Jedes Jahr steigt die Bedrohung durch illegale Arzneimittel kontinuierlich an. Inzwischen betrifft dieses Phänomen nicht nur Entwicklungsländer und Emerging Markets, sondern ist eine globale Herausforderung. Für die pharmazeutische Industrie ist der finanzielle Schaden gewaltig – doch noch größer sind die Gefahren für den Patienten. Die Covid-19-Pandemie hat diese kriminellen Machenschaften noch befeuert: Gefälschte Covid-19-Impfstoffe wurden illegal in gebrauchte und weggeworfene Originalfläschchen zugelassener Covid-19-Impfstoffprodukte abgefüllt und wiederverwendet. Zur Eindämmung des illegalen Handels führte Europol zwischen April und Oktober 2022 die Operation „Shield III“ durch. Dabei wurden illegale Wirkstoffe im Wert von über 40 Mio. Euro beschlagnahmt: darunter falsch deklarierte, gepanschte oder gefälschte Arzneimittel, Covid-Impfstoffe, Doping-Substanzen, Hygieneartikel und Medizinprodukte. Mehr als 10,5 Mio. Medikamente und Dopingmittel sowie 1 Mio. gefälschter Covid-Tests wurden allein bei dieser Aktion sichergestellt. Schätzungen gehen davon aus, dass der gesamte Markt für gefälschte Medikamente einen Wert von 200 Mrd. US-Dollar hat und jedes Jahr um 20 % wächst – doppelt so schnell wie der legale Arzneimittelmarkt.
Im Februar 2019 wurde die EU-Fälschungsschutzrichtlinie 2011/62/EU eingeführt: die erste gesetzlich bindende und europaweit gültige Maßnahme zur Eindämmung von Arzneimittelfälschungen. Pharmahersteller wurden verpflichtet, auf der Umverpackung verschreibungspflichtiger Medikamente eine individuelle Seriennummer als 2D-Code (Data Matrix) zur Identifikation aufzubringen sowie einen Manipulationsnachweis, der die Unversehrtheit der Verpackung belegt. Das Problem: Bisher werden nur Sekundär-, nicht jedoch Primärverpackungen berücksichtigt. Außerdem schreibt die Richtlinie keine Originalitätsmerkmale vor. Diese sind jedoch ein wichtiger Baustein, um diversen Bedrohungsszenarien zu begegnen und letztlich die Sicherheit der gesamten Pharma-Supply-Chain zu gewährleisten.
Vielfältige und innovative Sicherheitsmerkmale
Für ein wirkungsvolles Sicherheitskonzept muss zunächst ermittelt werden, welchen Risiken das jeweilige Arzneimittel ausgesetzt ist und welche Stakeholder im Verifikationsprozess berücksichtigt werden müssen. Besteht die Gefahr, dass Arzneimittel illegal ausgetauscht werden, dass Medikamente gefälscht werden oder dass Arzneimittel illegal abgezweigt werden? Je nach Bedrohungsszenario bietet sich eine individuelle Sicherheitslösung an. Nach der Gefahrenanalyse wird von einem Pharma-Security-Spezialisten gemeinsam mit dem Pharmaproduzenten das maßgeschneiderte Sicherheitskonzept erarbeitet.
Im Mittelpunkt steht, dass jedes Konzept auf die individuelle Verpackungsform abgestimmt ist: Handelt es sich also beispielsweise um eine Faltschachtel, eine Spritze oder ein Vial? Die stärksten Sicherheitskonzepte kombinieren unterschiedliche Sicherheitsfeatures, die noch mit weiteren Zusatzfunktionen ergänzt werden können. So entstehen wirkungsvolle, mehrstufige Sicherheitssysteme für Erstöffnungsindikation und Manipulationsnachweis, Fälschungsschutz und Echtheitsnachweis sowie Identifikation und Rückverfolgung.
Erstöffnungsindikation: eindeutig und irreversibel
Siegellösungen auf Etikettenbasis können mit ihrem einzigartigen Design einen zuverlässigen Erstöffnungsnachweis liefern. So kann verhindert werden, dass Arzneimittel illegal ausgetauscht werden und Fälscher Originalverpackungen nutzen können. Für Umverpackungen beziehungsweise Faltschachteln können beispielsweise Void-Siegel zum Einsatz kommen, wie sie der Pharmalabel-Experte Schreiner Medipharm anbietet. Beim Ablösen eines Void-Labels wird eine zuvor versteckte Botschaft sichtbar und zeigt die Erstöffnung eindeutig und irreversibel an. Je nach konkretem Anwendungsfall kann das Label mit drei unterschiedlichen Void-Effekten realisiert werden: Beim Ablösen des No-Transfer-Labels bleiben keinerlei Rückstände auf der Verpackung, der Void-Effekt ist nur im Label selbst sichtbar. Das Ablösen des Semi-Transfer-Siegels hinterlässt hingegen partielle Rückstände, sodass der Void-Effekt auf Verpackung und Label sichtbar ist. Beim Full-Transfer-Etikett verbleibt eine komplette Schicht auf der Verpackung, sodass der Void-Effekt nach erstmaligem Öffnen auf Verpackung und Label zu sehen ist. Außerdem können eine komfortable Anfasslasche sowie offene und verborgene Authentifizierungsmerkmale zum Originalitätsnachweis integriert werden. (Bild 1)
Eine neuartige Lösung zur Erstöffnungsindikation von Primärcontainern ist ein Spezialetikett für vorgefüllte Spritzen, das sich wie eine zweite Haut um die gesamte Kappe und den Spritzenkörper legt und oben versiegelt ist, sodass die Integrität der Spritze bis zur Injektion gewährleistet ist. Das Öffnen des Etiketts löst dann die Erstöffnungsanzeige aus, während spezielle Sicherheitsstanzungen zu einer teilweisen Zerstörung des Etiketts führen und so verhindern, dass es unbemerkt wieder verschlossen werden kann. Durch sein spezielles Design bietet das Etikett die Option diverser Zusatzfunktionalitäten wie etwa UV-und Lichtschutz, die an den jeweiligen Anwendungsfall und das Material der Spritze angepasst werden können. Das Sicherheitsetikett kann im herkömmlichen Spendeprozess in der Pharmaproduktion auf die Spritze aufgebracht werden. Es wird mit einem energiearmen Ultraschallschweißverfahren ohne Hitze versiegelt und eignet sich daher auch für empfindliche Wirkstoffe. Darüber hinaus ist die Lösung auf Spritzen mit eingesteckter Nadel oder Luer-Lock adaptierbar. (Bild 2)
Fälschungsschutz: offen, verborgen oder digital
Fälschungsschutzmerkmale dienen als Authentifizierungsnachweis. Mit ihrer Hilfe kann sichergestellt werden, dass Originalprodukte als solche erkannt werden und Fälscher keine Chance haben, sie unbemerkt nachzuahmen. Von offenen Merkmalen über halb verborgene, digitale bis hin zu verborgenen Merkmalen, die nur mit speziellen technischen Hilfsmitteln überprüft werden können – je nach individueller Anforderung gibt es ein breites Portfolio an Sicherheitstechnologien am Markt. Für die höchste Sicherheit bei pharmazeutischen Produkten sollten unterschiedliche Merkmale verschiedender Levels kombiniert werden. Schreiner Medipharm hat in Kooperation mit Applied DNA Sciences sogar ein hochsicheres Label mit integierter individueller DNA entwickelt. Es basiert auf dem verborgenen Merkmal Signature DNA, gilt als nicht fälschbar und ist auch vor Gericht als forensischer Echtheitsnachweis anerkannt. Überprüft werden kann es mit speziellen mobilen PCR-Geräten und per forensischer DNA-Analyse im Labor. ((Bild 3)
Track & Trace: Identifikation und Nachverfolgung
Um die Bedrohung zu minimieren, dass Arzneimittel entlang der Supply Chain abgezweigt werden, und Graumarktaktivitäten zu verhindern, bieten sich digitale Siegel mit NFC-Technologie und Tracing-Systemen an, die die Identifikation und Rückverfolgbarkeit von Medikamenten ermöglichen. Integrieren lassen sich die Technologien in unterschiedliche Labelformen, etwa als Kombination aus digitalem Sicherheitsfeature und Erstöffnungsindikation auf einem Booklet-Label. Hierbei wird ein Void-Effekt als irreversible
Erstöffnungsanzeige mit einem NFC-Chip kombiniert, der eine digitale Authentifizierung per Smartphone ermöglicht. Zudem ist ein 15-stelliger alphanumerischer Code aufgedruckt – sozusagen ein Fingerabdruck – mit dem das Arzneimittel in Echtzeit verifiziert werden kann. (Bild 4)
Seit Beginn der Covid-19-Pandemie hat der Online-Kauf von Arzneimitteln deutlich zugenommen. Das kann für viele Patienten eine Reihe erheblicher Vorteile bieten, doch viele digitale Verkaufsstellen für Medikamente bewegen sich außerhalb der gesetzlichen Grenzen, und die Käufer setzen sich so dem Risiko des Kaufs gefälschter Produkte aus. Zudem werden die globalen Pharma-Supply-Chains immer komplexer: Dasselbe Arzneimittel wird oft in verschiedenen Ländern produziert, verpackt, vertrieben und verkauft.
Für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist eine der dringendsten gesundheitlichen Herausforderungen die Unterbindung des illegalen Handelns mit Arzneimitteln. Um das zu erreichen, stehen der pharmazeutischen Industrie diverse Sicherheitslösungen auf Labelbasis zur Verfügung, mit denen sich Primär- und Sekundärcontainer schützen lassen. Das erhöht die Patientensicherheit und minimiert die Risiken, die von gefälschten und gesundheitsgefährdenden Medikamenten ausgehen. ●