
Leider kein seltener Anblick: mit Verpackungsmüll zugestopfte und überfüllte Abfallkörbe in den Städten. (Bild: Ideogram)
Tobias Staufenberg kann sich über mangelndes Interesse nicht beklagen. Ganz im Gegenteil. Der für Abfallvermeidung zuständige Mitarbeiter der Stabsstelle Umwelt- und Klimaschutz der Stadt Tübingen hatte nach dem 22. Januar 2025 alle Hände voll zu tun. Denn an diesem Tag wurde öffentlich publik, dass der Antrag gegen die Stadt in der Causa „Verpackungssteuer“ endgültig abgelehnt wurde.
Mit anderen Worten: Die Unistadt darf weiterhin kommunale „Steuern“ auf Einwegverpackungen erheben. Das tut die Kommune bereits seit Januar 2022. Die damals in Kraft getretene Verpackungssteuersatzung ermöglicht es Tübingen eine Verbrauchsteuer auf nicht wiederverwendbare Verpackungen sowie nicht wiederverwendbares Geschirr und Besteck, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares Take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden. Zur Entrichtung der Steuer ist der Endverkäufer von entsprechenden Speisen und Getränken verpflichtet.
Die Stadt hat ein Info-Paket geschnürt
Gegen die neue Steuer klagte noch vor ihrem Inkrafttreten die Betreiberin von drei McDonald's-Filialen in Mannheim. In erster Distanz urteilte der VGH die Tübinger Satzung für unwirksam. Kreislaufwirtschaftsgesetz und Verpackungsgesetz ließen keinen Raum für derartige kommunale Zusatzregelungen. Es handle sich auch nicht um eine örtliche Verbrauchsteuer. Ein Urteil, das nun vom Bundesverfassungsgericht „kassiert“ wurde.

Mehr als 200 Kommunen aus verschiedenen Bundesländern haben sich mittlerweile bei der Stadt Tübingen gemeldet. Wollten wissen, wie genau die Tübinger Steuer funktioniert, wie sie zustande kam und erhoben wird. Natürlich auch, was sie bewirkt hat.
„Wir haben eine Standard-Mail vorbereitet, die wir schnell rausgeben können“, sagt Staufenberg. „Darin finden sich die wichtigsten Fakten, aber auch relevante Dokumente, darunter die Vorlagen aus den Gemeinderatssitzungen, die den politischen Prozess wiedergeben“. Für das Gros der anfragenden Kommunen reiche das erst mal aus, so der Fachmann.
Konstanz zieht’s durch, Heidelberg plant
Unter den Städten, die sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen sind auch Freiburg und Heidelberg. In Freiburg nachgefragt heißt es: „Wir werden den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts prüfen und dann bewerten – insbesondere die Argumentation sowie etwaige rechtlich zu berücksichtigende Voraussetzungen des Bundesverfassungsgerichts. Deshalb können wir momentan noch nicht viel mehr inhaltlich sagen. Wie angekündigt, ist geplant, bis zur Sommerpause eine Vorlage zur Verpackungssteuer in die politischen Gremien zu bringen. Dort wird das weitere Vorgehen politisch entschieden werden.“
Da ist man in Heidelberg schon einen Schritt weiter. „Die Stadt Heidelberg bereitet gerade die Einführung einer Verpackungssteuer vor. Das Ziel ist, die Verpackungssteuer in diesem Jahr mit einem Satzungsbeschluss umzusetzen. Dieser wird aktuell vorbereitet und soll den gemeinderätlichen Gremien in den kommenden Monaten vorgelegt werden. In dieser Phase ist der jüngste Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes ein gutes Signal und bestätigt unsere Vorgehensweise. Gleichzeitig befinden wir uns noch zu früh im Prozess, um tiefer in die Details gehen oder gar Zahlen nennen zu können“, erklärt Nina Flosdorff-Stüber von der Pressestelle. Und Konstanz? Hat die Steuer seit diesem Jahr eingeführt.
"Die Gastronomie profitiert von der Steuer"

Herr Palmer, wie bewerten Sie die Diskussionen und Reaktionen anderer Städte zum Thema Verpackungssteuer? Glauben Sie, dass sich eine bundesweite Regelung daraus entwickeln könnte?
Nein, das ist auch nicht nötig. Die Vermülllung ist ein lokales Problem, viele Landgemeinden sind davon gar nicht betroffen. Es bedarf keiner bundesweiten Regelung. Hier handeln die Kommunen in Selbstverwaltung.
Haben Sie mit der Landes- oder Bundesregierung bereits Gespräche über eine mögliche Ausweitung der Regelung geführt?
Nein, dazu gibt es keinerlei Anlass.
Gibt es Pläne, die Verpackungssteuer weiterzuentwickeln oder in andere Umweltmaßnahmen einzubinden?
Nein, die Verpackungssteuer wirkt und ist in sich schlüssig konzipiert. Sie benötigt keine Ergänzungen.
Wie bewerten Sie den wirtschaftlichen Einfluss der Steuer auf die lokale Gastronomie?
Die Gastronomie profitiert von der Steuer, weil die Konkurrenz der To-Go-Imbisse eine unfaire Subvention verliert. Wer selbst Geschirr bezahlt und spült, muss jetzt nicht mehr zuschauen, wie andere den Müll kostenfrei der Stadt überlassen.
Gab es seitens der Stadtverwaltung Überlegungen, die Steuer sozialverträglicher zu gestalten, beispielsweise durch Staffelungen oder Ausnahmen für kleinere Betriebe?
Nein, dazu gibt es keinen Grund, weil die Steuer von den Konsumenten bezahlt wird, nicht von den Betrieben.
Befürchtungen, Kunden könnten verloren gehen
Und erntet bei den Betroffenen keinesfalls nur Zuspruch. So bei Marc Orthman. Gegenüber dem „Südkurier“ hat der Chef der Paradies-Bäckerei geklagt, er müsse die Steuer eins zu eins an die Kunden weitergeben. Eine Umstellung auf Mehrweggeschirr hält er für zu aufwendig. Orthman ist nicht der einzige Geschäftsmann, der befürchtet durch höhere Preise Kunden zu verlieren oder sogar Pleite zu gehen. Auch bei CDU, Freie Wähler und die FDP hatten sich zuletzt Befürchtungen breit gemacht, die Steuer könnte mehr Schaden als Nutzen bringen – doch war die Verpackungssteuer bereits beschlossene Sache.
Tobias Staufenberg kennt das alles nur zu gut. Die Einwände seitens der Inverkehrbringer von Einwegverpackungen wie der Mandatsträger politischer Parteien. In Tübingen ist die Stadtverwaltung sehr früh schon in die Info-Offensive gegangen. „Noch bevor das Thema im Gemeinderat aufgegriffen wurde, gab es ein Treffen mit den Gastronomen der Stadt“, erinnert sich Staufenberg. Die zentrale Frage der Gekommenen: „Muss das sein?“. Die Antwort lieferten die Unmengen an Verpackungsmüll, denen die Stadt Herr werden muss und die beträchtliche Kosten sowie aufgrund der Essensreste auch Hygieneprobleme verursachen. Die Stadt spricht von etwa 700.000 Euro allein für die Entsorgung von Verpackungsmüll. Kosten, die nun eben nicht mehr von allen getragen, sondern vom Verursacher übernommen würden, so das Argument.
Die Tübinger Verpackungssteuer

Die Stadt erhebt seit 1. Januar 2022 eine Steuer auf Einwegverpackungen für Speisen und –Getränke bei einem sofortigen Verzehr an Ort und Stelle, einschließlich To-go und Take-away). Einwegverpackungen und Einweggeschirr werden mit jeweils 50 Cent (netto) besteuert, für Einwegbesteck beträgt die Steuer 20 Cent (netto). Die Steuersätze sind Nettobeträge, da in Deutschland auf alle Verbrauchssteuern auch Umsatzsteuer anfällt.
Zahlen müssen die Steuer die Händler, die Getränke oder Speisen zum unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle in Einwegverpackungen verkaufen. Dabei spielt das Material der Einwegverpackung keine Rolle. Die Betriebe können die Steuer an die Kunden weitergeben, sind dazu aber nicht verpflichtet. Die Betriebe müssen jeweils zum 15.1. eine Steuererklärung für das vorangegangene Jahr abgeben, aus der hervorgeht, wie viele Einwegverpackungen und Einwegbesteck sie ausgegeben haben. Dies muss in geeigneter Weise dokumentiert werden, beispielsweise im Kassensystem).
Förderprogramm für Mehrweg gestartet
Man habe viel und offen kommuniziert, sei auch in die Betriebe gegangen und habe um Verständnis geworben, so Staufenberg. Er selbst stand einen Tag lang in einem Imbiss und habe mitgearbeitet. Außerdem hat Tübingen mit der Einführung der Steuer ein Förderprogramm gestartet, welches die Umstellung auf Mehrweggeschirr für die Gastronomie erleichtert hat. Rund 50.000 Euro hat die Kommune bereitgestellt für die Unternehmen, die umstellen. Das betraf große Gastronomen, die mit einem der gängigen Systemanbieter kooperieren wollten wie auch Insellösungen. Staufenberg erinnert sich an eine Metzgerei, die einen Mittagstisch anbot, der mehr oder weniger stets von denselben Personen genutzt wurde. Der Metzgerei-Chef besorgte 50 Mehrwegbehälter, die dann in den „Kreislauf“ gingen.
Mehr als 140 gastronomische Betriebe bieten heute in Tübingen Mehrwegverpackungen an. Die Mengen an Einwegmüll seien spürbar zurückgegangen, heißt es. Und genau darum sei es der Stadt gegangen. Überlegungen, bei der Verpackung zu differenzieren, gab es nicht. Auch wenn das Recycling oder die Entsorgung je nach Material sehr unterschiedlich ausfällt. Davon, sagt Staufenberg, hätten ihnen die Anwälte abgeraten. Ressourcenverschwendung bleibe Ressourcenverschwendung, unabhängig vom Material.
Heute, drei Jahre nach dem Start, gibt es so gut wie keine Beschwerden mehr, sagt Staufenberg. Die kommunale Steuer sei allgemein akzeptiert. Und sie rechnet sich für den städtischen Kämmerer. 2022 spülte die Verpackungssteuer etwa 950.000 Euro in die Kassen. 2023 waren es deutlich weniger. Im Schnitt gehen die Verantwortlichen von jährlichen Einnahmen in Höhe von 800.000 Euro aus.