Sonnenblumenkerne und Sonnenblumen

Aus den Schalen der Sonnenblumenkerne können Kleiderbügel, Kaffeekapseln oder Transportboxen entstehen. (Bild: Ortis – stock.adobe.com)

Alternativen zu Kunststoff aus fossilen Rohstoffen gibt es inzwischen viele, beispielsweise aus Zuckerrohr oder Agrarreststoffen wie Brautreber und Stärkeproduktionsabfällen. Und meist dauert es nicht lange, bis die ersten Stimmen laut werden, ob der Anbau der Pflanzen für Kunststoff nicht in Konkurrenz zum Lebensmittelanbau steht. Beim Hersteller Golden Compound könnte dieselbe Frage aufkommen, denn ihre Produkte bestehen aus den Schalen von Sonnenblumenkernen.

Lebensmittel oder Abfall?

Doch nach einer kurzen Recherche wird klar, dass die Schalen ein Abfallprodukt der Lebensmittelindustrie sind und somit nicht mit ihr in Konkurrenz stehen. Die Schalen fallen sowohl bei der Produktion von Sonnenblumenkernen als auch bei der Ölherstellung aus besagten Kernen an – und das in großen Mengen. Denn die Schale macht etwa 15 bis 20 % der Kerne aus. Im letzten Jahr wurden weltweit 49,72 Mio. t Sonnenblumenkerne geerntet (Quelle: Statista), das würde für 2021 bedeuten, dass zwischen 7,5 und 9,9 Mio. t Schalen angefallen sind – eine Menge Rohstoff, der nur darauf wartet, sinnvoll genutzt zu werden. Golden Compound ist allerdings nicht das erste Unternehmen, das die Überlegung hatte, aus den Reststoffen etwas Neues zu produzieren.

Zwei Kleiderbügel
Der Kunststoff aus Sonnenblumenkernschalen eignet sich auch für Gebrauchsgegenstände wie Kleiderbügel. (Bild: Timo Lutz)

Was wird aus Schalen von Sonnenblumenkernen hergestellt?

Die Schalen finden bereits gemahlen Einsatz als Tierfutter, zu Briketts gepresst als Heizmittel und unter dem Namen Dakota Burl auch in Form von Plattenmaterial als Ersatz für Hartholz. Und jetzt eben auch als biobasierter Kunststoff. Der Hersteller bietet anderen Unternehmen verschiedene Zusammensetzungen des Werkstoffs an, je nach Anwendung. Die beiden Hauptmaterialien, von denen es jeweils Variationen gibt, unterscheiden sich primär in ihrer Kompostierbarkeit: der Werkstoff Green ist heimkompostierbar, der Werkstoff GC Pro ist es nicht. Denn Pro kommt im Verbund mit Kunststoffen wie Polypropylen oder Polyethylen, ist dafür aber recyclingfähig.

Negativer CO2-Fußabruck

Der Werkstoff Pro von Golden Compound verspricht genau das, nämlich recycelbar zu sein und das bis zu fünf Mal ohne signifikante Qualitätseinbußen. Der Lagertechnikhersteller Bito bietet in seinem Webshop eine Aufbewahrungslösung aus dem Sunflower-Compound an. Auch Werkzeughersteller Würth bietet eine Aufbewahrungsbox an, bei der ein Material verwendet wird, das zu 30 % aus Sonnenblumenkernschalen besteht.

Aufbewahrungsbox von Würth
Das Material für die Box besteht zu 30 % aus Sonnenblumenkernschalen. (Bild: Timo Lutz)

Beide Unternehmen schreiben dazu, dass ihre Produkte durch die Verwendung der Schalen eine verringerte Kohlenstoffbilanz im Vergleich zu Kunststoff aus fossilen Rohstoffen haben. Da Sonnenblumen als Pflanzen CO2 aus der Luft in ihre Zellen aufnehmen, wirbt Golden Compound damit, dass der Werkstoff aus den Schalen einen negativen CO2-Fußabdruck hat. Das ist gemäß dem Stofferhaltungssatz so lange der Fall, wie der Werkstoff im Materialkreislauf gehalten wird. Denn wenn der Werkstoff durch seine Kompostierbarkeit im Boden zersetzt wird, wird ein großer Anteil des bisher gebundenen CO2 wieder freigesetzt.

Ein wichtiger Aspekt ist hierbei aber die Unterscheidung zwischen erneuerbarem Kohlenstoff und dem Kohlenstoff aus der Geosphäre, der schlechter für die Umwelt ist. Diese Unterscheidung wird in wenigen Bewertungen berücksichtigt, was auch das Nova-Institut, als Fehler angesehen hat.

Das Nova-Institut bietet Forschung und Beratung mit einem Schwerpunkt auf dem Übergang der Chemie- und Materialindustrie zu erneuerbarem Kohlenstoff an und hat die Renewable Carbon Initiative ins Leben gerufen. Das Ziel dieser Initiative liegt in der Ersetzung des fossilen Kohlenstoffs durch erneuerbaren Kohlenstoff bis 2050. Zu dem erneuerbaren Kohlenstoff zählen alternative Quellen wie die Biomasse, die direkte CO2-Nutzung oder auch das Recycling.

Heimkompostierbar: Vom Blumentopf zur Kaffeekapsel

Der heimkompostierbare Werkstoff GC Green wurde bereits erfolgreich von dem Start-up Pottburri bei der Vox-Sendung „Die Höhle der Löwen“ in Form eines Blumentopfs vermarktet. Pottburri hat Anzuchttöpfe im Sortiment, die nicht entfernt werden müssen, bevor eine Pflanze eingepflanzt wird. Neben den Schalen der Sonnenblumenkerne bestehen die Töpfe aus Maisstärke und einem Gesteinsmehl als mineralischem Füllstoff.

Blumentopf aus Sonnenblumenkernschalen
Der Blumentopf kann einfach mit der Pflanze in die Erde gebracht werden. (Bild: Timo Lutz)

Ebenfalls aus dem Material GC Green hat Golden Compound Kaffeekapseln entwickelt, die vom TÜV Austria das Siegel „Ok Compost Home“ erhalten haben. Für dieses Siegel werden verschiedene technische Anforderungen aufgelistet, die ein Produkt erfüllen muss, um die Zertifizierung zu erhalten. Dabei bezieht es sich auf die Norm DIN EN 13432.

Die Kapseln bestehen neben den Schalen aus einem biobasierten und biologisch abbaubaren Polybutylensuccinat (PBS) sowie einem mineralischen Füllstoff. Das kompostierbare Bio-PBS von Golden Compound umschließt dabei das Schalenmaterial. Mit demselben Herstellungsverfahren hat das Unternehmen bereits kompostierbare Kaffeebecher entwickelt.

Recycelbar bedeutet nicht Recycling

Grundsätzlich sollte es das Ziel von Werkstoffherstellern sein, Material so lange wie möglich im Stoffkreislauf zu halten, wenn die Infrastruktur im Land entsprechend ausgebaut ist. Dennoch sind auch die Möglichkeiten des mechanischen Kunststoffrecyclings begrenzt. Denn die Wiederverwertung von Kunststoffen ist zwar ein wichtiger Aspekt der Kreislaufwirtschaft, kann jedoch nicht unendlich fortschreiten. In jedes recycelte Material kommt bei der Aufwertung auch wieder neues Material dazu. Abhängig vom Material, findet der Werkstoff dann nach ein paar Recycelgängen sein Ende. Wichtig ist hier auch die Unterscheidung zwischen recycelbar und recycelt.

To-go-Kaffeebecher der in Kaffeebohnen und -kapseln steht
Der Kaffeebecher ist trotz seiner Kompostierbarkeit spülmaschinenfest. (Bild: Timo Lutz)

Kaffeekapseln aus Aluminium sind recycelbar, doch tatsächlich recycelt werden diese wahrscheinlich eher wenig. Dafür müsste der Kaffeerest aus der Kapsel entfernt und im Biomüll entsorgt werden, sodass die Siegelfolie von der Kapsel getrennt im Müll entsorgt werden kann. Selbst dann befindet sich die Aluminiumkapsel nicht in ihrer eigenen Kreislaufwirtschaft, sondern wird beispielsweise für Fahrräder eingesetzt. In diesem Fall würde also ein wertvoller und fossiler Rohstoff durch die Anwendung als Kaffeekapsel letztlich downgecycelt. Eine Verbesserung ist dagegen die kompostierbare Kaffeekapsel, die nach der Verwendung als Ganzes weggeworfen werden kann und dem Kompost die Nährstoffe des Kaffeerestes zur Verfügung stellt.

Gute Idee. Und jetzt?

Und was ist nun die Moral aus der Geschichte? Nachwachsende Rohstoffe anstatt fossiler? Grundsätzlich ja, denn die fossilen sind endlich und verursachen bei ihrer Verarbeitung mehr CO2, als die nachwachsenden. Es sei denn natürlich, Materialien aus fossilen Rohstoffen sind schon im Kreislauf, dann dürfen sie dort auch gerne bleiben.

Ob nun biologisch abbaubare oder recycelbare Produkte sinnvoller sind, hängt von deren Nutzung und der Infrastruktur eines Landes ab. Beim Recycling werden Materialien genutzt, die sowieso schon produziert wurden und aufbereitet werden müssen. Die Wiederholungsmöglichkeiten der Wiederaufbereitung sind begrenzt und gerade im Bereich der Lebensmittelindustrie kaum möglich. Dort kann oft aufgrund der Lebensmittelsicherheit nur frisches Material eingesetzt werden.

Die biologisch abbaubaren Materialien von Golden Compound werden mit Abfallstoffen von unter anderem der Lebensmittelindustrie aufbereitet und für einen letzten Akt in ein Produkt verwandelt. An dieser Stelle müsste abgewogen werden, ob es sinnvoller ist, die Sonnenblumenkernschalen im Restmüll zu verbrennen oder ihnen eine zweite Chance in einem biologisch abbaubaren Produkt zu geben. So haben auch das Institut für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart und das Nova-Institut in ihrem Projekt Biosinn geprüft, welche Produkte sinnhaft biologisch abbaubar sein sollten.

Was ist Bioplastik?

Der Begriff Bioplastik ist nicht geschützt und umfasst sowohl biobasierten Kunststoff, also Kunststoff der aus nachwachsenden Rohstoffen anstatt fossilen hergestellt wird, als auch biologisch abbaubaren Kunststoff. Allerdings sind biobasiert und biologisch abbaubar keine Synonyme. Kunststoffe aus fossilen Rohstoffen können genauso biologisch abbaubar sein, wie biobasierte Kunststoffe. Und dann wäre da noch die Kompostierbarkeit. Auch hier gilt: biologisch abbaubar heißt nicht gleich kompostierbar. Der Unterschied? Der Faktor Zeit. Biologisch abbaubar heißt schlicht, dass ein Material sich durch Mikroorganismen oder Enzyme in die Moleküle CO2 und H2O zersetzen lässt, wie viel Zeit dafür vergehen muss, ist nicht definiert. Beim Attribut kompostierbar hingegen schon, nämlich in der DIN13432. Wobei da auch noch zwischen dem heimischen Komposthaufen und der industriellen Kompostieranlage unterschieden wird, denn in der Anlage herrschen höhere Temperaturen, wodurch die Zersetzung beschleunigt wird.

Ist Bioplastik nun gut oder schlecht? Diese Frage kann so einfach gar nicht beantwortet werden, es kommt auf den Anwendungsfall an. So macht ein biobasierter und biologisch abbaubarer Kunststoff beispielsweise in der Forstwirtschaft Sinn, wo es um den Schutz der Bäume geht. Um deren Rinde vor gefräßigen Wildtieren zu bewahren, wird ein Schutz vor Wildverbiss angebracht. Dieser wächst mit dem Baum mit und gelangt irgendwann in den Waldboden und wird dort von keinem Menschen wieder aufgesammelt und in den Recyclingkreislauf gebracht.

Drei kompostierbare Kaffeekapseln
Für Kaffeekapseln kann es sinnvoller sein, wenn sie kompostierbar anstatt recyclingfähig sind. (Bild: Timo Lutz)

Mehr Informationen für Verbraucher

Die Idee von Golden Compound, ein Abfallprodukt zu verwerten, ist gut, denn es ist sinnvoll, schon Vorhandenes zu nutzen, anstatt Neues – wie nachhaltig es auch sein mag – zu produzieren. Damit mehr Klarheit in diese doch sehr komplexe Thematik kommt, arbeitet Golden Compound unter anderem bereits mit dem Kunststoffland NRW, einem Netzwerk der Kunststoffbranche, und weiteren Marktbegleitenden zusammen. Diese Kooperation zielt auf eine einheitliche und auch verständliche Kommunikation sowie auf eine einheitliche Lösung ab, um Nachhaltigkeit zu fördern.

Zuletzt sollte aber auch das Recycling kritischer betrachtet werden. In bestimmten Anwendungsbereichen ist es nicht sinnvoll, recycelbares Material zu verwenden. In manch anderen Bereichen wiederum schon. Eine bessere Aufklärung sollte auch bei der Wiederverwendbarkeit eines Materials stattfinden. Wenn es sich um einen geschlossenen Kreis handelt, wie es bei den Golden Compound Pro-Materialien der Aufbewahrungsboxen von Würth der Fall ist, ergibt Recycling Sinn. Wenn jedoch das bestverfügbare Aluminium in Kaffeekapseln gepresst wird und anschließend nur noch als Altmetall für Fahrradrahmen genutzt werden kann, ist dies nicht im Sinne des Kreislaufgedankens.

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