Studie „Chemisches Recycling in Deutschland – Ist-Situation 2024 und Ausblick bis 2030/2035“

Potenzial vor allem mit Blick auf Lebensmittelverpackungen

Eine neue Conversio-Studie zeigt: Deutschland könnte deutlich mehr Kunststoffe recyceln. Chemische Verfahren bieten als Ergänzung zum mechanischen Recycling zusätzliche Möglichkeiten – vor allem für solche Abfälle, die sich mit klassischen Verfahren kaum hochwertig verwerten lassen.

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Deutschland liegt beim chemischen Recycling zurück.

Das chemische Recycling entwickelt sich zunehmend zu einem relevanten Baustein der Kunststoffkreislaufwirtschaft in Deutschland. Während mechanische Prozesse gegenwärtig den Recyclingmarkt dominieren, gewinnt die chemische Umwandlung heterogener Abfallströme – insbesondere von Kunststoffverpackungen – an Bedeutung. Die Studie „Chemisches Recycling in Deutschland – Ist-Situation 2024 und Ausblick bis 2030/2035“ zeichnet ein detailliertes Bild der aktuellen Lage und künftigen Entwicklung.

Ausgangslage: Ein Verfahren im Aufbau

Im Jahr 2024 befindet sich das chemische Recycling in Deutschland noch in einer frühen Entwicklungsphase. Die Studie ermittelt eine Input-Kapazität von lediglich 30,2 kt/a, wovon 29,7 kt/a auf Pyrolyse/Verölung und 0,5 kt/a auf Solvolyse entfallen; die Gasifizierung spielt mit weniger als 0,1 kt/a kaum eine Rolle. Damit bleibt das chemische Recycling mengenmäßig weit hinter dem mechanischen zurück, das 2.440 kt/a kunststoffhaltige Abfälle verarbeitet. Die Diskrepanz verdeutlicht das erhebliche Skalierungspotenzial der neuen Technologien.

Besonders weit entwickelt ist die Reifenpyrolyse, die 2024 rund 20 kt/a Kapazität ausmacht. Für Post-Consumer-Kunststoffe stehen dagegen hauptsächlich kleinere Demonstrationsanlagen von Technologieentwicklern wie Pyrum, Arcus Greencycling, Carboliq, Enespa und Pruvia zur Verfügung.

Kunststoffverpackungen als zentraler Rohstoffstrom

Die Studie zeigt: Leichtverpackungen (LVP) sind gemeinsam mit Reifenabfällen die bedeutendsten Inputfraktionen für chemische Recyclinganlagen. Laut Analyse entfallen 66 % des Inputmaterials auf Reifen und 31 % auf LVP-Abfälle. Doch ab 2030 sollen Verpackungsabfälle den wichtigsten Rohstoffstrom für die Pyrolyse darstellen.

Insbesondere gemischte Polyolefinfraktionen wie DSD323 oder DSD350, die in Sortieranlagen der dualen Systeme anfallen, eignen sich für die Verarbeitung. Ihre Zusammensetzung ist für mechanische Verfahren vielfach zu heterogen, für Pyrolyseprozesse jedoch nutzbar, sofern spezifische Qualitätsanforderungen eingehalten werden.

Die Untersuchung verdeutlicht, dass Sortieranlagen ihr Verhalten zunehmend anpassen: In Walldürn entsteht eine neue Nachsortieranlage, die LVP-Ströme zusätzlich für mechanisches und chemisches Recycling differenziert. Dies zeigt, dass technologische Entwicklungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig sind.

Technologien und Prozesscharakteristika

Die Studie unterscheidet drei zentrale Technologiefamilien:

Pyrolyse/Verölung:  Sie ist in Deutschland am stärksten vertreten. Polyolefinreiche Verpackungsfraktionen werden unter Sauerstoffabschluss thermisch zersetzt. Das Hauptprodukt ist Pyrolyseöl, das nach Aufreinigung in Steamcrackern erneut zur Herstellung von Grundchemikalien und Polymeren dient. 2024 beträgt seine Output-Kapazität 6,5 kt/a.

Solvolyse: Sie eignet sich für kondensationsbasierte Polymere wie PET, PUR oder PA. Trotz des hohen Interesses befindet sich die Technologie mit <0,5 kt/a Input noch im Pilotstadium. Große Chemiekonzerne forschen aktiv, konkrete industrielle Anlagen sind jedoch selten angekündigt.

Gasifizierung: Sie ermöglicht die Umwandlung polymerunabhängiger Abfallströme in Syngas. Aufgrund des frühen Entwicklungsstandes liegt die Input-Kapazität 2024 unter 0,1 kt/a.

Output-Mengen und Prozessverluste

Die Studie dokumentiert für 2024 eine gesamte Output-Kapazität von 21,2 kt/a. Dies umfasst:

  • 10,5 kt/a Pyrolyseöl
  • 6,2 kt/a recovered Carbon Black (rCB) aus Reifenpyrolyse
  • 4,0 kt/a Stahl aus Altreifen
  • 0,47 kt/a Monomere/Oligomere aus Solvolyse
  • <0,1 kt/a Syngas

Prozessverluste entstehen unter anderem durch mineralische Bestandteile, Textilanteile, Additive sowie unvermeidbare gasförmige Emissionen. Diese Faktoren bestimmen maßgeblich die Wirtschaftlichkeit und Energieeffizienz der Verfahren.

Die Industrie will starten, aber wird ausgebremst

Matthias Belitz vom Verband der Chemischen Industrie sieht die Politik jetzt in der Verantwortung: „Chemisches Recycling ist bei weitem nicht dort, wo es sein könnte. Es handelt sich um eine Zukunftstechnologie sowohl zur Reduktion von Treibhausgasen als auch zur Versorgung mit Rohstoffen. Das ist eine klare Win-win-Situation für Klimaschutz und Resilienz. Doch solange zentrale Rechtsfragen offenbleiben, kommen die notwendigen Investitionen nicht ins Rollen.“

Dr. Christine Bunte von Plastics Europe Deutschland ergänzt: „Bisher ist die installierte Kapazität für chemisches Recycling in Europa vor allem außerhalb Deutschlands angesiedelt. Die Erwähnung des chemischen Recyclings im neuen Verpackungsdurchführungsgesetz ist ein erster wichtiger Schritt, das Potenzial auch hier im Land zu heben. Auf europäischer Ebene fehlt noch eine wichtige Entscheidung, wie chemisches Recycling auch auf die Quoten für den Einsatz von recycelten Kunststoffen angerechnet werden kann. Diese endlose Diskussion über die Massenbilanzierung muss daher schnell beendet werden. Wir hoffen, die Bundesregierung macht hier in Brüssel entsprechend Druck.“

Neben dem klaren Rechtsrahmen für chemische Verfahren setzen sich die Verbände dafür ein, dass auch lösemittelbasierte Prozesse als Teil der Lösung gefördert werden. Dadurch werden deutlich höhere Reinheiten erzielt als bei herkömmlichen mechanischen Recyclingverfahren, so dass mehr Abfälle recycelt werden und besonders hochwertige Rezyklate hergestellt werden können.

Potenziale für die Verpackungswirtschaft

Ein zentrales Ergebnis ist das substanzielle Potenzial aus den Restströmen des mechanischen Recyclings. Rund 0,46 Mt/a könnten dort als Input für chemische Verfahren dienen – ein Rohstoffpool, der derzeit überwiegend energetisch verwertet wird.

Für die Pyrolyse werden 0,23 Mt/a, für die Solvolyse 0,15 Mt/a als nutzbar eingeschätzt. Damit können chemische Verfahren künftig einen wachsenden Beitrag leisten, um Verpackungsabfälle jenseits mechanischer Recyclinggrenzen zu verwerten und hochwertige Rohstoffe in die Kreislaufwirtschaft zurückzuführen. Die Studie modelliert drei Szenarien für den Ausbau der Kapazitäten. Ein realistisches Szenario ist demnach der Ausbau der Kapazitäten bis 2035 auf rund 300 kt/a.

Fast der gesamte Kapazitätszuwachs resultiert aus der Pyrolyse von Polyolefinen. Großunternehmen wie BP oder Ineos planen große Verbundprojekte (>100 kt/a), deren Realisierung jedoch teilweise ungewiss ist. Die Solvolyse könnte nach wissenschaftlichen Durchbrüchen ebenfalls skalieren, doch konkrete Ankündigungen bleiben rar. Paralleler Ausbau von Sortier- und Aufbereitungsstrukturen wird entscheidend sein, um die Versorgung der Anlagen mit ausreichend qualitätsgesicherten Verpackungsabfällen sicherzustellen.

Ausblick

Für Deutschland ergibt sich ein klares Bild: Das chemische Recycling steht noch am Anfang, besitzt aber das Potenzial, bislang nicht mechanisch recycelbare Verpackungsabfälle wieder in den Stoffkreislauf zurückzuführen. Mit steigendem regulatorischem Druck – etwa durch PPWR, Mindest-Rezyklatquoten oder CO₂-Reduktionsstrategien – wird die Technologie zu einer wichtigen Ergänzung.

Entscheidende Erfolgsfaktoren für die kommenden Jahre sind:

  • Ausbau industrieller Anlagen und verlässliche Investitionsbedingungen
  • Kooperation zwischen Entsorgern, Sortiertechnik, Chemieindustrie und Markenherstellern
  • Verbesserung der Inputqualität, insbesondere durch optimierte LVP-Sortierung
  • Klare regulatorische Anerkennung chemisch recycelter Outputs
  • Energieeffiziente Prozessführung und Nutzung von Nebenströmen 

Auftraggeber der Studie ist die BKV GmbH mit Unterstützung von unter anderem Plastics Europe Deutschland und VCI (Verband der Chemischen Industrie). Eine Kurz- und eine Langfassung der Studie sind über die Homepage der BKV erhältlich.