AGV-Cobot-Lösung

Im Textilwerk des Fallbeispiels hat jede AGV-Cobot-Lösung eine Fahrstrecke von 80 bis 120 m. (Bild: Project S & P/Project A & C)

Roboter halten immer mehr Einzug auch im mittelgroßen und sogar kleinen Mittelstand und sind ein wichtiger Motor für kosteneffizientes Wachstum. Der Grund: Nicht mehr nur Ingenieure, IT-Profis und andere Experten werden in Deutschland händeringend gesucht. Sogar für einfache und körperlich belastende Arbeiten fehlt das Personal. Hier springen immer häufiger Roboter ein.

„Für den innerbetrieblichen Transport und die Lagerung kommen schon heute oft fahrerlose Transportsysteme und Roboter sowie sogar Cobots, die in der Nähe von Menschen arbeiten dürfen, zum Einsatz“, berichtet Ingo Rathmann, Geschäftsführer bei Project Automation & Consulting. „Wir haben nun eine ganz besondere All-in-one-Lösung konzipiert. Mit dieser können Produkte oder Verbrauchsmaterialien nicht nur beispielsweise auf einer Palette bewegt werden. Sondern sie kann sogar direkt zur Maschinenbestückung oder zur Ablage an einem vorher definierten Ort genutzt werden.“

Die 1989 gegründete Unternehmensgruppe unterstützt Kunden bei der Optimierung von Prozessen und Automatisierungsaufgaben. Dazu zählen bekannte Konzerne ebenso wie Hidden Champions – und das weltweit. Die Engineering-Gesellschaft Project Automation & Consulting hat nun eine AGV-Cobot-Gesamtlösung entwickelt. Im Dezember 2022 wurden die ersten von über 60 solcher von Project konzipierten AGV-Cobot-Lösungen in die USA ausgeliefert. Hier übernimmt ein auf einem AGV (Automated Guided Vehicle, also ein fahrerloses Transportfahrzeug) fest montierter Cobot (ein Roboter, der in der Nähe von Menschen eingesetzt werden darf) das Bestücken von Maschinen.

„Die Grundidee, die wir zusammen mit Saurer Technologies für einen Textilkonzern entwickelten, bietet sich auch für den Einsatz in anderen Branchen an“, erklärt Jan Hanenkamp, Geschäftsführer der Project Service & Produktion GmbH. In amerikanischen Werken eines Global Players der Textilindustrie wird die Bestückung von vielen 10.000 Ablageplätzen für Garnspulen künftig nicht mehr von Hand, sondern automatisiert erfolgen. Das Ziel des industriellen Endkunden: Die Gesundheit der Mitarbeiter zu schonen – bisher wird die körperlich sehr anstrengende Aufgabe manuell umgesetzt – und gleichzeitig eine Qualitäts- und Produktivitätssteigerung zu erreichen.

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Der Kunde erwartete höchste Qualität auf engstem Raum.

Flexibilität, Bedienerfreundlichkeit, Sicherheit

Doch welche Komponenten kommen zum Einsatz? Es geht um die von Project A &  C speziell entwickelten AGVs, auf denen ein siebenachsiger Cobot fest verbaut wurde. Bei dem Cobot handelt es sich um einen „Collaborative Robot“, also einen Leichtbau-Roboter, der für die Arbeit mit oder in der Nähe von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geeignet ist.

Bei der Entwicklung der Gesamtlösung hatten die Aspekte Flexibilität und Sicherheit eine hohe Priorität: „Wenn sich Menschen im Umfeld von Maschinen bewegen müssen und daher eine Umzäunung nicht gewollt ist, dann bietet sich unsere Lösung an“, betont Rathmann. Sein Team hat zudem Sicherheitslaserscanner und 3D-Vision-Sensoren in die Gesamtlösung inte­griert. „Der Kunde erwartete höchste Flexibilität auf engstem Raum. Er möchte auch sicherstellen, dass das Bedienen später in der Fabrik einfach ist.“

Unabhängigkeit von Robotik-Ingenieuren

Der Industrieendkunde sei mit der gefundenen Lösung unabhängig von Robotik-Ingenieuren, erläutert Rathmann: „Das Bedienen dieses Cobots ist für jeden Mitarbeiter in der Produktion möglich, und Technikaffinere können sogar selbst die Wartung, Instandhaltung und gegebenenfalls Roboteranpassung übernehmen. Auch daher fiel die Wahl auf den Cobot KR1018 von Kassow Robots.“

Dieser ist nicht nur einfach zu bedienen. Er hat auch ein Eigengewicht von nur 34 kg, kann bis zu 18 kg heben und – das wird hier voll ausgespielt – die siebte Achse ermöglicht sogar das Ums-Eck-Greifen. Rathmann betont, dass sein Unternehmen meist maßgeschneiderte Gesamtlösungen konzipiere. Oft werden dabei Eigenentwicklungen wie das AGV mit Partner-Produkten kombiniert. Bei dem in den USA eingesetzten AGV handelt es sich um eine Neuentwicklung vom Niederrhein: Es kann bis zu 1.500 kg tragen und eine Geschwindigkeit von bis zu 1,5 m/s erreichen. Zudem sind die Steuerungen einer zusätzlichen vertikalen Linearachse in die Gesamtsteuerung des AGVs integriert. Sie führt zu noch mehr Reichweite. Dies kann ein weiteres Plus sein, wenn eine solche Lösung für andere Applikationen, beispielsweise in Warehouses, zum Einsatz kommen sollte.

Bestückung von über 500 Spulstellen pro Maschine

Die über 500 Spulstellen der unterschiedlich getakteten Maschinen müssen in solch einer Textilfabrik zum richtigen Zeitpunkt bestückt werden. Daher kümmern sich mehrere AGV-Cobot-Maschinen nur in einem einzigen Werk um mehr als 60 Spinnmaschinen von bis zu 40 m Länge. „Das AGV mit dem Cobot fährt immer im Einbahnbetrieb um die Maschinen herum. Es bestückt nacheinander verschiedene Maschinen“, erläutert Lukas Jansen, bei Project Service & Produktion verantwortlich für die Programmierungen. Pro „Auftrag“ hat jede AGV-Cobot-Lösung eine Fahrstrecke zwischen 80 und 120 m. „Die Fahrwege wollen wir möglichst kurz halten. Für das AGV existiert dabei immer nur die nächste Position“, so Jansen. Das AGV arbeitet die Bestückungspositionen Schritt für Schritt ab, der Leitrechner gibt sie vor. Er muss also nicht von vornherein mehrere 10.000 Positionen im Blick haben.

Qualitätssteigerung und Gesundheitsschonung

Die in dem Fallbeispiel beschriebene mobile Lösung hat einen doppelten Vorteil. Sie hilft, dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Auch eine höhere Qualität ist die Folge. Denn eine Materialverwechslung wird nun vermieden und die Spulen werden schonender bedient. „Unsere AGV-Cobot-Lösung kann auch anderen Branchen abseits der Textilindustrie zu mehr Produktivität verhelfen. Gleichzeitig können die Mitarbeiter, die bisher derartige die Gesundheit belastende Tätigkeiten übernehmen, nun für fachlich anspruchsvollere und gleichzeitig gesundheitsschonendere Aufgaben weitergebildet werden“, betont Sebastian Münnekhoff, Geschäftsführer bei der Project S & P.

Die Kranenburger Automatisierungsspezialisten haben ihr eigenes Team aufgrund des Großauftrags erweitert und zählen nun über 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch wurde eine zusätzliche Produktionshalle bezogen, um die hohe Nachfrage zu bedienen. „Der Arbeitskräftemangel wird nicht nur in der Textilindustrie zum Booster für noch mehr Automatisierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit. Wir freuen uns auf viele Besucher aus verschiedensten Branchen auf der Interpack 2023 in Düsseldorf – und sind neugierig auf das konkrete Feedback der Fachbesucher!“

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