Industriehallte mit mehreren Personen

Gamification im Maschinenbau: Alles nur technische Spielerei oder ernsthafter Mehrwert? (Bild: Open AI/Dall-E)

neue verpackung: Herr Prof. Kutter, wir wollen heute über das Thema Gamification sprechen. Das ist natürlich ein sehr breites Feld und wird in vielen Branchen angewendet. Was also bedeutet Gamification erst einmal ganz allgemein – aber auch konkret im Maschinenbau, und wo kommt es zum Einsatz?
Prof. Dr. Alexander Kutter: Das ist schon richtig, Gamification ist ein sehr breites Feld, und die Definition hängt ein bisschen davon ab, wen man fragt. Ein Spiel zum Beispiel ist etwas, das man freiwillig macht – das ist ein ganz wichtiger Punkt in der Definition. Wenn wir uns an Filme wie *Saw* erinnern, in denen es auch „Spiele“ gibt, sind diese nicht freiwillig. Außerdem hat ein klassisches Spiel feste Regeln, meist gibt es einen klaren Anfang und definiertes Ende sowie ein messbares Ziel, bei dem jemand gewinnt. Natürlich existieren auch endlose Spiele, bei denen man alleine spielt, zum Beispiel Tetris, doch für die Mehrheit der Spiele gilt das nicht. Auch im Maschinenbau kann Gamification eingesetzt werden, beispielsweise bei Schulungen oder der Nutzung von Maschinen. Hier gibt es sehr spezifische Anwendungsfälle, in denen spielerische Elemente in den Arbeitsablauf integriert werden können.

Ein typisches Beispiel ist die Nutzung von Schweiß-Simulatoren. Hier können die Auszubildenden spielerisch lernen, indem sie Punkte sammeln und ihren Fortschritt direkt messen können. Am Ende gibt es eine Auswertung, bei der man sehen kann, wie gut man war – beispielsweise wie schnell oder präzise man gearbeitet hat. Diese Highscore-Systeme oder Fortschrittsbalken machen das Lernen nicht nur effektiver, sondern auch unterhaltsamer. Ein anderes Beispiel ist die Möglichkeit, Arbeitstage zu „verspielen“, etwa indem man für das Unternehmen Punkte sammelt, wenn man Vorträge hält oder Aufgaben für die Gemeinschaft übernimmt. Solche Social Points können dann gegen Belohnungen wie freie Tage oder Gutscheine eingelöst werden. Es geht also um mehr als nur Spaß – es soll das Engagement und die Motivation der Mitarbeiter fördern.

Zur Person

Prof. Dr. Alexander Kutter
Prof. Dr. Alexander Kutter (Bild: Technische Hochschule Ostwestfalen-Lippe)

Prof. Dr. Alexander Kutter ist Professor an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe am Kreativinstitut und beschäftigt sich in Forschung und Lehre mit den Themen VR/AR/XR, aber auch Spatial Computing, Metaverse und Themen darum herum (3D Scanning, Rendering, etc.). Zudem ist er der technische Geschäftsführer der VR Insight GmbH, die sich ebenfalls mit dem sinnvollen Einsatz dieser Technologien im industriellen Einsatz beschäftigt. Sein Weg bis dorthin war alles andere als „klassisch“. Er studierte Lebensmittelverfahrenstechnik an der TUM Weihenstephan, wurde im Bereich Strömungsmechanik und Rheologie promoviert und arbeitete bei der Tesa SE in der Entwicklung. In dieser Zeit entdeckte er die Leidenschaft für Virtual Reality, in der er diese sowohl bei Tesa einsetzte, aber auch zwei Start-ups gründete und dabei diverse Entwicklungs- und Beratungsprojekte umsetzte. Mit der Professur kann er nun Akademie und Anwendung und das Beste aus beiden Welten vereinen.

Digital Award Interface on Tablet with Plants
Vor allem im Bereich Schulung kommt Gamification schon heute erfolgreich zum Einsatz. (Bild: Saltanat – stock.adobe.com)

neue verpackung: In vielen Fällen scheint Gamification im Maschinenbau vor allem bei Schulungen angewendet zu werden. Ist das der Hauptbereich, in dem dieses Konzept eingesetzt wird?
Kutter: Ja, das ist in der Tat ein häufiger Anwendungsfall für Gamification. Bei Schulungen, wie etwa bei den bereits erwähnten Schweiß-Simulatoren, wird durch die Integration von spielerischen Elementen der Lernprozess unterstützt. Diese simulierten Umgebungen erlauben es den Teilnehmern, immer wieder und zu praktisch 100 % gleichen Randbedingungenzu üben, ohne dass der Lerneffekt verloren geht – im Gegenteil, durch die wiederholte Anwendung und den spielerischen Anreiz wird das Lernen sogar noch effektiver.

Spiele wie Candy Crush oder Flappy Bird zeigen, wie Belohnungssysteme funktionieren: Sie reizen das Gehirn und motivieren die Spieler, immer wieder zurückzukehren und sich zu verbessern. Im Maschinenbau ist es ähnlich: Man setzt sich Ziele, erreicht Meilensteine und sieht dabei Fortschritte, was die Lernmotivation enorm steigern kann.

Zitat

Wichtig ist, sich von Anfang an klarzumachen, welche Ziele man mit Gamification erreichen will

neue verpackung: Können Sie auch Beispiele aus der Praxis nennen, bei denen Gamification in realen Maschinenbauumgebungen bereits umgesetzt wurde?
Kutter: Es gibt einen Tablettenhersteller, bei dem die Kunden während der VR Schulung Punke sammeln konnten, je nachdem, wie effizient sie gearbeitet haben. Ein anderes Beispiel, das mir einfällt, sind Speed-Challenges bei der Fertigung, bei denen die Zeit und die Präzision gemessen wird, die benötigt wird, um eine Aufgabe abzuschließen. Auch hier werden Fortschritte sichtbar gemacht, und es gibt einen spielerischen Wettbewerb unter den Mitarbeitern.

neue verpackung: Sie sagten, Gamification soll die Motivation und den Spaß an der Arbeit fördern. Aber wie wird das in der Praxis tatsächlich aufgenommen? Werden solche Konzepte in den Unternehmen akzeptiert, oder gibt es Bedenken, dass Mitarbeiter ihre Arbeit dann nicht mehr ernst nehmen?
Kutter: Das hängt von der Herangehensweise ab. Ich würde den Begriff „Gamification“ beispielsweise nicht unbedingt in den Vordergrund stellen, da er bei manchen Menschen Gefahr läuft, falsche Assoziationen zu wecken. Besonders ältere Mitarbeiter, die nicht mit Videospielen aufgewachsen sind, haben oft eine andere Wahrnehmung von Arbeit und Spiel. Sie könnten sich sträuben nach dem Motto: „Das ist doch kein Spiel, das ist Arbeit!“ Das soll aber nicht bedeuten, dass diese Gruppe nicht offen und empfänglich für die Mechanismen ist, es geht hier vor allem um das Wording und das  Framing.

In solchen Fällen kann es hilfreich sein, den Fokus auf die Vorteile zu legen, ohne es direkt als Gamification zu bezeichnen. Man könnte es eher als ein System der Leistungssteigerung oder Engagement-Förderung einführen. Es ist auch eine Frage der Zielgruppe. Jüngere Mitarbeiter, die mit Spielen aufgewachsen sind, haben oft weniger Berührungsängste als ältere Kollegen.

Aber wichtig ist immer, dass es als freiwilliges Angebot wahrgenommen wird und nicht als ein Kontrollinstrument, um die Leistung der Mitarbeiter zu überwachen.

neue verpackung: Welche Rolle spielen die durch Gamification gewonnenen Daten? Auch wenn es kein Kontrollinstrument sein soll – können solche Daten genutzt werden, um Prozesse in Unternehmen zu optimieren?
Kutter: Absolut. Die durch Gamification gesammelten Daten bieten großes Potenzial für Prozessoptimierungen. Ein Beispiel aus der Praxis ist die Laufwegs­optimierung in der Automobilbranche. Durch die Erfassung von Bewegungen und Arbeitsprozessen lässt sich analysieren, wie effizient gearbeitet werden kann. Dabei geht es nicht nur um die reine Produktivität, sondern auch um die körperliche Belastung der Mitarbeiter – also beispielsweise, wie oft sie sich bücken oder wie viel sie laufen müssen. Diese Daten können verwendet werden, um Arbeitsprozesse ergonomischer zu gestalten und die Effizienz zu steigern. Allerdings ist es wichtig, dass diese Daten sinnvoll ausgewertet werden. Es bringt nichts, Unmengen von Daten zu sammeln, wenn man sie nicht in sinnvolle Maßnahmen umwandeln kann.

neue verpackung: Gibt es eigentlich wissenschaftliche Studien, die den Nutzen von Gamification im Maschinenbau belegen?
Kutter: Es gibt bereits einige wissenschaftliche Arbeiten zu Gamification, aber die Ergebnisse sind nicht immer eindeutig. In manchen Fällen zeigt sich, dass Gamification positive Effekte auf das Engagement und die Motivation hat, in anderen Fällen sind die Ergebnisse weniger signifikant. Eine Doktorarbeit aus dem Jahr 2023 hat gezeigt, dass der Erfolg von Gamification stark von den spezifischen Rahmenbedingungen abhängt.

Man muss hier vielleicht ehrlicherweise sagen: Gamification funktioniert nicht überall gleich gut, und manchmal gibt es auch keinen messbaren positiven Effekt. Wichtig ist darum, sich von Anfang an klarzumachen, welche Ziele man mit Gamification erreichen will. Geht es um harte Fakten und Produktivitätssteigerungen – oder um den Spaß an der Arbeit? Je nach Zielsetzung kann der Erfolg unterschiedlich ausfallen.

neue verpackung: Wie sehen Sie die Zukunft von Gamification im Maschinenbau? Welche Entwicklungen sind in den nächsten fünf bis zehn Jahren realistisch in der Industrie implementiert?
Kutter: Ich denke, dass Gamification vor allem im Bereich Schulungen und Trainings eine wichtige Rolle spielen wird. Besonders durch Technologien wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) wird Gamification in diesen Bereichen noch stärker integriert werden. Die spielerische Komponente ist in VR und AR bereits vorhanden, da man sich in einer simulierten Umgebung bewegt und interagiert. Eine spannende Entwicklung könnte auch die Einführung von Maschinen mit „Charakter“ sein – also Maschinen, die auf menschliche Weise mit dem Bediener kommunizieren und beispielsweise darauf hinweisen, wenn eine Wartung nötig ist. Dies könnte die Interaktion zwischen Mensch und Maschine auf eine neue Ebene heben.

Die Fragen stellte Philip Bittermann, Chefredakteur neue verpackung

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