Melvin Fahl, Chief Strategy Officer, und Patrick Stöppler, Head of Design bei Win Creating Images, im Interview

(Bild: Hüthig Medien)

Es ist quasi ein globales Phänomen: Alle Kulturen dieser Welt haben unabhängig voneinander irgendwann angefangen, Dinge zu verpacken. Um sie zu transportieren oder – wie im Falle von Lebensmitteln – länger haltbar zu machen. Hierdurch entstanden regionale Verpackungstraditionen und damit auch -designs, die sich teils stark voneinander unterscheiden. Ob – und wenn ja: welche – Auswirkungen dies in Zeiten von Globalisierung und Onlinehandel auf das Verpackungsdesign der Gegenwart hat, darüber sprachen wir mit gleich mit zwei Design-Experten: Melvin Fahl, Chief Strategy Officer, und Patrick Stöppler, Head of Design bei Win Creating Images.

neue verpackung: Markenartikler haben, zumindest ab einer gewissen Größe, ein globales Vertriebsnetz. Nun heißt es ja so schön „andere Länder, andere Sitten“ – was heißt das für das Packaging Design?

Melvin Fahl: Wenn wir das jetzt übersetzen würden mit „andere Länder, andere Designsprachen“ dann müsste man sagen, stimmen wir dem nur bedingt zu. Es ist schon so, dass es auch gelernte, Designsprachen gibt. Es kommt aber generell nicht nur auf die Märkte und die Länder an, sondern teilweise auf die Produktkategorie, also das jeweilige Segment, in dem die Marke und vor allen Dingen die Produkte dann platziert sind.

Zusätzlich muss man auch sagen, geht es ja um andere Aspekte, beispielsweise: Welche Zielgruppe möchte ich ansprechen? Was ist die Ocation, also in welcher Situation kommen die Konsumentinnen und Konsumenten mit dem Produkt oder den Produkten in Berührung? Man kann ja auch so ein bisschen zwischen Low-involvement- und High-involvement-Produkte unterscheiden. Das heißt, wenn ich Low-involvement-Produkte habe, dann gibt es wahrscheinlich sehr stark gelernte Kategoriesprachen, die können je Land auch mal unterschiedlich sein. Bei High-involvement-Produkten kommt dann doch eher nochmal die Brand und was ich dazu erzählen will, dazu.

Wo wir teilweise tatsächlich große Unterschiede sehen, ist im Food-Bereich, weil Geschmack und Natürlichkeit hier sehr unterschiedlich wahrgenommen werden, kulturell auch unterschiedlich gelernt werden. In diesem Bereich ist es oft so, dass mir das als leckerer vorkommt, das ich schon häufiger gesehen habe und bei dem mir vielleicht auch beigebracht wurde, dass das „lecker“ ist. Da sehen wir alleine zwischen Mitteleuropa und Südeuropa, insbesondere noch einmal Osteuropa, große Unterschiede. Und wenn wir von den jeweiligen Kontinenten die Differenzierung anschauen, gibt es auch da noch einmal große Unterschiede. Also jein – leider keine klare Antwort.

neue verpackung: Gibt es denn Branchen bzw. Produkte, in denen die Unterschiede besonders ausgeprägt sind oder vielleicht sogar welche, bei denen das Design quasi weltweit ohne Anpassungen zum Einsatz kommt?

Fahl: Ich beziehe mich mal auf das Wort quasi, denn ganz vollumfänglich kann man das wahrscheinlich nicht sagen. Aber ja, wir sprechen zum Beispiel vom Phänomen der skandinavischen Designs. Das hat man wahrscheinlich auch schon gehört, wenn man nicht tagtäglich mit diesen konfrontiert ist und zu tun hat. Oder der Bereich Nachhaltigkeit: Das ist ja ein absoluter Megatrend, der auch nicht verschwinden wird, der unsere ganze Gesellschaft beschäftigt, egal ob man mit Design verhaftet ist oder nicht. Und da gab es gerade zu Beginn Designsprachen, die sehr einheitlich waren. Daran angekoppelt ist auch ein wenig der Plant-based-Bereich. Love-brands die Oatsy haben da schon Anfangs Designs ein wenig vorgegeben, die auch sehr viel global adaptiert wurden.

Aber auch hier ist es dann wieder so, dass das irgendwann wieder aufgebrochen wird. Wir sprechen immer gerne davon, dass jeder Trend einen Gegentrend hat. Das heißt, Marken – gerade die vielleicht, die ein bisschen mehr Kosten – versuchen ja auch immer wieder auszubrechen aus einem gelernten Kurs oder einfach ein bisschen Spannungsfeld zu schaffen, um aus dem Regal heraus die Kaufentscheidung zu beeinflussen.

neue verpackung: Wir haben nun bisher vor allem über das Aussehen von Verpackungen gesprochen. Wie verhält es sich eigentlich mit digitalen Angeboten, die über die Verpackung angeboten und entsprechend ins Design integriert werden müssen? Mein Eindruck ist, dass dies in anderen Ländern eine größere Rolle spielt als derzeit in Deutschland. Täuscht das?

Patrick Stöppler: Also ich glaube, dass der QR-Code da ein ganz gutes Beispiel ist. Dabei handelt es sich zwar nicht mehr um ein neues Mittel oder eine neue Idee, aber der als auf die Verpackung gedruckter Code quasi die Schnittstelle zwischen digital und analog bildet. In Deutschland entstand hier anfangs ein großer Hype und viele Unternehmen wollten diese digitale Verbindung auf der Verpackung haben – und das aber auch ein Stück weit zu jedem Preis oder einfach auch nur, weil sie eben „dazugehören“ oder fortschrittlich wirken wollten.

Und das ist aus meiner Sicht teilweise in Europa auch ein bisschen der falsche Ansatz gewesen, weil es auch sehr aufwendig ist. Denn wenn ich einen solchen Code einscannen und aktivieren will, muss ich erst mein Handy in die Hand nehmen, die richtigen Lichtverhältnisse haben, und ich muss eine Internetverbindung haben.Grundsätzlich halte ich QR-Codes trotzdem für eine gute Sache – wenn ein richtiger Mehrwert dahintersteckt, beispielsweise eine Betriebsanleitung oder Rezeptvorschläge, die dann über ein Video oder Ton einfacher zu konsumieren sind, statt alles selbst lesen zu müssen. Und das haben zum Beispiel, um auch nochmal auf das Thema Internationalität zurückzukommen, Japan oder auch andere asiatische Länder schon sehr viel früher erkannt.

Aber wenn wir generell über die Schnittstelle digital und analog reden: Apple hat gerade seine erste Brille für Augmented Reality herausgebracht. Was ich daran so interessant finde, ist einfach, dass es damit eine richtige Verbindung zwischen realer Welt und digitaler Welt gibt. Und wenn man sich jetzt vorstellt, man geht in den Supermarkt und betrachtet ein Produkt, kann über so ein Visier ganz viele Informationen, Emotionen und Zusatzinformationen einblenden, die in der realen Welt so nicht möglich wären – damit kann man natürlich sehr kreativ umgehen. Aktuell finde ich die Brille von Apple noch ein bisschen klobig und würde damit nicht unbedingt in den Supermarkt gehen. Aber wenn man sich diese Technologie in einem kleineren Format vorstellt, also im Format einer Tagesbrille, dann könnte das ein Wendepunkt sein, auch was auch die Verpackungsgestaltung betrifft.

neue verpackung: Jetzt sind wir über das Thema Digitalisierung von der Gegenwart in die Zukunft gereist – und damit auch gleich bei der nächsten Frage: Wie sieht die Zukunft des Packaging Designs aus? Werden die Globalisierung und mehr noch der stark wachsende Online-Handel, wo ja nach Inhalt gesucht und gekauft wird, dazu führen, dass lokale Vorstellungen von Ästhetik eine weniger entscheidende Rolle spielen werden?

Fahl: Beim Design von Produkten, die online verkauft werden, können wir den Fokus auf andere Sachen lenken, weil wir diese quasi animieren können. Wenn ich hier eine Verpackung beispielsweise auf die Seiten oder Rückfläche drehe, kann ich hier eine Lupenfunktion integrieren, um Dinge größer zu darzustellen, vielleicht zusätzlichen Text oder weitere Gestaltungselement, um das ganze Produkt in eine Welt einzubetten. Und das muss nicht immer alles im Metaverse stattfinden. Sportartikelhersteller beispielsweise stellen einen Schuh bereits seit Jahren nicht für sich alleingestellt dar, sondern zeigen noch eine Welt dahinter, die den besonderen Charakter herausstellt. Egal, ob es um einen Schuh für Athletinnen oder für Streetware geht, es findet immer eine Inszenierung statt. Darum denke ich, es wird eher eine Verlagerung aus dem lokalen Handel ins digitale Angebot stattfinden und Unternehmen werden versuchen, die beiden Welten besser zu vernetzen.Wir leben in einer sehr digitalen beziehungsweise gleichzeitigen Welt. Beispielsweise spreche ich gerade mit ihnen, aber gleichzeitig könnte ich, wenn ich wollte, auf meinem Handy noch etwas anderes machen. Es gibt also ganz viele gleichzeitige Eindrücke in unserer Welt und trotzdem hat gerade die Corona-Pandemie dazu geführt, dass Faktoren wie Regionalität wieder wichtig werden – und das bedeutet, dass dadurch auch wieder neue Designcodes entstehen, die wieder für Unterschiede sorgen.

Wenn ich also im Bereich Bio oder Nachhaltigkeit nach Produkten suche, dann möchte ich vielleicht eher regionale Codes sehen, Dinge also, die mir in meiner Region vertraut vorkommen. Hier stellt sich dann aber auch immer ein bisschen die Frage, wie man Regionalität definiert. Bezieht sich das lokal sehr kleine Einzugsgebiete, oder ist regional etwas größer, auf Länder bezogen?

Aber da gibt es dann durchaus schon Unterschiede, die gar nicht kleiner werden, sondern vielleicht auch noch mal hervorgehoben werden, und deswegen ist das ganze auch immer so ein bisschen ein für und wider. Und gerade in vermeintlich unsicheren Zeiten, in denen wir gerade leben, haben viele Konsumentinnen und Konsumenten das Bedürfnis nach Sicherheit, die sich mit dem Design erzeugen lässt, wenn vertraute Codes zum Einsatz kommen.

neue verpackung: Vielleicht zum Abschluss nochmal zu dem, was sie selbst schon als Megathema bezeichnet haben: das Thema Nachhaltigkeit. In der Markenkommunikation wird die Nachhaltigkeitskommunikation immer wichtiger, da sie den Kaufimpuls am Point of Sale entscheidend beeinflussen kann. Droht das Einkaufserlebnis hierdurch weniger bunt zu werden, da lebhafte Farben als eher unnatürlich gelten? Und wird es dann für Marken unter Umständen schwieriger, sich zu differenzieren, wenn die Optik eigentlich leiser werden soll?

Stöppler: Ich würde die Frage tatsächlich ganz klar mit nein beantworten. Denn ein Bedürfnis jeder Marke ist es ja tatsächlich, sich von anderen zu differenzieren und aufzufallen. Für eine nachhaltige Marke gibt es natürlich gewisse Codes, die für dieses Thema stehen. Aber für die Konsumentinnen und Konsumenten muss es gleichzeitig immer möglich bleiben, einen Unterschied feststellen zu können.

Deswegen arbeiten Marken daran, das Megathema Nachhaltigkeit in ihr Design zu integrieren, aber den Spagat zwischen nachhaltiger Wirkung und Eigenständigkeit zu schaffen.
Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wir haben vor ungefähr zwei Jahren die Marke Food for Future konzipiert und ins Leben gerufen. Hier geht es um Fleischersatzprodukte und damit natürlich auch um Nachhaltigkeit. In diesem Bereich setzen darum viele Marken auf die Farbe Grün – und wir haben uns damals bewusst dazu entschlossen, auf Blau als Markenfarbe zu setzen. Warum? Bei der Farbe denkt an den blauen Planeten, an blaue Ozeane und hat damit im weitesten Sinne auch was mit Nachhaltigkeit zu tun. Mittlerweile hat sich die Marke etabliert und mit ihr auch das Blau als die Markenfarbe, womit wir am Point of Sale eine extrem gute Wiedererkennbarkeit neben den anderen nachhaltigen grünen Marken erreichen konnten. Ich finde, das ist ein ganz gutes Beispiel, dass sich Nachhaltigkeit und Eigenständigkeit gut verbinden lassen.

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