Winfried Mühling von Pro Carton im Interview mit neue verpackung

(Bild: Hüthig)

Denn der Fachverband Pro Carton befragte im Mai 2023 rund 1.000 deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher zu deren Einstellung rund um Umweltschutz, aktuelle Trends – und natürlich auch der Gretchenfrage: Mehrweg oder Recycling?

neue verpackung: Herr Mühling, spätestens seit dem 1. Januar 2003 ist den Deutschen die Idee eines Pfandsystems nicht mehr fremd – damals wurde das sogenannte „Dosenpfand“ eingeführt. 20 Jahre später reden wir wieder über die Einführung eines Pfandsystems, diesmal für wiederverwendbare Verpackungen wie sie dann beispielsweise in Fast-food-Ketten zum Einsatz kommen könnten. Wie blicken unsere Mitbürger auf diese Aussicht?

Winfried Mühling: Die Ergebnisse unserer Umfrage waren da recht erstaunlich. Denn wie Sie ja bereits sagten: Die Deutschen sind es im Grunde gewohnt, mit Mehrwegsystemen zu leben. Trotzdem bekamen wir als Antwort, dass zwei Drittel der Bevölkerung einem Pfandsystem mit Zwangsabgabe sehr skeptisch gegenüberstehen. 38 Prozent der Verbraucher gaben an, in einem solchen Fall ihren Konsum deutlich reduzieren zu wollen, 28 Prozent gaben an, den Verbrauch sogar komplett einstellen zu wollen. Das heißt, es gibt durchaus deutliche Skepsis in der Bevölkerung, wenn es beispielsweise um eine Zwangsabgabe bei Mehrweggeschirr geht.

neue verpackung: Und womit glauben Sie, hängt diese Skepsis zusammen?

Mühling: Ich denke, es gibt eine Vielfalt von Gründen für diese Skepsis. Da ist zum einen sicherlich das Vertrauen der Verbraucher in das bestehende Verpackungssystem, also beispielsweise Einwegverpackungen aus Papier und Karton. Gerade während der Pandemie wurde dieses Vertrauen neuerlich gestärkt, da die Verbraucher einfach gesehen haben, dass sich Karton und Papier sehr gut eignen, um Produktschutz zu ermöglichen, aber auch eben sehr gut eignen für die Distribution von Produkten. Daneben besteht auch ein sehr großes Vertrauen, was die Recycling-Fähigkeit dieser Verpackungssysteme angeht.

Weiterhin denke ich, dass das Thema Convenience eine große Rolle spielt. Also dass ich eben Dinge nach Gebrauch dem entsprechenden Recycling-Kanal zukommen lasse und damit meiner Pflicht nachgekommen bin.

Eine andere Dimension, die auch in der Umfrage mit herauskamen, waren Hygiene-Aspekte: Die Verbraucher haben durchaus Bedenken, was mit dem Mehrweggeschirr passiert, sobald es einmal das Restaurant verlassen hat. Wenn dieses also beispielsweise zwei oder drei Tage, vielleicht sogar noch länger ungereinigt liegen bleibt – kann dann sichergestellt werden, dass nach der Reinigung nichts gesundheitlich bedenkliches zurückbleibt?

Ein weiterer Punkt ist sicherlich ein gewisses Gefühl der Bevormundung, die durch so ein Zwangspfand bei den Verbrauchern entsteht. Diese haben ein großes Vertrauen in die Industrie, egal ob es jetzt um die Verpackungs- oder Materialhersteller oder die Markeninhaber geht, so die Aussagen, die wir aus früheren Studien haben. Gleichzeitig gibt es eine recht ausgeprägte Skepsis gegenüber Regierungsvorschriften in Deutschland.

neue verpackung: Klingt, als hätten sich die befragten Personen ja wirklich mit dem Thema auseinandergesetzt. War das auch ihr Eindruck bei den Verbrauchern der Umfrage?

Mühling: Ich denke mal, wir haben in Deutschland schon eine recht gute Erfahrung bei diesem Thema, beispielsweise durch das eingangs erwähnte Dosenpfand. Und auch, was die Bepfandung oder Mehrwegsysteme bei Geschirr angeht, gibt es bereits Erfahrungswerte durch etablierte Systeme wie Recup.

Die Frage ist aber eben, wie ist es um die Akzeptanz steht. Akzeptiert ein Verbraucher so ein Mehrwegsystem, oder würde er lieber wieder in Richtung der Einweg-Lösung zurückgehen? Und ich denke, gerade die Akzeptanz ist eine unabdingbare Voraussetzung zur Erreichung der Ziele eines Mehrweg-Systems. Denn wenn ich so ein System installieren möchte, dann muss ich auch sicherstellen, dass ich die entsprechend Umläufe erreiche. Wir reden hier bei manchen Systemen von 50 bis 100 Umläufen. Um das zu erreichen, muss ich sicherstellen, dass die Dinge auch wieder schnell in den Kreislauf zurückkommen – und das wird nur funktionieren, wenn die Verbraucher mitspielen. Und mir scheint es so zu sein, dass wir gerade neue Anwendungen oder Vorschriften in den Markt bringen, ohne auf die Konsumentenwünsche einzugehen. Was dann auch zu fatalen Fehlentscheidungen führen kann.

neue verpackung: Nun hat Pro Carton mit dieser Umfrage Informationen von Verbrauchern eingeholt. Wie sieht es eigentlich mit der Gegenrichtung aus, gehen Sie auch proaktiv in die Ansprache und informieren bezüglich Nachhaltigkeit im Verpackungsbereich?

Mühling: Im Grunde wurde Pro Carton genau dafür gegründet, also um Enduser und Verbraucher zu informieren. Wir nutzen dafür verschiedene Kanäle, von Facebook über Instagram bis Linkedin und erreichen so mittlerweile über alle Kanäle etwa 23.000 Follower. Gleichzeitig nehmen wir auch an Fachmessen teil, beispielsweise der Fachpack in Nürnberg.
Darüber hinaus veranstalten wir Wettbewerbe, mit denen wir bestimmte Zielgruppen adressieren und arbeiten mit anderen Verbänden in Allianzen zusammen.

neue verpackung: Sie haben es eben erwähnt: Ihr Verband hat ja gleich mehrere Awards ins Leben gerufen, die die Vorteile von Karton und Faltschachteln herausstellen sollen. Wie ist hier die Resonanz in Sachen Einreichungen? Und da die Awards auch immer eine Beteiligung der Konsumentinnen und Konsumenten vorsehen: Entsteht hierbei vielleicht sogar eine Art Dialog?

Mühling: Insgesamt veranstalten wir als Pro Carton mittlerweile drei Awards: Da haben wir einmal den European Carton Excellence Award, in dem Markeninhaber oder Verarbeiter ihre Einreichungen machen. Sehr erfreulich ist, dass wir in diesem Jahr wieder mehr als 100 Einreichungen aus 15 Ländern verzeichnen können. Der Award stößt mittlerweile sowohl in den Fachmedien als auch in den breiten Medien auf großes Interesse, sowohl was die Vorstellung der Einreichungen angeht, als dann auch später die Vorstellung der Gewinner.

Zum zweiten haben wir dann mit dem Young Designers Award eine Auszeichnung, die sich speziell an Studenten richtet, die sich Gedanken über ihre Umwelt sowie ungelöste Verpackungsprobleme machen und die eine Art Talentsuche darstellt. Hier hatten wir in diesem Jahr rund 800 Einreichungen von 150 Universitäten aus 30 Ländern in Europa.

Der dritte Wettbewerb ist der Student Video Award. Da machen sich Studenten über das Medium Film Gedanken machen über Karton, seine Verwendungsmöglichkeiten und Vorzüge. Hier konnten wir in diesem Jahr ungefähr 50 Einreichungen verzeichnen, von rund 30 Universitäten aus 18 Ländern.

Spannend wird es dann am 21. September in Sevilla mit unserer zentralen Veranstaltung, bei der wir circa 250 Teilnehmer erwarten und auf der dann die Prämierungen vorgenommen und die Gewinner verkündet werden. Ein ganz besonderes Highlight!

neue verpackung: Da sind wir mal gespannt, wer in diesem Jahr das Rennen macht! Vielleicht um am Ende noch mal auch Ihnen die Gretchenfrage zu stellen: Brauchen wir jetzt Mehrweg, brauchen wir Einweg – brauchen wir beides? Was ist Ihre Meinung?

Mühling: Persönlich denke ich mal, wir werden beides brauchen. Denn es gibt keine Universallösung, die alle Probleme beantworten kann. Es wird Anwendungsmöglichkeiten geben für den Bereich Mehrweg. Es wird Anwendungsmöglichkeiten geben für den Bereich Einwegverpackungen.

Was im Einzelfall zum Einsatz kommt, ist immer abhängig vom Einsatzszenario und von den Verzehrgewohnheiten, aber auch abhängig von den örtlichen Gegebenheiten. Stellen Sie sich einmal ein Fast-food-Restaurant in ländlicher Umgebung vor – das hat natürlich ein ganz anderes Klientel und andere Anwendungsmöglichkeiten als eines in zentraler Lage in Berlin.

Es gibt für all diese Bereiche wissenschaftliche Studien und Lebenszyklus-Analysen, die uns Antworten auf die Frage geben, welche Lösungen die beste in der jeweiligen Situation ist. Wir sollten also lernen, Entscheidungen basierend auf wissenschaftlichen Ergebnissen zu treffen und nicht eben oben herunter per Gesetzgebung. Ich denke, Unternehmen und Restaurantbetreiber wissen am besten, wann welche Verpackungslösungen passt – müssen dann aber natürlich nach der getroffenen Entscheidungen auch regelmäßig evaluieren, ob die Entscheidung von damals noch immer dem aktuellen Stand entspricht. Denn wir bewegen uns da natürlich auch in einem Bereich, in dem ständig Innovationen entstehen. Unsere Mitglieder haben permanent neue Ideen und Entwicklungen, die eine Verpackungen noch umweltfreundlicher machen. Wir haben ja bereits heute schon Recyclingraten für die Kartonverpackungen von 82 Prozent und wir möchten uns natürlich weiterentwickeln; bis zum Jahr 2030 auf 90 Prozent und damit die Latte also noch einmal höher setzen für uns wie auch für andere Verpackungssysteme. Um das zu erreichen, brauchen wir Innovationen – und daran arbeitet die gesamte Industrie.

Nachhaltige Verpackungen: der große Überblick

Grafik von Lebensmitteln im Supermarktregal
(Bild: sabelskaya - stock.adobe.com)

Sie wollen alles zum Thema nachhaltige Verpackungen wissen? Klar ist, dass der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen in den kommenden Jahren stark steigen wird. Aber das Thema ist komplex: Wann gilt denn überhaupt eine Verpackung als nachhaltig und welche Kriterien müssen dabei künftig erfüllt sein? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

 

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