Strand, an dem viele Plastikflaschen liegen; mehrere Personen sammeln das Plastik ein.

Saubere Strände – eine Einkommensquelle für Müllsammler und „wilde“ Recyclingprodukte. Dafür wurde das Start-up Wildplastic gegründet. (Bild: Dall-E)

Laut Duden hat „Wild“ ganz unterschiedliche Bedeutungen. „Unkontrolliert wachsend“, „nicht reglementiert und oft ordnungswidrig“, „das erträgliche Maß überschreitend“ zählen dazu. Doch das waren nicht die einzigen Assoziationen, die die Gründer von Wildplastic bei der Namensgebung ihres Start-ups bewegten. „Plastik ist ein Wertstoff, der wahnsinnig gute Eigenschaften hat, der aber nicht in die Wildnis gehört“, lobt Geschäftsführer Christian Sigmund eine Verpackungsart, die heute vielfach in Verruf steht. Jedoch nicht wegen ihres Nutzwertes, sondern wegen des Post-Consumer-Umgangs mit ihr.

So waren es auch diese Eindrücke, die die Gründer von Wildplastic in 2019 zusammengeführt haben, um wildes Plastik aus der Umwelt zu sammeln, zu sortieren, aufzubereiten und wieder in den Wertstoffkreislauf zu bringen. Sigmund erinnert sich dabei an seine Auszeit im Norden Perus, wo er 2018 nach vier Jahren bei Google und Youtube surfen wollte, als El Nino massive Regenfälle auslöste und unglaubliche Massen an Müll aus dem Hinterland durch das ausgetrocknete Flussbett zum Meer und in den Pazifik wusch. Obenauf schwamm leichtes Plastik, Verpackungsprodukte aus LDPE.

Ähnliche Eindrücke sammelten auch die anderen Gründer von Wildplastic in unterschiedlichen Teilen der Welt. „In Deutschland kennen wir kein Waste-Missmanagement“, erklärt Sigmund, „aber drei Milliarden Menschen auf der Erde haben keine funktionierende Abfallwirtschaft. In den entsprechenden Ländern gehen 60 bis 80 Prozent des Verpackungsmülls in die Umwelt.“ Dass gerade an vermeintlich paradiesischen Orten so mit Zivilisationsmüll umgegangen wird, mag bei vielen ein Kopfschütteln hervorrufen – die Gründer von Wildplastic hat es angestachelt, eine Lösung zu suchen.

2 Hände halten 3 Rollen mit Wildbag-Müllbeuteln.
Die Wildbag genannten Müllbeutel sind bereits in Drogeriemärkten erhältlich. (Bild: Katja Hanz)

Vom Problem zum Geschäftsmodell

Die Lösung von Wildplastic ist dabei keine neue Technologie. Stattdessen hat das junge Unternehmen Akteure entlang des gesamten Recyclingprozesses zusammengeführt, um aus einem Problem ein wertiges Produkt zu erschaffen: „Wir haben schnell erkannt, dass wir Plastikmüll einen Wert verleihen mussten, einen monetären Anreiz bieten, LDPE aus der Umwelt zu sammeln und in den Recyclingstrom zu führen“, erläutert Sigmund. Für Müllsammler aus Ländern wie Indien, Indonesien, Ghana oder dem Senegal hat das Hamburger Start-up dadurch zusammen mit lokalen Partnerorganisationen eine neue Einkommensquelle geschaffen, sie näher an ein „living wage“, ein lebenswürdiges Einkommen, geführt. Konnten Müllsammler bisher nur Metalle und PET bei regionalen Sammelstellen verkaufen, erwirbt Wildplastic seit einigen Jahren auch Leichtplastik. Über die Sammelstellen aggregiert und sortiert kommt heute containerweise wildes Plastik aus aller Welt bei europäischen Recyclingbetrieben an, wird aufbereitet, granuliert und zu neuen Recycling-Kunststoffprodukten verarbeitet.

Erschreckenderweise sind die „Rohstoffe“ für Wildplastic in Entwicklungs- und Schwellenländern nahezu endlos vorhanden, aber auch die Nachfrage nach wilden Recyclingprodukten ist groß. So haben Wildbag-Müllbeutel bei Drogeriemärkten Einzug in die Regale gehalten, Otto hat 100 % seiner Versandtaschen auf Wildplastic umgestellt und auch wer sich ein Trikot bei Borussia Dortmund oder dem Hamburger SV bestellt, erhält dies eingeschweißt in wildes Plastik.

Wie groß das Marktpotenzial ist und wie vielversprechend die Wachstumsaussichten für Wildplastic, ist offensichtlich. Gerade dies hat die Unternehmensgründer aber zu einem ungewöhnlichen Schritt bewegt. Wildplastic wurde als Gesellschaft auf Verantwortungseigentum gegründet. Genau genommen stand die Rechtsform der GmbH-VE oder auch GmbH-gebV (mit gebundenem Vermögen) auf der To-do-Liste der Ampelkoalition, wurde bis zu deren Scheitern aber nicht umgesetzt und hängt nun weiter in den gesetzgebenden Gremien. Mit der Einbindung der Purpose Stiftung hat Wildplastic aber einen Weg gefunden, sich dem Verantwortungseigentum auch heute schon zu verpflichten, bevor eine entsprechende Gesetzesvorlage vom Bundestag beschieden wird.

Die gemeinnützige Purpose Stiftung hält 1 % der Anteile an Wildplastic und hat damit umfassende Mitbestimmungsrechte und Vetopflichten bei eventuellen Anteilsverkäufen oder Gewinnausschüttungen. „Für uns war die Frage zentral, wie wir trotz wirtschaftlichen Erfolgs die soziale und ökologische Idee von Wildplastic und unser Verspechen den Kunden gegenüber schützen. Und mit dem Verantwortungseigentum können wir dafür Sorge tragen, dass das Unternehmen nicht veräußert werden kann und Gewinne in der Firma verbleiben als Treibstoff für unser weiteres Wachstum“, umreißt der Gründer die Motivation.

Ein Mann und eine Frau halten jeweils eine Wildplastic-Versandtasche von Otto.
Otto hat alle seine Versandtaschen auf Wildplastic umgestellt. (Bild: Wildplastic)

In 10 Jahren 100.000 t Plastik retten

Für die Start-up-Phase, in der sich Wildplastic unverändert befindet, brauchte das Unternehmen nichtsdestotrotz Finanzierungsmittel und konnte rund 1 Mio. Euro von verschiedenen Investoren einwerben. Ob es besonders schwierig war, mit der gewählten Gesellschaftsform Wachstumskapital zu gewinnen, verneint Sigmund: „Einerseits hat der Entschluss zum Verantwortungseigentum natürlich den Pool möglicher Investoren eingeschränkt, andererseits hat gerade die Konsequenz dieses Commitments die gefundenen Finanzierungspartner umso mehr überzeugt.“

Natürlich erhalten auch diese Finanzierungspartner im Erfolgsfall eine risikoadäquate Verzinsung, aber keine überproportionale Venture-Capital-Rendite und keine Partizipation an einem üblicherweise anvisierten Veräußerungserlös. Für Sigmund, mit Wildplastic auch Gründungsmitglied der Stiftung Verantwortungseigentum, zu deren Kreis neben Politik und Wissenschaft auch Unternehmen von Alnatura über die BMW Foundation bis hin zu Weleda gehören, ist Verantwortungseigentum ein Erfolgsmodell, das nicht nur für Social-Impact-Unternehmen funktioniert, sondern auch dem deutschen Mittelstand gute Wachstumsmöglichkeiten bietet.

Auch für Wildplastic ist das Wachstum vorgezeichnet: „Darüber, dass die Welt ein Plastikmüll-Problem hat, aber auch darüber, dass wildes Plastik etwas Gutes ist, müssen wir heute nicht mehr reden“, so Sigmund. „Wir haben wildes Plastik salonfähig gemacht, haben die Skalierung angestoßen und die ersten 1.000 Tonnen wildes Plastik aus der Natur gerettet und in den Recyclingstrom reintegriert. Damit tragen wir zur Lösung des Müllproblems bei, schaffen ein soziales Fundament für Menschen, die bisher unterhalb der Armutsgrenze lebten und finanzieren gleichzeitig den Aufbau einer regionalen Abfallwirtschaft.“

Bis die Welt frei von Plastikmüll ist, wird es ein paar Jahrzehnte dauern, schätzt Sigmund. Aber er glaubt daran, dass wildes Plastik ein Rohstoff der Zukunft ist; dass es gelingen wird, die Verpackungsabfälle der Vergangenheit abzuarbeiten und parallel auch in ärmeren Ländern ein System mitzugestalten, das vor dem Aufbau neuer Müllberge bewahrt.

„In 10 Jahren sollten wir die Schwelle von 100.000 Tonnen gerettetem Plastik überschritten haben, und vielleicht haben wir in 100 Jahren einen Punkt erreicht, an dem wir selbst uns als Unternehmen Wildplastic überflüssig gemacht haben“, so der Hamburger Entrepreneur. Wenn es schrittweise soweit kommt, können wir alle uns in den nächsten Jahren nicht nur auf verantwortungsvollere Plastikprodukte, sondern auch auf paradiesisch saubere Surfstrände freuen.

Über Knox

Knox ist eine Unternehmens- und Personalberatungs-Gesellschaft, deren Engagement der Verpackungs- und Druckindustrie gilt, sei es in der Produktion, im Handel oder im Dienstleistungsbereich. Das Team von Knox berät seit nahezu 20 Jahren in Deutschland, Europa und darüber hinaus Unternehmen in diesem Branchenumfeld bei strategischen Herausforderungen, insbesondere auch durch die umfängliche Betreuung und den erfolgreichen Abschluss von Unternehmenstransaktionen.

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