Interview über Robotik-Trends im Verpackungsprozess

“Es geht darum, Insellösungen aufzubrechen“

Im Verpackungsprozess gibt es bereits viel Robotik und wird künftig sogar eine noch größere Rolle spielen – dafür braucht es aber vor allem clevere Automatisierungslösungen
Im Verpackungsprozess gibt es bereits viel Robotik und wird künftig sogar eine noch größere Rolle spielen – dafür braucht es aber vor allem clevere Automatisierungslösungen

Auf den Verpackungstagen, die Sick und Siemens gemeinsam am 01. und 02. Juli 2025 veranstalteten, standen Automatisierung und Robotik im Fokus. neue verpackung war vor Ort und hatte Gelegenheit zum Interview mit einem der Referenten, Christian Gehrhardt, Leiter Business Development Robotics and Flexible Conveyance bei Siemens.

neue verpackung: Herr Gehrhardt, Deutschland ist laut IFR der größte Robotik-Abnehmermarkt Europas und weltweit auf Platz vier bei der Roboterdichte. Bei so viel Know-how im Feld: Warum ist Robotik da noch ein Thema, das unter dem Zusatz „leicht gemacht“ im Vortragsprogramm stehen muss?

Christian Gehrhardt, Leiter Business Development Robotics and Flexible Conveyance bei Siemens
Christian Gehrhardt, Leiter Business Development Robotics and Flexible Conveyance bei Siemens

Christian Gehrhardt: Es stimmt natürlich, dass Robotik hierzulande im weltweiten Vergleich stark ausgebaut ist. Aber trotz der beeindruckenden Zahlen haben sich hier noch keine echten Standards entwickelt, stattdessen sehen wir in der Praxis noch immer vor allem Insellösungen und proprietäre Systeme in der Robotik. Gerade auf Messen wie der Automatica wird deutlich, wie viele unterschiedliche Bedienoberflächen und Apps es gibt. Was fehlt, ist ein verbindendes Element. Verpackungsmaschinenbauer stehen oft vor der Herausforderung, innerhalb ihrer Maschinen Roboterkinematiken unterschiedlicher Hersteller integrieren zu müssen – mit jeweils eigenen Engineering-Systemen. Unser Ziel ist es darum, diese Komplexität zu reduzieren und Robotik wirklich leicht integrierbar zu machen. Das gelingt uns unter anderem, indem wir Roboterfunktionen wie die Bahninterpolation direkt in den Motion Controller, die Simatic, implementieren. Ergänzend dazu hat der Kunde die Möglichkeit, komplette Robotersysteme über den offenen SRCI-Standard einzubinden.

neue verpackung: Gibt es bestimmte Bereiche entlang der Verpackungslinie, in die aktuell besonders stark in Robotik investiert wird?

Gehrhardt: Historisch gesehen war und ist die Inline-Robotik innerhalb der Maschine ein entscheidender Faktor für Produktivität. Heute sehen wir vermehrt Investitionen in vor- und nachgelagerten Prozessen – also beim Be- und Entladen der Maschinen. Dort ist heute noch viel Handarbeit im Spiel, und genau hier liegt auch das größte Automatisierungspotenzial.

neue verpackung: Das betrifft dann auch die Intralogistik?

Gehrhardt: Absolut. Die Intralogistik ist ein intensives Feld, das zunehmend automatisiert wird – vom automatischen Be- und Entladen von LKWs bis hin zum Palettentransport. Doch es gibt immer noch viele Stellen, an denen manuelle Eingriffe notwendig sind. Die Herausforderung ist, diese Prozesse zuverlässig und im 24/7-Betrieb zu automatisieren.

neue verpackung: Was sind bei Ihren Kunden die Haupttreiber für Investitionen in Robotik – Fachkräftemangel, Kostendruck oder Qualitätsanforderungen?

Gehrhardt: Die Gewichtung variiert hier von Fall zu Fall – aber es ist eigentlich immer eine Kombination aus allen drei Punkten. In der Pharmaindustrie etwa geht es um hohe Qualitätsanforderungen im Reinraum und die Vermeidung manueller Eingriffe. Gleichzeitig fehlen Fachkräfte für repetitive Aufgaben rund um die Maschine. Automatisierung bietet hier nicht nur eine Lösung für den Fachkräftemangel, sondern auch für gleichbleibende Qualität bei sich wiederholenden Tätigkeiten und Prozesssicherheit, die nicht von einem Bediener abhängig ist, der gute, aber auch mal weniger gute Tage haben kann.

neue verpackung: Wie hat sich die Rolle mechatronischer Systeme im Verpackungsmaschinenbau in den letzten zehn Jahren grundsätzlich verändert?

Gehrhardt: Zwei Aspekte sind entscheidend: technologische Reife und Preisentwicklung. Technologien wie lineare Transportsysteme sind heute Standard im Verpackungsmaschinebau. . Planare Transportsysteme sind ein jüngeres Beispiel, das aktuell vor allem in der Pharmaindustrie Einzug hält – aber ich bin überzeugt, dass sie bald auch in anderen Branchen wie der Lebensmittelindustrie eine größere Rolle spielen werden.

neue verpackung: Wie unterstützt Siemens Unternehmen konkret bei der Integration von Robotik und Transportsystemen?

Gehrhardt: Wir arbeiten mit Best-in-class-Partnern zusammen und sorgen dafür, dass deren Systeme nahtlos in unsere Automatisierungsplattform integriert werden können. Der Maschinenbauer profitiert davon, dass er Roboterkinematiken oder Transportsysteme über eine gewohnte Engineering-Umgebung einbinden und programmieren kann – ohne sich mit unterschiedlichen Systemen auseinandersetzen zu müssen.

neue verpackung: Haben Sie ein konkretes Beispiel aus der Praxis?

Gehrhardt: Ein gutes Beispiel ist hier sicherlich die Kaffeekapselproduktion – ein boomender Markt mit vielen Playern. Hier müssen Kapseln aus der Primärverpackung kommend in unterschiedliche Sekundärverpackungen sortiert und verpackt werden. Das geschieht heute vollautomatisch mit Delta-Robotern und entsprechenden Greiferwerkzeugen, die die Kapseln in die passenden Verpackungen einsetzen. Die Vielfalt an Verpackungsformen macht das besonders anspruchsvoll.

neue verpackung: Da dies in Zeiten des Fachkräftemangels ein immer wichtigerer Punkt wird: Wie intuitiv ist die Bedienung solcher Systeme für den Endanwender?

Gehrhardt: Im Vergleich zu den Anfängen ist die Bedienung bereits deutlich einfacher geworden – meist über klassische HMI-Oberflächen. In Zukunft wird es aber noch intuitiver: App-basierte Bedienung, KI-gestützte Assistenzsysteme und offene Plattformen sind der nächste Schritt. Unser Ziel muss es dabei sein, dass der Anwender nicht merkt, dass im Hintergrund komplexe KI-Algorithmen arbeiten – er soll beispielsweise bei der Pfadfindung eines planaren Transportsystems einfach nur sagen können: „Das soll von A nach B, unter den folgenden Rahmenbedingungen“ – und das System erledigt den Rest.

neue verpackung: Wird Sprachsteuerung auch eine Rolle spielen?

Gehrhardt: Ja, definitiv. Wir haben auf der Hannover Messe unseren „Industrial Copilot“ vorgestellt – ein System, das sowohl im Engineering als auch im Betrieb unterstützt. Der Anwender soll in Zukunft auch per Sprache Informationen abrufen, wie er richtig auf eine Fehlermeldung der Maschine reagiert, oder findet Unterstützung bei der Erstellung und Erklärung von Automatisierungscodes. Das Potenzial ist hier enorm.

neue verpackung: Wir befinden uns ja gerade auf einer Veranstaltung, die von Sick und Siemens gemeinsam angeboten wird. Wie profitieren Maschinenbauer von Kooperationen wie der zwischen Ihren beiden Unternehmen?

Gehrhardt: Da komme ich wieder auf den Anfang unseres Gesprächs zurück: Es geht darum, Insellösungen aufzubrechen und ein offenes Ökosystem zu schaffen. Der Maschinenbauer braucht heute interoperable Komponenten – von der Sensorik über die Robotik bis zur Steuerung. Unsere Zusammenarbeit mit Sick zeigt, wie man diese Komponenten nahtlos zusammenführt und dem Kunden eine einfache Integration ermöglicht.

neue verpackung: Abschließend der obligatorische Blick in die Zukunft: Wie sieht für Sie die Robotik im Verpackungsmaschinenbau in 10 bis 15 Jahren aus?

Gehrhardt: Industrielle, direkt in die Linie integrierte Roboter werden sicherlich weiterhin eine zentrale Rolle spielen – insbesondere in Maschinen, wo es um hohe Taktzahlen geht. Gleichzeitig werden wir mehr kleine, flexible Roboter in vor- und nachgelagerten Prozessen sehen. Sie können dort Aufgaben übernehmen, die heute noch manuell erledigt werden. Entscheidend wird sein, wie gut sich diese Systeme in bestehende Plattformen integrieren lassen – denn nur so bleibt der Maschinenbauer wettbewerbsfähig.

Über Christian Gehrhardt

Christian Gehrhardt absolvierte von 2008 bis 2011 ein Studium der Elektrotechnik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Stuttgart.

Nachdem er als Applikationsingenieur für Siemens unter anderem bei Verpackungskunden im Stuttgarter Raum tätig war, wechselte er 2016 ins Headquarter nach Erlangen.

Seit 2021 leitet er im Geschäftsbereich der Produktionsmaschinen das globale Business Development für maschinenintegrierte Robotik, Anfang 2024 übernahm er zusätzlich die Verantwortung für das Thema Flexible Conveyance Solutions.