Hand hält Agrarreststoffe

Für die Papierprodukte von Paperwise müssen weder Bäume gefällt werden noch entsteht eine Konkurrenz beispielsweise mit der Futtermittelindustrie. (Bild: Paperwise; 1xpert – stock.adobe.com)

Der Passagier neben mir stellt die Faltschachtel, aus der er sein Sandwich entnommen hat, achtlos zur Seite. Kann er auch, denn natürlich ist sie recycelbar, sogar kompostierbar. Doch die Einwegverpackungen des Lufthansa Inflight Caterings sind mehr als das. Als Verpackungsmensch drehe ich die Schachtel um, schaue auf den Rückenaufdruck. Paperwise. Die Faltschachtel ist nicht aus klassischem holzbasiertem Zellstoff hergestellt worden, sondern aus Agrarreststoffen.

Papier – grüner als recycelt

Peter van Rosmalen ist ebenfalls ein Verpackungsmensch. Seit Ende der 90er arbeitete er für einen holländischen Großhändler, betreute internationale Großkunden, denen er von Kassenrollen und Tragetaschen bis hin zu Etiketten und Schachteln alles verkauft hat, was Handel und Industrie an Verpackung benötigen. Dabei treibt das Thema Nachhaltigkeit van Rosmalen mehr und mehr um, er übernimmt die Verantwortung für ein entsprechendes Produkt­sortiment, findet aber innerhalb der Gruppe nicht die Entwicklungsmöglichkeiten, die er sich dafür wünscht.

Und so wird Peter van Rosmalen im Alter von 55 Jahren zum Start-up-Unternehmer. Mit Nick Op den Buijsch begeistert er schnell einen ehemaligen Kollegen, gemeinsam registrieren sie 2015 die Marke Paperwise. Was dahinter steckt? Papier aus Agrarreststoffen.

Weltweit werden jährlich rund 10 Mrd. t Agrarprodukte hergestellt. Die Reststoffe dabei, die Pflanze, an der das Reiskorn hängt, der Halm, der die Ähre trägt, dürften in etwa die fünffache Menge erzielen. Man bräuchte ein gutes Prozent davon, um alles Kopierpapier der Welt aus Agrarreststoffen herzustellen. Mehr nicht. Angesichts der zur Verfügung stehenden Milliardentonnage an Agrarrohstoffen wirken die 4,2 Mio. t holzbasiertem Zellstoff, die laut Nabu in 2021 in Deutschland für die Papierproduktion verwandt wurden, geradezu lächerlich.

„Der gesamte Papierbedarf ließe sich ohne Weiteres durch Agrarreststoffe abdecken, die auf Feldern wachsen, die wir ohnehin für unsere Lebensmittelproduktion bewirtschaften ohne zusätzliche Flächen für die Holzindustrie zu roden und Bäume zu fällen“, erläutert Gründer van Rosmalen. „Und dabei entsteht ein Papierprodukt, das nachhaltiger ist als Papier aus Bäumen, selbst nachhaltiger als Altpapier“, ergänzt Op den Buijsch, Miteigentümer und Marketingleiter von Paperwise.

Tatsächlich hat die IVAM Universität Amsterdam in einer unabhängigen Lebenszyklusanalyse Cradle-to-cradle den ökologischen Fußabdruck von europäischem FSC-Papier aus Bäumen, Altpapier und Paperwise verglichen. Dabei ist die Umweltbelastung von Paperwise nur in etwa halb so hoch (47 % geringer) als die von FSC-Papier und selbst im Vergleich zu Altpapier noch 29 % geringer.

Verpackung, auf der ein belegtes Brötchen liegt.
Lufthansa setzt bei den Verpackungen der Onboard Delights auf das Papier aus Agrarresten. (Bild: Paperwise; 1xpert – stock.adobe.com)

Produktion mit sozialer Komponente

Die Ergebnisse würden noch deutlicher zu Gunsten von Paperwise ausfallen, wenn man das Papier aus Agrarreststoffen in europäischen Papierfabriken herstellen könnte. Bisher entsteht es aus unterschiedlichen Agrarreststoffen in Papierfabriken in Indien und Südamerika, jeweils aus den Pflanzen, die in rund 50 km Umkreis der jeweiligen Fabriken in der dortigen Landwirtschaft ohnehin angebaut werden. Dabei bietet Paperwise auch einen sozialen Aspekt, da die lokalen Kleinbauern ihre Agrarabfälle nicht umweltschädlich verbrennen, sondern einen Zusatzverdienst über den Verkauf der Reste an die Papierfabriken erzielen können.

„Unsere Arbeit der letzten Jahre war es, zu lernen, welche Agrarreststoffe welche Eigenschaften mit sich bringen, welche sich für welche Papieranwendung am besten eignen und unsere europäischen Produktanforderungen und Qualitätsansprüche in die Ursprungsländer zu transportieren“, erinnert sich van Rosmalen, der die Papierfabriken regelmäßig besucht. „Daneben haben wir eine Marke geschaffen und stillen den hohen Informationsbedarf führender europäischer Markenartikler zum Paperwise-Sortiment, zur Nachhaltigkeit unserer Papiersorten und zu den Anwendungs- und Weiterverarbeitungsmöglichkeiten im Druck- und Verpackungsbereich“, berichtet Op den Buijsch.

Eine dieser Anwendungsmöglichkeiten ist die Faltschachtel, in der Lufthansa seine Onboard Delights anbietet, denn im Gegensatz zu Altpapier ist Paperwise als Primärverpackung für Lebensmittel geeignet. Wie überzeugend die Möglichkeiten sind, zeigen die Referenzen, die Großkonzerne wie die Deutsche Lufthansa und Heineken ebenso beinhalten wie umweltbewusste Markenartikler wie Weleda und Marley Spoon oder auch die letzte Weltausstellung in Dubai – und dies, obwohl dieses Umweltbewusstsein aufgrund der im Vergleich noch geringen Mengen etwas teurer ist als „normales“ Papier. Aber dies ist eine Frage der Skalierung. Van Rosmalen und Op den Buijsch sind sich sicher, dass Paperwise mittelfristig zu gleichen Kosten angeboten werden kann wie holzbasiertes Papier.

Frauen arbeiten auf dem Feld.
Da die Kleinbauern nun Pflanzenteile an die Papierfabriken verkaufen können, die zuvor schlicht Abfall waren, entsteht für sie ein Nebenverdienst. (Bild: Paperwise; 1xpert – stock.adobe.com)

Bootstrapped und crowdfunded

Peter van Rosmalen
Peter van Rosmalen hat Paperwise gegründet. (Bild: Paperwise; 1xpert – stock.adobe.com)

Bis dahin ist die Aufgabe von Paperwise, vor allem eine größere Reichweite mit seinem Produktsortiment zu erreichen, insbesondere mit den Papieren für die Druckindustrie und den Kartonagen für die Faltschachtelfertigung.

Van Rosmalen ist vom Markt für seine Papierprodukte überzeugt: Um das Kapital für den Aufbau von Paperwise zur Hand zu haben, hat Peter sein Haus verkauft, hat das Geld in sein junges Unternehmen investiert und die Markterschließung bis heute komplett gebootstrapped (mit Eigenkapital finanziert). Für den nächsten Schritt wird Paperwise nun erstmals Investorenmittel aufnehmen. Über die niederländische Plattform NPEX sammelt man Wachstumskapital ein, um dies in den Vertrieb und in neue Produktinnovationen zu investieren.

„Schon heute stellen wir Papiere und Kartonagen aus Reispflanzen, Gerste, Mais, Hanf und Zuckerrohr her. Natürlich nie aus den Pflanzenteilen, die als Nahrung oder als Futtermittel genutzt werden können, sondern aus den Stängel- und Blattabfällen“, weiß van Rosmalen zu berichten.

Sonnenblumen und Stroh zählen zu den Produkten, die Paperwise als nächstes erforschen will, beides Agrarprodukte, die auch stark in Europa angebaut werden und die lokal zu Papieren und -Pappen auf Bogen und Rolle verarbeitet werden könnte.

„Unser Wachstumspfad ist anspruchsvoll. Wir erweitern die Rohmaterialien, mit denen wir arbeiten können, wir gewinnen neue Markenartikler, die Paperwise einsetzen wollen, wir unterstützen deren Druckereien und Verpackungshersteller bei der Umsetzung und perspektivisch würden wir uns auch eine Produktionsstätte in Zentraleuropa wünschen“, so Op den Buijsch. „Und wenn das alles geschafft ist, dann kaufe ich mir wieder ein Haus“, lacht van Rosmalen.

Knox - über Knox, Unternehmensberatung

Knox ist eine Unternehmens- und Personalberatungs-Gesellschaft, deren Engagement der Verpackungs- und Druckindustrie gilt, sei es in der Produktion, im Handel oder im Dienstleistungsbereich. Das Team von Knox berät seit nahezu 20 Jahren in Deutschland, Europa und darüber hinaus Unternehmen in diesem Branchenumfeld bei strategischen Herausforderungen, insbesondere auch durch die umfängliche Betreuung und den erfolgreichen Abschluss von Unternehmenstransaktionen.

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