
Das Bin Packing des Fraunhofer IPA ermöglicht Ressourcenschonung durch Automatisierung beim Handling. (Bild: Fraunhofer IPA)
Diese Beobachtung teilen sicherlich viele Menschen aus dem privaten Alltag: Man bestellt einen vergleichsweise kleinen Artikel online und erhält ein überraschend großes Paket mit jeder Menge Leervorlumen und Packmaterial. Das ist in doppelter Hinsicht nicht sehr nachhaltig. Nicht nur wird viel Material verbraucht – es ist auch unnötig viel Platz beim Transport notwendig.
Mindestens im gewerblichen Umfeld werden solcherart gepackte Sendungen schon bald nicht mehr möglich sein. Denn 2024 hat das Europäische Parlament beschlossen, dass Umverpackungen, Transportverpackungen und Verpackungen für den elektronischen Handel künftig nur noch einen Leerraumanteil von höchstens 50 % aufweisen dürfen.
Herausforderungen in der Intralogistik
Und dies ist nur eine Herausforderung, vor der die In–tralogistik aktuell steht. Der anhaltende Trend zum E-Commerce und die steigenden Anforderungen an kürzere Lieferzeiten bei gleichzeitiger Kostenoptimierung treiben die Entwicklung neuer Automatisierungslösungen in Lagern maßgeblich voran. Auf dem Markt sind zwar bereits zahlreiche technische Optionen verfügbar, die den Prozess vom Abrufen der bestellten Waren und mitunter bis hin zum finalen Verpacken in Versandkartons abdecken. In diesem abschließenden Schritt stehen Unternehmen jedoch vor zwei wesentlichen Herausforderungen.
Setzen sie auf das manuelle Verpacken, sind sie oft mit dem zunehmenden Mangel an Arbeitskräften konfrontiert. Für die repetitive und körperlich anstrengende Tätigkeit des Verpackens wird es zunehmend schwer, qualifiziertes Personal zu gewinnen. Zudem ist das Verpacken fehleranfällig, schlecht skalierbar und muss unter hohem Zeit- und Kostendruck erfolgen. Das ist besonders in einem Hochlohnland wie Deutschland problematisch.
So müsste eigentlich vieles für eine automatisierte Lösung sprechen. Aktuell gibt es zwei Ansätze, um Pakete mit beliebigem Inhalt automatisiert zu verpacken. Der erste Ansatz erfordert vom Robotersystem kein Vorwissen über die zu verpackenden Objekte. Es kann die Objekte zufällig oder nur teilweise informiert ablegen. Das kann jedoch zu Beschädigungen führen. Zudem liegen die Objekte oft chaotisch im Paket. Der Packraum wird also nicht optimal genutzt. Der zweite Ansatz setzt voraus, dass das Robotersystem über umfassendes Wissen zu den Objekten und insbesondere zu deren exakter Geometrie verfügt, um sie systematisch zu handhaben. Dies wirft jedoch die Frage auf, wie solche geometrischen Stammdaten wirtschaftlich und effizient bereitgestellt werden können, angesichts der großen Vielfalt an Artikeln und der dynamischen Bestandsänderungen in Lagern.
KI-basiertes Bin Packing für hohe Packdichte
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, hat das Fraunhofer IPA einen neuen Packplaner entwickelt. Dieser ermöglicht es einem Robotersystem, beliebige Objekte ohne jegliches Training oder Vorwissen zu erkennen und entsprechend ihrer Form geordnet in Kartons zu packen. Der Packplaner ist nicht auf Stammdaten wie CAD-Modelle oder vorberechnete Packkonfigurationen angewiesen. Im Ad-hoc-Einsatz wird zuerst die Quellkiste gescannt und dann modellfrei ein Objekt gegriffen. Nach dem Greifen wird das gegriffene Objekt mit einer zweiten Kamera von unten gescannt. Außerdem wird die Zielkiste mit einer dritten Kamera gescannt. Aus beiden Aufnahmen wird in nur 50 ms die Ablage berechnet und dann ausgeführt; und zwar in allen drei rotatorischen Freiheitsgraden.
Das System wurde mithilfe von Physiksimulationen für beliebige Objektformen entwickelt, von Kisten unterschiedlicher Größe über ganze Paletten bis hin zu zylindrischen und gemischten Freiformobjekten. Diese Objekte können wiederum in beliebige Zielbehältnisse wie Kisten, Kartons, Paletten, Rollwagen, LKW, Flugzeugrümpfe und ähnliches geplant gepackt werden. Ein Demonstrator zeigt die Anwendung im Versuchsfeld des Instituts, und erste produktive Pilotanlagen mit Endanwendern und Systemintegratoren sind bereits in der Umsetzung.
Der Packvorgang kann frei an unterschiedliche Anforderungen angepasst werden und dynamisch auf wechselnde Bedingungen reagieren. Oft befinden sich bewegliche Objekte in der Kiste, die sich beim Transport im Lager verschieben können. Daher reagiert der Packplaner in weniger als 50 ms auf neue Packbedingungen im Zielbehälter. Er kann kundenindividuelle oder gelernte Packregeln sowie Präferenzen aus einer statisch vorgeplanten Konfiguration berücksichtigen. Und hier kommt auch wieder die neue Packverordnung ins Spiel, die Unternehmen mithilfe des Packplaners effizient umsetzen können. Denn weitere Kriterien wie Dichte, Stabilität und maximale Höhe beim Packen lassen sich auch festlegen. Zudem können Objektausrichtungen vorgegeben werden, um sicherzustellen, dass beispielsweise Flüssigkeitsbehälter aufrecht platziert werden. Eine Stabilitätsprüfung für die geplante Lagerung ist ebenfalls möglich, und bei gemischten Objekten können ähnliche Objekte zusammen platziert werden.
Liegen zudem auch 3D-Stammdaten der zu packenden Objekte vor, beispielsweise am Ende einer Produktionslinie, ist eine statische Vorplanung für eine global optimierte Platzierungskonfiguration für 3D-Freiformobjekte in sechs Freiheitsgraden durch den Planer umsetzbar. Dies ermöglicht eine optimierte Sequenzierung und Roboterbahnplanung und ist somit nicht nur auf das Top-Loading beschränkt. Gleichermaßen sind komplexe Roboterbewegungen mit Hinterschnitt bereits platzierter Objekte möglich. Auch die Vorausplanung zum Befüllen ganzer Zielbehälter erfolgt mit der Lösung des Fraunhofer IPA in nur wenigen Sekunden für die gesamte Kommission.
Nachhaltig durch Simulationen

Die Entwicklung des Packplaners basiert wesentlich auf den Forschungsergebnissen aus dem Projekt „Sim 4 Dexterity: Multimodale Physik- und Sensorsimulation zur Synthese von Trainingsdaten für die Roboter-Manipulation“, gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Ziel dieses Projekts war es, hochwertige, allgemein einsetzbare und benutzerfreundliche Simulationswerkzeuge zu entwickeln, um KI-gestützte Anwendungen wirtschaftlich und effizient zu realisieren. In der Simulation sollten Roboter neue Fähigkeiten und die Selbstprogrammierung erlernen, um kostengünstiger und flexibler ohne Expertenwissen eingesetzt werden zu können. Ein weiteres Ergebnis des Projekts sind virtuelle Machbarkeitsuntersuchungen und die virtuelle Einrichtung neuer Robotersysteme, die es Unternehmen ermöglichen, sicherer zu planen und zu investieren, Kosten zu senken und Betriebsunterbrechungen zu vermeiden – ebenfalls entscheidend für eine nachhaltigere Intralogistik.
Um diese Ziele zu erreichen, wurden im Projekt realistische Simulationsszenarien entwickelt, die Kontaktkräfte sowie taktile und bildgebende Sensoren berücksichtigen. Da es oft schwierig ist, ausreichend reale Daten für das Training neuronaler Netze zur Objekterkennung zu beschaffen, umfasst die Simulation auch Generatoren für Bauteil- und Objektmodelle, um auf Basis synthetischer Daten zu lernen. So sind Simulationsmodelle und Szenen für verschiedene Anwendungen in der Objektmanipulation entstanden, beispielsweise für Bin Picking, Bin Packing, Kitting, Kommissionierung und Montage. Das alles geschieht im Kontext des „Industrial Metaverse“, also einem physikalisch korrekt simulierbaren digitalen Zwilling der Anlage.
Durch diese Entwicklungen können innovative Lösungen für modellfreies Greifen in Hochgeschwindigkeit, die oben beschriebene modellfreie Packplanung, das Depalettieren homogener und gemischter Paletten, das mobile Kommissionieren im Lager oder Einzelhandel, das Beladen von LKW, (Roll-)Containern, Flugzeugen sowie die modellfreie Handhabung von Leergut in der Getränkelogistik umgesetzt werden.