährstoffen angereichert und in landwirtschaftlich genutzte Böden eingebracht. Der in der Pflanzenkohle enthaltene stabile Kohlenstoff wird so für mehr als 1.000 Jahre im Boden gespeichert. Gleichzeitig verbessert die Pflanzenkohle aufgrund von strukturellen Eigenschaften die Bodenstruktur, erhöht die Wasserhaltefähigkeit und die Nährstoffverfügbarkeit. Somit werden Erträge in kleinbäuerlichen Betrieben maßgeblich gesteigert – ein klarer Mehrwert für Umwelt und Landwirtschaft.
Was Recycoal dabei besonders macht, ist der dezentrale, kooperative Ansatz. Recycoal versteht sich als gesamtes Ökosystem, bestehend aus Team Germany, Team Ruanda, Team Tansania und Team Senegal. In enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnern wie Farmerkooperativen, NGOs und landwirtschaftlichen Organisationen wird Wissen über Pflanzenkohle in Schulungen vermittelt, Technologien werden gemeinsam angepasst, und die Farmer werden befähigt, selbstständig Pflanzenkohle herzustellen und anzuwenden. Die Projekte von Recycoal sind extern nach dem Artisan Global C-Sink Standard von Carbon Standards International zertifiziert. Hierdurch ergibt sich neben dem landwirtschaftlichen Mehrwert auch ein monetärer Vorteil für die Farmer: Die Zertifizierung ermöglicht es getrackte Daten der Farmer als Carbon Removal Credits zu verkaufen. Mindestens 50 % der Einnahmen aus den Carbon Removal Credits gehen dabei umgehend an den Farmer und ein weiterer Teil an das bestehende Team vor Ort. Das ermöglicht die transparente Generierung hochwertiger Carbon Removal Credits mit direktem Impact.
Wer steckt hinter Recycoal?
Hinter Recycoal steht ein interdisziplinäres Team mit technischer Expertise, internationaler Erfahrung und einem klaren Fokus auf Wirkung. Geschäftsführerin Linda Lingenauber hat Chemie an der RWTH Aachen studiert und war langjährig als Projektleiterin bei Enactus Aachen tätig. Nach rund sieben Monaten im Senegal arbeitet sie aktuell wieder vor Ort in Ruanda und Tansania in der Weiterentwicklung des operativen Geschäfts.
Charlotte Herboth verantwortet die technische Entwicklung bei RecyCoal. Sie studierte Maschinenbau an der RWTH Aachen und bringt umfassende Berufserfahrung mit groß- wie kleinskalierter Pyrolysetechnologie mit – von industriellen Anlagen bis hin zu dezentralen Systemen für ländliche Regionen.
Johannes Kern, zuständig für den Bereich Sales, hat Wirtschaftsingenieurwesen mit Fokus Maschinenbau an der RWTH Aachen studiert. Im Rahmen seiner Promotion forscht er am Lehrstuhl für Operations Management zu den Potenzialen von Pflanzenkohle als Düngemittel – abhängig von lokalen Bodenverhältnissen.
Für Kommunikation, Medien und Veröffentlichungen ist Mariama Ami Diop zuständig. Sie bringt neben ihrem Studium in Marketing zwei Jahre praktische Erfahrung aus dem Agenturumfeld mit, insbesondere im Bereich Social Media, Influencer-Management und Öffentlichkeitsarbeit – inklusive Leitungserfahrung.
Das Geschäftsmodell ist darauf ausgelegt, Wirkung und Wirtschaftlichkeit zu vereinen. Unternehmen in Europa erhalten hochwertige Carbon Removal Credits, die nicht nur Emissionen reduzieren, sondern aktiv CO2 aus der Atmosphäre entfernen – mit wissenschaftlich nachgewiesener Permanenz. Gleichzeitig werden durch jedes verkaufte Zertifikat Einkommen in ländliche Regionen zurückgeführt, Produktionsnetzwerke ausgebaut und klimafreundliche Landwirtschaft gestärkt. Für Unternehmen mit ambitionierten ESG-Zielen bietet Recycoal eine greifbare Möglichkeit, Teil einer klima- und sozialgerechten Zukunft zu werden.
Fazit
Recycoal zeigt, wie sich Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung in einem Geschäftsmodell vereinen lassen. Durch die Kombination von lokaler Wertschöpfung, globaler CO₂-Wirkung und sozialer Einbettung entstehen echte Win-Win-Szenarien – für Menschen, Böden und das Klima. Gerade Industrieunternehmen mit ambitionierten Nachhaltigkeitszielen erklärt Biochar Carbon Removal die Chance, nicht nur Emissionen zu kompensieren, sondern aktiv Verantwortung zu übernehmen – in Projekten, die messbar, nachvollziehbar und zukunftsorientiert sind.
Im Interview mit neue verpackung erklärt Johannes Kern, Sales Manager bei Recycoal, weitere Details und die langfristigen Ziele von Recycoal.
neue verpackung: Recycoal verfolgt einen CDR-Ansatz mit klarer sozialer Einbettung. Was war die Motivation, sich genau diesem Thema zu widmen – und warum gerade in Afrika?
Johannes Kern: Ein besonderer Vorteil von Pflanzenkohle als Carbon Removal-Methode ist, dass ihr Nutzen in Regionen mit herausfordernden landwirtschaftlichen Bedingungen besonders hoch ist – wie beispielsweise in vielen Teilen Subsahara-Afrikas. Unsere eigenen Forschungs- und Pilotprojekte zeigen, dass sich durch den Einsatz von Pflanzenkohle dort nicht nur CO₂ dauerhaft binden lässt, sondern auch die Bodenqualität und damit die landwirtschaftlichen Erträge signifikant verbessert werden können. Auf Testfeldern konnten wir stellenweise sogar eine Verdopplung der Erträge beobachten. Das liegt unter anderem an den dort häufig nährstoffarmen Böden, die stark von der Strukturverbesserung durch Pflanzenkohle profitieren.
Unsere Motivation war es, solche Projekte nicht nur technisch innovativ, sondern auch wirklich nachhaltig umzusetzen. Nachhaltigkeit bedeutet für uns vor allem: langfristige Wirkung und lokale Unabhängigkeit. Deshalb arbeiten wir eng mit unseren Teams vor Ort und lokalen Partnerorganisationen zusammen. Sie gestalten die Projekte aktiv mit, kennen die regionalen Bedürfnisse genau und tragen entscheidend dazu bei, dass unsere Ansätze wirklich in den sozialen Strukturen verankert sind. So vermeiden wir ein reines "Top-down"-Vorgehen und schaffen gemeinsam Lösungen, die sowohl ökologisch als auch gesellschaftlich Wirkung entfalten.
neue verpackung: Was sind für Sie die entscheidenden Faktoren, damit Biochar Carbon Removal im globalen Klimaschutz nicht nur als Brückentechnologie, sondern als dauerhafte Lösung etabliert wird?
Kern: Biochar Carbon Removal hat sich heute bereits als eine der effektivsten und praxistauglichsten Methoden zur CO₂-Entnahme etabliert – mehr als 55 % der weltweit dokumentierten Carbon Removal-Mengen werden bereits mit Pflanzenkohle erzielt. Das liegt nicht nur an der technologischen Reife, sondern auch an den wertvollen Nebeneffekten, die diese Methode mit sich bringt. In der Landwirtschaft verbessert Pflanzenkohle beispielsweise die Bodenstruktur und kann, je nach Standort, die Ernteerträge deutlich steigern. Auch in der Industrie, etwa bei der Zement- oder Stahlproduktion, wird sie zunehmend als klimapositive Komponente eingesetzt.
Damit Biochar Carbon Removal sich dauerhaft im globalen Klimaschutz verankert, müssen wir ihren Mehrwert über die reine CO₂-Bindung hinaus sichtbar machen und sicherstellen, dass die Anwendung ökologisch, wirtschaftlich und sozial tragfähig ist. Wichtig ist dabei, nicht in einem Wettbewerb zwischen Technologien zu denken. Wir brauchen ein ganzes Portfolio an Carbon Removal-Ansätzen, um die Klimaziele zu erreichen. Pflanzenkohle kann dabei aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Zusatznutzen eine Schlüsselrolle spielen, aber eben als Teil eines größeren Ganzen.
neue verpackung: Sie arbeiten derzeit vor Ort in Ruanda und Tansania. Konnten Sie hier auf eine vorhanden Pyrolyseinfrastruktur zurückgreifen, oder haben Sie die Prozesstechnik selbst installiert? Über welche Kapazitäten verfügen Sie hier aktuell – und wie wird sich diese in den kommenden Jahren voraussichtlich entwickeln?
In Ruanda und Tansania konnten wir auf keine bestehende Pyrolyseinfrastruktur im eigentlichen Sinne zurückgreifen. Es gibt zwar traditionelle Verfahren zur Holzkohleproduktion, diese sind allerdings weder klimafreundlich noch effizient – im Gegenteil: Sie verursachen teils erhebliche Methanemissionen und stehen damit im Widerspruch zu unserem Anspruch, dauerhaft und wirklich klimawirksam CO₂ zu entfernen.
Nach ersten Versuchen mit größeren Pyrolysesystemen haben wir festgestellt, dass diese für unsere dezentrale Produktionsstruktur nicht geeignet sind. Stattdessen setzen wir mittlerweile auf kleine, mobile Pyrolyseeinheiten, die optimal in unsere lokalen Wertschöpfungsketten integriert werden können. Diese Flexibilität ist entscheidend, da unsere Produktion stark saisonal geprägt ist: Wir nutzen landwirtschaftliche Reststoffe, deren Verfügbarkeit je nach Erntezeitraum schwankt.
Aktuell liegt unsere Produktionskapazität bei über 2.000 Tonnen CO₂-Äquivalent pro Jahr – Tendenz steigend. In den kommenden Jahren wollen wir unsere Produktion weiter skalieren, indem wir zusätzliche mobile Einheiten einsetzen und unsere Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Betrieben in der Region weiter ausbauen. Dabei bleibt unser Ziel, klimawirksame Kohlenstoffentnahme mit konkretem Mehrwert für die lokale Landwirtschaft und Gemeinschaft zu verbinden.
neue verpackung: Installiert Recycoal eigenes Personal vor Ort, oder sollen lokale Partner und Kleinbauern via Wissenstransfer befähigt werden hier eigenständig agieren zu können?
Kern: Wir verfolgen bewusst einen dualen Ansatz: Einerseits haben wir eigene Vollzeitmitarbeitende vor Ort – aktuell besteht unser Team in Ruanda beispielsweise aus fünf Personen, die die Umsetzung eigenständig koordinieren und weiterentwickeln. Andererseits ist der enge Schulterschluss mit lokalen Partnerorganisationen und Kleinbauern zentraler Bestandteil unseres Modells.
Unser Ziel ist es, nicht nur Pflanzenkohle zu produzieren, sondern vor allem Wissen aufzubauen und weiterzugeben. Durch gezielte Schulungen und kontinuierlichen Wissenstransfer ermöglichen wir es landwirtschaftlichen Betrieben, eigenständig Pflanzenkohle herzustellen und in ihre Böden einzubringen. Damit schaffen wir langfristige, lokal verankerte Strukturen, die unabhängig funktionieren können – ganz im Sinne einer nachhaltigen und selbstbestimmten Entwicklung.
neue verpackung: Ihr Geschäftsmodell kombiniert Klimawirkung, Bodenverbesserung und lokale Wertschöpfung. Welche dieser Wirkungsebenen sehen Sie als stärkstes Argument gegenüber möglichen Investoren oder politischen Entscheidungsträgern?
Politisch ist derzeit vor allem die Klimawirkung ein starkes Argument. Biochar Carbon Removal bietet hier eine wissenschaftlich anerkannte, dauerhafte Methode der CO₂-Entnahme. Allerdings stehen wir oft vor der Herausforderung, diesen Unterschied zur bloßen Emissionsvermeidung – also zwischen Carbon Removal und Carbon Avoidance – klar und verständlich zu kommunizieren, gerade weil die Kostenstrukturen unterschiedlich sind. Trotzdem erleben wir, dass die Nachfrage nach wirklich langfristig wirksamen Lösungen wächst – und das gibt uns Rückenwind.
Gleichzeitig ist die Bodenverbesserung einer der entscheidenden Vorteile unserer Arbeit in den Einsatzländern. Der direkte Nutzen für landwirtschaftliche Betriebe ist deutlich messbar: bessere Böden, höhere Ernteerträge, mehr Nahrungsmittelsicherheit. Eine Verdopplung der Ernte bedeutet nicht nur mehr Einkommen für Kleinbauern, sondern auch eine Stärkung lokaler Märkte. Das macht Biochar für unsere Partner greifbar und stärkt die Akzeptanz vor Ort enorm.
Was uns als Team besonders eint, ist die Wirkungsebene der lokalen Wertschöpfung. Unser Ziel ist es, keine Abhängigkeiten zu schaffen, sondern wirtschaftliche Perspektiven vor Ort aufzubauen. Wenn lokale Communities ihre eigenen Ressourcen sinnvoll nutzen können, entsteht echter Mehrwert: ökologisch, ökonomisch und sozial. Und genau darin sehen wir auch die Grundlage für die langfristige Resilienz und Wirksamkeit unserer Arbeit.
neue verpackung: Wie wollen Sie sicherstellen, dass bei wachsender Nachfrage nach Carbon Removal Credits die soziale Wirkung vor Ort nicht verloren geht?
Kern: Soziale Wirkung ist für uns kein Nebeneffekt, sondern ein integraler Bestandteil unseres Geschäftsmodells und genau deshalb ist sie auch langfristig mitwachstumsfähig. Wir setzen bewusst auf organisches Wachstum, das von lokalen Strukturen getragen wird. Unsere Partner vor Ort arbeiten eigenständig, und wir setzen auf langfristige Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem nötigen Vertrauen und dem klaren Anspruch an Eigenverantwortung.
Gleichzeitig haben wir soziale Wirkung auch strukturell abgesichert: Durch die Anforderungen unseres Zertifizierungsverfahrens ist garantiert, dass mindestens 50 % der Erlöse aus den Carbon Removal Credits direkt bei den landwirtschaftlichen Produzenten ankommen. Dieser Anteil ist verbindlich und dauerhaft festgelegt. Das schützt vor rein marktgetriebenen Verdrängungseffekten und sorgt dafür, dass der lokale Nutzen mit jeder verkauften Tonne CO₂ auch tatsächlich wächst.
So stellen wir sicher, dass Skalierung nicht zulasten der Menschen vor Ort geht – sondern im Gegenteil, dass sie gerade durch ihren Beitrag zur Klimawirkung selbst profitieren und neue wirtschaftliche Perspektiven entwickeln können.