neue verpackung: Herr Kappel, als Experte für Design4Recycling beschäftigen Sie sich auch mit dem Thema chemisches Recycling. Wie schätzen Sie deren Erfolgsaussichten ein?
Andreas Kappel: Der Grüne Punkt engagiert sich auf beiden Spielfeldern des Kunststoffrecyclings, dem mechanischen und dem sogenannten chemischen Recycling. Wir sehen die beiden Recycling-Arten komplementär. Das mechanische Recycling hat in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht, sowohl was die Qualität als auch was die Quantität angeht. Das chemische Recycling wird Kunststoff-Abfälle für den Kreislauf erhalten können, die sich für das mechanische Recycling eher nicht eignen.
Ein weiterer Vorteil beim chemischen Recycling liegt darin, dass sie nach dem Prozess ein Material erhalten, welches universell einsetzbar ist, also auch dort, wo es um kontaktsensitive Produkte geht. Da haben wir auf absehbare Zeit beim mechanischen Recycling klare Grenzen. Nehmen wir mal das Thema PET-Flaschen hiervon aus.
neue vepackung: Können Sie denn dann die teils sehr ablehnende Haltung gegenüber dem chemischen Recycling nachvollziehen? Werner & Mertz bezeichnete die Technologie einmal gar als „Unsinn mit vielen Namen“.
Kappel: Aus unserer Sicht ist diese ablehnende Haltung gegen das chemische Recycling nicht berechtigt. Ja, es handelt sich um eine relativ junge Technologie, die sich erst noch entwickeln muss, aber das mechanische Recycling hat in der Vergangenheit auch einige Umwege genommen. Die CO2-Bilanz des chemischen Recyclings ist im Vergleich zum mechanischen Recycling im Moment noch nicht vorteilhaft. Wenn man aber zum Beispiel das Pyrolyse-Verfahren mit dem Verbrennungs-Szenario vergleicht, hat es klare Vorteile.
Als Grüner Punkt sehen wir auch die Limitationen des mechanischen Recyclings, weil wir seit Jahren im Bereich des mechanischen Recyclings für Kunststoffverpackung eigene Verwertungsanlagen betreiben. Um die limitierenden Faktoren wie Bruchstücke, Bildung und Farbe abzuändern, muss man schon sehr viel in den Recycling-Prozess reinstecken. Damit verändert sich die Vorteilhaftigkeit schnell. Beim chemischen Recycling hingegen gibt es keine solche Qualitätsprobleme. Wie eben schon gesagt, die durch den Prozess gewonnenen Kunststoffe sind ohne Limitation in der gleichen Qualität wie Neuware einsetzbar. Wenn wir also auch für den kontaktsensitiven Bereich eine Zirkularität für Kunststoff erreichen wollen, kommen wir zumindest für die eine Fraktion nicht dauerhaft am chemischen Recycling vorbei.
neue verpackung: Im aktuellen Entwurf der Europäischen Verpackungsverordnung „Packaging & Packaging Waste Regulation“ ist von einem Betriebsverbot für Verkaufsverpackungen zu lesen, deren Recyclingfähigkeit weniger als 70 % beträgt – beginnend mit dem Jahr 2030. Wo stehen wir heute? Und schätzen Sie das Ziel der EU als realistisch in der Umsetzung ein?
Kappel: Ich denke, besser als man denkt. Viele Verpackungen eignen sich schon jetzt sehr gut für das Recycling. Das gilt im Übrigen auch für Kunststoffverpackung. Eine neue Studie im Auftrag des Bundesumweltamtes belegt das auch. Bauchschmerzen habe ich da bei Verbundverpackungen. Hier wird meist nur ein Materialanteil sinnvoll recycelt. Aus meiner Zusammenarbeit mit großen Markenherstellern weiß ich, dass hier auch mit Hochdruck an Lösungen für bessere Recyclingfähigkeit von Verpackung gearbeitet wird.
Vielen Unternehmen ist es wichtig, endlich Rechtssicherheit über die Anforderungen und die Methodik in diesem Bereich zu bekommen. Dies gilt auch für die genaue Ermittlung der Recyclingfähigkeit. Hier macht aber der Entwurf aber leider noch keine genauen Vorgaben.
Sorge bereitet mir die noch sehr unterschiedliche Recycling-Infrastruktur in Europa. Aus dieser wird ja die Recyclingfähigkeit einer Verpackung abgeleitet. Also da, wo eine bestimmte Verpackung gar nicht gesammelt wird, kann diese Verpackung auch nicht recyclingfähig sein. In jedem Fall kommen wir nur weiter, wenn wir annähernd gleiche Infrastrukturen haben und gleiche Berechnungsregeln. Mit der Verabschiedung der PPWR würden wir das mittelfristig erreichen.
neue verpackung: Beim Thema Kreislaufwirtschaft kommt der Digitalisierung eine entscheidende Rolle zu. So hatte der Grüne Punkt gemeinsam mit dem Institut Cyclos-http im August 2022 mit Chira eine Software vorgestellt, mit der sich die Recyclingfähigkeit einer Verpackung bewerten lässt. Wie sind hier die Erfahrungen in der Praxisphase?
Kappel: Wir stellen ein großes Interesse von Verpackungsentwicklern und Brands an dem Produkt fest. Das Programm berücksichtigt alle Verpackungskomponenten, also zum Beispiel Material, Farbe, Klebstoff, und ermittelt dann die Recyclingfähigkeit für die Gesamtverpackung. Die Berechnung berücksichtigt die Recycling-Infrastruktur und bildet den Mindeststandard der Zentralen Stelle Verpackungsregister natürlich genau ab. Die Ergebnisse werden dabei nicht nur für Deutschland ausgeworfen, sondern der Anwender bekommt auch Angaben für viele europäische Länder. Diese Information ist für die nachhaltige Steuerung des Verpackungsportfolio unerlässlich.
Wenn ich auf die PPWR schaue, dann wird die Ermittlung der Recyclingfähigkeit einer Verpackung noch wichtiger. Der Entwurf fordert eine Konformitätsprüfung der Verpackung und Eco-Fee wird auch eine Rolle spielen. Da brauchen wir intelligente Systeme, die schnell und effizient das richtige Ergebnis auswerfen. Hier geht es ja auch um Vertriebsverbote, wenn die Anforderungen nicht erfüllt werden.
neue verpackung: Wichtige Vorarbeit für ein erfolgreiches Recycling leistet dann der Sortiervorgang. Hier weihte der Grüne Punkt zusammen mit Altstoff Recycling Austria beispielsweise im März dieses Jahres in Österreich eine Anlage für Leichtverpackungen ein, deren Sortiertiefe bei 80 % liegt, Industriestandard sind hier aktuell 58 %. Sind ähnliche Leuchtturmprojekte aktuell auch in Deutschland in der Entstehung?
Kappel: Der Grüne Punkt engagiert sich schon seit Jahren direkt und indirekt für ein hochwertiges Recycling. Das ist nur dann möglich, wenn die Materialien umfassend gesammelt und möglichst sortenrein sortiert werden. Aber das ist leider noch nicht in allen europäischen Ländern der Fall.
Mit der mit unseren österreichischen Partnern im Bau befindlichen Anlage gehen wir konsequent den Weg der sortenreinen Trennung. Das hilft ungemein unserem Ziel, dass in den anschließenden Recycling-Prozessen aus einer alten Verpackung wieder eine neue Verpackung werden kann.
In Deutschland wurden in den letzten Jahren eine Reihe von neuen Sortieranlagen gebaut, die dieser Strategie auch Folgen. Richtig ist es aber auch, dass die Sortieranlagen-Betreiber nur so tief sortieren, wie es nötig ist, um die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten in den jeweiligen Ländern zu erfüllen. Eine darüberhinausgehende Sortiertiefe wird natürlich nur dann vorgenommen, wenn sie sich auch wirtschaftlich für den Sortierer lohnt. Absatzmärkte für hochwertige Granulate müssen vorhanden sein.
Leider füllen sich zurzeit die Lager mit diesen Materialien, da neue Ware viel zu billig ist. Hier ist nach unserer Ansicht der Gesetzgeber gefordert. Er setzt den Rahmen für höheres Recycling. Wir als Kunststoffverwerter hoffen auf uns Rückendeckung aus Brüssel durch eine anspruchsvolle Quotenvorgabe für Rezyklat-Einsatz in der zurzeit diskutierten PPWR in allen Bereichen, also auch für die Polyolefine und den kontaktintensiven Bereich.
Nachhaltige Verpackungen: der große Überblick
Sie wollen alles zum Thema nachhaltige Verpackungen wissen? Klar ist, dass der Bedarf an nachhaltigen Verpackungen in den kommenden Jahren stark steigen wird. Aber das Thema ist komplex: Wann gilt denn überhaupt eine Verpackung als nachhaltig und welche Kriterien müssen dabei künftig erfüllt sein? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.