Noch ein paar letzte Handgriffe, dann sind die Kartonagen in die Zuführung eingelegt und die Produktmuster vorbereitet, damit die neue Linie einen weiteren Testlauf starten kann. Einen Tag vor dem Factory Acceptance Test (FAT) der neuen Linie herrscht in der Fertigung in Fürstenau viel Betrieb, denn dieses Projekt stellte die Konstrukteure und Entwickler vor einige Herausforderungen, erklärt Guido Grewe, Leiter der Elektrokonstruktion und Automation bei Meurer Verpackungssysteme, „denn es gab gleich mehrere Rahmenbedingungen, die die Entwicklung dieser Linie zu einer anspruchsvollen Aufgabe gemacht haben.“
Das dazu nötige Know-how hat bei Meurer Tradition: Das Unternehmen hat sich bereits seit 1969 auf die Entwicklung und Herstellung hochwertiger Systeme für die Endverpackung spezialisiert und zählt zu den international führenden Herstellern von Folien- und Kartonverpackungsmaschinen sowie Anlagen für die Palettier-, Speicher- und Fördertechnik. Meurer unterstützt seine Kunden sowohl mit Einzelmaschinen als auch kompletten Verpackungslinien, die an den beiden Standorten in Freren und Fürstenau nahe Osnabrück individuell auf die jeweiligen Anforderungen abgestimmt werden.
Basis der Linie sind zwei der leistungsfähigsten Maschinentypen, die Meurer im Angebot hat: Die modulare Banderoliermaschine Filmline, mit der die Kosmetikartikel gruppiert und in Folie verpackt werden, und der Meurer CM/HTW Hochleistungs-Tray- und Wrap-around-Packer, mit dem die unterschiedlichen Produkte in niedrige und produkthohe Trays oder Wrap-around-Kartons verpackt werden können. „Die Zuschnitte werden im kontinuierlichen Durchlauf um das zu verpackende Produkt geformt und mit Heißleim verklebt. Die maximale Taktzahl dieser Maschine liegt bei 60 Trays pro Minute. Bei der Linie, die wir aktuell auf die Abnahme vorbereiten, forderte der Kunde 58 Takte pro Minute – was schon recht nahe an der Leistungsgrenze des Packers ist“, so Grewe weiter.
Neue Linie mit vielseitiger Architektur
Eine weitere Herausforderung lag in der großen Formatvielfalt: „Wir müssen die Produkte in unterschiedlichen Gebinden verpacken, von einem Umkarton für sechs Produkte ohne Folienverpackung bis hin zu zweimal jeweils sechs Produkten, die in Folien eingeschrumpft werden und anschließend in einen Umkarton gepackt werden. Da die Gebinde unterschiedliche Größen haben, sind zahlreiche Handlingsvorgänge nötig, um die Produkte exakt auszurichten“, erklärt Grewe. Die exakte Positionierung der Produkte war eine weitere Anforderung an die Maschine: „Da wir hier ein Markenprodukt verpacken, gehört auch die Umverpackung zum Gesamterscheinungsbild. Daher muss der Tray mit exakten rechten Winkeln, sauberer Platzierung der Laschen und Falze und ohne jede Beschädigung gefertigt werden – und das je nach Format bis zu 58-mal in der Minute.“ Noch dazu war die Form des Trays vorgegeben. „Unser Kunde nutzt diesen Tray bereits auf anderen Maschinen – und wir mussten diese Form genau wie vorgegeben auf unserer Maschine umsetzen.“
Bei der Automatisierung der Maschine nutzte Meurer eine Lösung von Siemens mit einer Simatic S7-1500T CPU und zahlreichen Sinamics S120 Antrieben für die Steuerung der zahlreichen Achsen. „Allein im Packer haben wir insgesamt 28 Motoren, die wir über drei Sinamics Control Units und 14 Sinamics Servoumrichter ansteuern“, erklärt Grewe. „Da wird es schnell eng im Schaltschrank. Deswegen nutzen wir die Doppelachsmodule, um den vorhandenen Platz optimal nutzen zu können.“
Aus dem gleichen Grund setzt Meurer auch das Simatic ET 200SP Peripheriesystem ein: „So können wir eine ganz kompakte Lösung aufbauen, die wir auch direkt an der Maschine in einem Schaltschrank unterbringen. Das ist für uns sehr wichtig, da die Maschinen immer komplexer werden und wir mehr Funktionen im Schaltschrank unterbringen müssen, aber trotzdem nicht mehr Platz zur Verfügung haben“, erläutert Grewe weiter. Sowohl die Banderoliermaschine als auch der Packer arbeiten mit Servomotoren, um die nötige Dynamik im Prozess zu ermöglichen und darüber hinaus auch einen energieeffizienten Betrieb der Maschine zu unterstützen. Auch bei der Anlagenvisualisierung setzt Meurer auf ein System von Siemens: Die Anwender können über ein Simatic HMI Comfort Panel alle Prozesse beobachten und bedienen. Zur Identifikation des Operators haben die Geräte eine integrierte RFID-Schnittstelle, über die sich die Anwender am Gerät mit ihrem Ausweis anmelden können.
Standards und Bibliotheken sparen Zeit
Projektiert wurde diese Lösung von Andreas Spreckelmeyer und seinem Team. Die Automatisierungsingenieure nutzten dabei das Engineeringwerkzeug TIA Portal für alle Aspekte der Automatisierung, vom HMI bis hin zur Motion-Control-Lösung. Die Kinematik ist über Kurvenscheiben, mithilfe der Bibliothek „Laxis Ctrl“ zum Ansteuern umfangreicher Motion-Control-Funktionen realisiert. Davon abgesehen setzen Spreckelmeyer und seine Kollegen wo immer es möglich ist auf Standards, weswegen auch die OMAC Pack ML-Bibliothek zum Bereitstellen der OMAC Pack ML-kompatiblen Schnittstelle eingesetzt wurde, die Siemens seinen Anwendern zur Verfügung stellt. „Damit sparen wir viel Zeit bei der Umsetzung von typischen Aufgaben“, so Andreas Spreckelmeyer: „Nehmen wir nur mal eine Funktion wie einen Zweizug-Stapler. Wenn ich dieses Modul manuell projektieren muss, kann das durchaus eine Woche in Anspruch nehmen. Mit der Bibliothek habe ich das in einem Tag umgesetzt.“
Unterstützung bei der Projektierung erhielt Meurer durch den Applikationssupport bei Siemens, der unter anderem die Bibliothek auf die Anforderungen von Meurer abstimmte und auch bei technischen Fragestellungen unterstützte. Aber auch beim allgemeinen Engineering profitiert Spreckelmeyer von den Funktionen im TIA Portal. So nutzt er die Openness-Schnittstelle, um Aufgaben zu automatisieren – „damit kann man sich einiges an Arbeit abnehmen lassen“, wie er bestätigt.
Einsatz an der Leistungsgrenze
Ein effizientes Engineering war bei diesem Projekt auch entscheidend, um die anspruchsvolle Aufgabe termingerecht und in der geforderten Qualität zu lösen: Eine komplexe Kinematik, kurze Umrüstzeiten bei großer Formatvielfalt, hohe Taktrate – „die neue Linie nutzt fast alle Optionen, die wir anbieten. Das macht sie zu einem anspruchsvollen, aber guten Test für die Leistungsfähigkeit der Automatisierungslösung: Wenn wir diese Aufgabe lösen, dann schaffen wir alles andere auch“, ergänzt Grewe. Einen Tag vor dem FAT ist er mit der Leistung durchwegs zufrieden: „Die Leistung der CPU ist für uns genau passend, wir können unsere Kinematik umsetzen, haben eine gute Unterstützung im Engineering und können Änderungen auch online durchführen.“ Und so ist die Automatisierung für den Testlauf gut vorbereitet.
Auch das Gesamtergebnis stimmt: Grewe nimmt am Ende des Packers einen Tray heraus und prüft die Qualität der Verpackung – alles im rechten Winkel, sauber verschlossen, keine einzige Beschädigung. „So muss es sein“, sagt er zufrieden. Damit steht einem erfolgreichen FAT nichts mehr im Wege.