Grafik mit Hand die an 2 Figuren zieht

Neue Fachkräfte finden, bestehende Fachkräfte halten – der War for Talents ist ein regelrechter Zweifronten-Krieg. (Bild: Nuthawut – stock.adobe.com)

Grafik Performance Recruiting
Beim Performance Recruiting sollten Unternehmen vor allem auf digitale Kanäle setzen. (Bild: Berndt + Partner Communications)

Bedingt durch den demografischen Wandel und in der Wahrnehmung verstärkt durch Corona, erleben wir derzeit einen übergreifenden und teils schon existenziell bedrohlichen Arbeitskräftemangel. Das spüren wir im Alltag – Restaurants müssen schließen, der öffentliche Nahverkehr wird eingeschränkt – aber natürlich auch in unserer Industrie. CEOs und Marketer beschreiben dieses Thema als das mit Abstand dringlichste.

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus

Die Perspektive? Ernüchternd, mag man den Worten des ehemaligen Chefs der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, Glauben schenken: „Fakt ist: Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus.“

Die Antwort kann daher nur sein, als Unternehmen auf die veränderten Umstände nachhaltig zu reagieren. Das klingt leichter als es ist. Hierzu zwei Thesen:

1. These: Performance Recruiting, oder: Rollentausch – Unternehmen müssen sich künftig bei Ihren potenziellen Mitarbeitern bewerben.
Das Bewerbermanagement auf Unternehmensseite muss sich neu formieren. „Candidate Journey“-Betrachtungen helfen zu verstehen, an welcher Stelle der potenzielle Bewerber mit welcher Botschaft erreicht werden kann. Die Kommunikationskanäle werden durch den Empfänger vorgegeben – das heißt, Tiktok, Instagram, Twitch, Youtube etc. gewinnen zwangsläufig an Relevanz – und bedürfen einer ganz eigenen Anmutung und Sprache.


Schauen wir auf den Intent der Zielgruppen: Aktiv Suchende, passiv Passende (zwei von zehn Kandidaten haben ihren letzten Job gewechselt, weil sie ein Unternehmen aktiv angesprochen hat, obwohl sie gar nicht auf Stellensuche waren, Universität Bamberg, Social Recruiting und Active Sourcing) – für beide Zielgruppen braucht es individuelle Ansprachen.

Influencer für das Recruiting?

Grafik: Der bereits bestehende Fachkräftemangel wird sich in Zukunft voraussichtlich noch einmal verschärfen.
Der bereits bestehende Fachkräftemangel wird sich in Zukunft voraussichtlich noch einmal verschärfen. (Bild: Berndt + Partner Communications)

Was ist eigentlich mit Influencern? Das mag jetzt verrückt klingen, aber warum nicht darüber nachdenken, beispielsweise in einer strukturschwachen Region einen reichweitenstarken Influencer für eine Azubi-Kampagne einbinden? Ganz grundsätzlich werden sich Unternehmen vermehrt bei der Suche nach Mitarbeitern in den klassischen Kampagnenstrukturen von Neukundenkampagnen wiederfinden. Die Parameter und auch die KPIs sind ähnlich – jetzt muss sich dieses Denken und natürlich auch die erforderlichen Budgets noch in den HR-Abteilungen implementieren.

Ein großes Problem: Die Website (Karriereseite) für die potenziellen Bewerber wird oft nur stiefmütterlich behandelt und gepflegt. Das ist fatal – es ist ja der erste, substanzielle Touchpoint einer Person mit dem Unternehmen. Und natürlich lassen sich aus den Zahlen (wo springt ein User ab etc.) elementare Schlüsse auf mögliche Optimierungen ziehen. Das sollten Unternehmen dringend nutzen.

Tipps für kurzfristige Erfolge beim Performance Recruiting


• Arbeitgeber sollten mental in den Bewerbungsmodus gehen: Sie bewerben sich als Unternehmen bei den künftigen Mitarbeitern.
• Personaler sollten sich (beispielsweise von Mitarbeitern aus der jeweiligen Altersklasse) bei der Konzeption der Stellenanzeige (Format, Ansprache, Mehrwerte usw.) Unterstützung holen.
• Fokus beim Recruiting sollte auf digitalen Kanälen liegen, die wiederum den Stellenprofilen zugeteilt werden (Alter, Ausbildungsgrad etc.).
• Zur Erstansprache bietet sich Video-Content an.
• Eigenes Media-Budget für Stellenbesetzungen.
• Direct Response – auf Kontaktaufnahmen sollte immer umgehend geantwortet werden.

2. These: Nur wer sich angemessen um seine vorhandenen Mitarbeiter kümmert, wird die Personalkrise überstehen.

Hier geht es vor allem um die Professionalisierung der Arbeitgebermarke. Aber das alleine wäre zu generisch. Im Grunde geht es um Wertschätzung für jeden einzelnen Mitarbeiter. Wenn man vergleicht, wie viel Budget und Ressourcen von Unternehmen in die Kundengewinnung investieren und wie wenig Zeit, Substanz und Herz sie häufig für die eigene Belegschaft aufbringen, dann sollte dies zu denken geben. Employee Centricity bedeutet auch: Pain Points der Mitarbeiter zu identifizieren und aktiv zu reduzieren.

Eine offene und transparente Kommunikationskultur – Top-Down, Feedback-Formate, aktive Mitarbeiterentwicklung als fester Bestandteil der Arbeitsvereinbarung – das sind nur einige Dinge, die dieses Thema künftig treiben werden. Ein Maschinenbauunternehmen aus dem Süden Deutschlands hat vor einiger Zeit das Format „Meet the Boss“ eingeführt. Der CEO reiste hierfür zweimal im Jahr in jedes Werk und nahm sich für jeden Mitarbeiter 15 Minuten, der sich hierfür vorab angemeldet hatte. Zugegeben: ein großer Aufwand. Aber für den CEO tat sich hierbei auch eine ganz neue Perspektive auf: Was bewegt eigentlich meine Mitarbeiter?

Kulturthemen sind eben Chefthemen – dieser erforderliche Wandel muss von oben initiiert und auch gelebt werden. Beispiel sei hier die Geschäftsführerin eines mitteständischen Unternehmens aus NRW. Zu Weihnachten backt sie für die Belegschaft Plätzchen, packt diese ein und verteilt die Kekspäckchen im Dezember an jeden einzelnen Mitarbeiter. Gelebter Kulturwandel – authentisch, herzlich, wertschätzend und nicht teuer.

Das Marketing als Retter?

Jetzt ist es natürlich relativ einfach, gute Ratschläge von außen reinzuwerfen. Ein Hauptproblem liegt häufig gar nicht im fehlenden Verständnis oder Willen, sondern in der etablierten Struktur. So haben viele HR-Abteilungen weder Budget noch Inhouse-Kompetenz, um beispielsweise Instagram-Anzeigen zu konzipieren und zu schalten. Auch die Optimierung des Karrierebereichs nach UX-Gesichtspunkten war bislang nie ein Thema. Häufiger Impuls: der Gang zum Marketing. Dort sind die Budgets aber ebenfalls knapp und für solche Aktivitäten nicht eingeplant. Zudem handelt es sich um gänzlich andere Zielgruppen, Content-, und Kanalanforderungen. 18,4 % der HR-Abteilungen (DRX, Digital Recruting Monitor) beziehen laut einer aktuellen Studie das Marketing bereits aktiv mit in die eigenen Aktivitäten ein.

Entsprechend müssen Budgets frühzeitig und realistisch in die Jahresplanung des Marketings eingebrieft werden. Und natürlich wäre es zu kurzsichtig, sich auf die konkret offenen Stellen zu konzentrieren – die Kommunikation zur Stärkung der Arbeitgebermarke nach außen sollte ein kontinuierlicher Aktivitätsposten sein!

Im Fazit überwiegt die Chancenperspektive: Arbeitgeber haben die Chance, diese Herausforderungen als kulturellen Disruptions-Katalysator zu nutzen. Am demografischen Wandel lässt sich nichts verändern. Aber Unternehmen können sich so aufstellen, dass sie in Zeiten von großen Veränderungen und Unsicherheit den Mitarbeitern die bestmögliche Umgebung bieten.

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