Jetzt, im September, ist Erntezeit. Auch für die vielen Landwirte, die auf ihren Äckern durchwachsene Silphie angebaut haben. Und das sind offenbar eine ganze Menge. Rund 10.000 ha sollen es sein, so Schätzungen aus dem Jahr 2023, auf denen hierzulande die Nutzpflanze wächst. Sie wird vor allem als Energielieferant geschätzt, um Biogas zu produzieren - als Alternative zum Silomais. Aber sie wird auch für die Papierherstellung genutzt. Denn ihre Fasern werden mehr und mehr als Ersatz für Frischfasern eingesetzt. Aus guten Gründen.
Die Suche nach Alternativen für Frischfasern in der Papier- wie Verpackungsindustrie ist nicht neu, hat aber in den vergangenen Jahren kontinuierlich an Dringlichkeit gewonnen: aus ökonomischen wie ökologischen Gründen. Das Thema Nachhaltigkeit dominiert seit geraumer Zeit den Diskurs. Und genau da haben Frischfasern aus Holz vergleichsweise schlechte Karten. Das beginnt bei der energie- und -wasserintensiven Aufbereitung über die oft langen Transportwege des Rohstoffs Holz oder der Zellulose bis hin zum Einsatz von Chemikalien. So braucht es etwa 50.000 l Wasser für die Herstellung von 1 t Papier. Der Energieverbrauch liegt bei 5.000 bis 6.000 kWh.
Die aus Nordamerika eingeführte Silphie hat etliche Vorteile gegenüber der langsam wachsenden Ressource Holz. So wächst der Korbblütler gut auf trockenen Standorten und legt schnell an Biomasse zu. Mit einem Jahr Nachwuchszeit ist die Silphie ein schnell nachwachsender Rohstoff. Einmal angebaut, kann sie mindestens zehn Jahre genutzt werden. Da sie den Boden abdeckt, verhindert die Pflanze Bodenerosionen durch Wind und Wasser. Aufgrund der tiefen Durchwurzelung fördert die Silphie die Bodenbiodiversität, gleichzeitig wird Kohlenstoff aus der Luft in Form von Humus im Boden gespeichert. Damit verbessert sich die Qualität des Bodens. Ebenfalls positiv: Die Pflanze braucht ab dem zweiten Jahr keine Pflanzenschutzmittel mehr. Darüber hinaus bietet sie als Spätblüher eine Nahrungsquelle für viele Insekten in einer Zeit, in der das Angebot sonst eher gering ist. Kurz: Mit ihrer Vielzahl an positiven Umweltwirkungen, fördert die durchwachsene Silphie die Biodiversität und trägt zum Erhalt bestehender Ökosysteme bei. Da ein regionaler Anbau möglich ist, reduzieren sich die Transportwege, was sich wiederum ebenfalls positiv auf den CO2-Fußabdruck auswirkt.
Geringerer Energie- und Wasserverbrauch
Doch wie sieht es beim Energiebedarf bei der Faseraufbereitung aus? Genaue Zahlen werden nicht veröffentlicht. Aber es kann von einem geringeren Energiebedarf ausgegangen werden. Denn die Gewinnung der Fasern erfolgt ohne Chemieeinsatz in einem biothermischen Verfahren, das weniger energieintensiv ist als die herkömmliche Zellstoffgewinnung aus Holz. Positiver Nebeneffekt: Das Pflanzenmaterial kann auch zur Energieerzeugung eingesetzt werden, die für die Aufbereitung der Fasern benötigt werden. Dafür werden die Silphie-Fasern vergoren und das dabei entstehende Gas kann verbrannt werden. Auch der Wasserverbrauch könnte geringer ausfallen. Die Silphie wächst schneller als andere Faserpflanzen und der Recyclinganteil im Papier trägt generell zu einem geringeren Wasserverbrauch im Vergleich zur Herstellung von Frischfaserpapier bei. Dabei lässt sich Silphiepapier wie herkömmliches Papier recyceln und kann über den normalen Altpapierkreislauf entsorgt werden.
Siphie: Besser nicht nur bei der Klimawirkung
Silphiepapier und -karton ist recycelbar und weist eine bessere Ökobilanz aus als Frischfasern. Das bestätigte auch Fraunhofer Umsicht 2021 in einer Untersuchung. Dabei wurden auch der Anbau, die stoffliche und energetische Verwertung der Fasern einschließlich der Entsorgung berücksichtigt (siehe Box). Auftraggeber des Life Cycle Assessments (LCA) war Outnature. Allerdings befand sich die Versuchspapiermaschine auf dem technischen Stand der 60er Jahre, sodass das darauf produzierte Silphie Papier eine höhere Klimawirkung hatte als der verglichene ungebleichte Zellstoffkarton aus einer integrierten Produktion (Referenzdatensatz aus Datenbank). Das Silphie-Papier weist im Vergleich zu ungebleichtem Zellstoffkarton (integrierte Produktion) Vorteile in einer Vielzahl der weiteren untersuchten Umweltwirkungskategorien auf. Im Vergleich haben Silphie-Fasern bei der Klimawirkung sowie den meisten anderen untersuchten Umweltwirkungskategorien besser abgeschnitten als Zellstoff, so die Beurteilung durch das Fraunhofer Umsicht. Ein Update des LCA ist geplant. Denn inzwischen arbeitet Outnature mit anderen Papierfabriken zusammen, weshalb sich ein Update des LCA in der Bearbeitung befindet. Seit Herbst 2022 beispielsweise werden bei Koehler Paper Papier- und Kartonqualitäten auf Silphie-Basis produziert. Seit Mai dieses Jahres die Papierfabrik Meldorf ein weiterer Partner in der Papierproduktion. Ziel der neuen Kooperation ist es, die Papierherstellung noch nachhaltiger zu gestalten und den Einsatz der umweltfreundlichen Silphie-Fasern vor allem im Bereich der Wellpappen-Liner zu erhöhen. Damit soll das Produktportfolio im Flächengewichtsbereich von 115-170 g/m² ausgebaut werden. Die Papiere eignen sich laut Hersteller ideal für den Einsatz als Wellpappenrohpapier von der F-Welle bis zur Doppelwellen-Kombination.
In Deutschland stellen Koehler Paper wie auch die Papierfabrik Meldorf Silphiepapier her. Beide kooperieren in dem Bereich eng mit Outnature. Die Marke gehört zu Prezero, dem Umweltdienstleister der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland), und sie treibt den Einsatz von Silphie-Fasern vor allem im Packaging-Bereich voran. Grundsätzlich hält man bei Outnature den Einsatz von Silphie-Fasern für alle Verpackungsarten geeignet. Die meisten Einsatzbereiche sind im ungestrichenen Papier-/Kartonbereich, heißt es dort. Je nach bestehendem Produktdesign, kann eine Layoutanpassung durch die Verpackungsdesigner sinnvoll sein, um die einzigartige Optik des Papiers hervorzuheben. Für die eigenen Belange betrifft es drei Anwendungsbereiche: Papier mit einem Flächengewicht von 60 bis 100 gsm, Wellpappenindustrie mit einem Flächengewicht von 100 bis 200 gsm und klassischer Faltschachtelmarkt mit einem Flächengewicht ab 200 gsm.
Outnature bietet verschiedene Papierqualitäten wie Silphie Paper, Silphie Liner und Silphy Board an, die für unterschiedliche Anwendungen eignen, insbesondere für Verpackungen im direkten Lebensmittelkontakt. Dabei beträgt der Mindestanteil von Silphie-Fasern in Kombination mit Recyclingpapier 35 %. Angestrebt wird ein Anteil von 50 %.
Silphie-Fasern, ein Stoff für alle Fälle?
Es gibt durchaus Punkte, die das Einsatzgebiet der prinzipiell umweltfreundlichen Pflanze als Faserlieferant einschränken. So der Eigengeruch von Silphiepapier. Es riecht nach Tabak, was nicht allen gefällt. Bis heute hält sich daher das Gerücht, es sei die ortsansässige Papierfabrik gewesen, die verantwortlich für die „schlechte Luft“ im baden-württembergischen Lenningen war, als sie 2018 mit der industriellen Herstellung von Silphie-Papier begann. Allerdings lässt sich der Geruch mithilfe von Aktivkohle wohl beseitigen.
Da von Haus aus ungebleicht, ist Silphiepapier nicht weiß, vielmehr bräunlich, und lässt sich im Akzidenzdruck schwerer bedrucken, sagt Matthias Durst, Geschäftsführer der Stuttgarter Die Grasdruckerei. So ist bei feiner schwarzer Serifen-Schrift in 9 oder 10 Pkt. das Ergebnis oft ungenügend, sprich schwer zu lesen. „Das lässt sich allerdings durch zusätzlichen Unterdruck mit Weiß auffangen“, sagt Durst. Was wiederum Aufwand und bei nicht passenden Grafiken den Farbverbrauch erhöhen kann. Durst arbeitet seit 2017 mit Graspapier und seit 2019 mit Silphiepapier, war auch zeitweise bei den ersten Tests in Lenningen involviert. Seiner Meinung nach ist Silphiepapier weniger für den grafischen Bereich geeignet – im Gegensatz zum Verpackungssektor. Nicht zuletzt, weil die Druckdaten entsprechend angepasst werden müssen. Zudem kämen die Farben beim Offsetdruck nicht immer so intensiv heraus wie gewünscht. Der Grund, weshalb er Digitaldruck für grafische Drucke präferiert. Die Grasdruckerei bezieht das Papier entweder von Outnature oder dem Großhandel Berberich.
Outnature treibt die Internationalisierung voran
Wie viel Silphiepapier im Jahr produziert und verarbeitet wird? Dazu gibt es keine Angaben. Auch der größte Verarbeiter Outnature hält sich bedeckt. Auf Nachfrage heißt es: "Kaufland und Lidl launchen regelmäßig neue Produkte mit Silphie-Papier. Umgesetzt wurden bereits diverse Produkte im Obst- und Gemüsebereich wie Kresse, Äpfel oder Tomaten, sowie Verpackungen für Lachs und Naturkosmetik. Weitere Produkte befinden sich in der Vorbereitung.“ Dabei habe man vom internationalen FMCG-Konzern wie Procter & Gamble über mittelständische Unternehmen wie Kneipp bis hin zu Start-ups alles im Kundenportfolio vertreten. Bei Outnature ist man zufrieden und spricht von einem stetigen Wachstum bei Silphie-Verpackungen. Wurde damit bislang die DACH-Region versorgt, steht nun die weitere Internationalisierung an. Gleichzeitig arbeitet das Unternehmen an der Verbesserung der Fasereigenschaften und an nachhaltigen Barriere-Eigenschaften beispielsweise gegen Wasser und gegen Fett. Entwicklungspartner von Outnature ist die STI Group, die die technischen Eigenschaften des Silphie-Materials bereits seit Ende 2020 in der Praxis erprobt hat.
Gute Nachrichten nicht zuletzt für die Landwirte, die den Anbau der durchwachsenen Silphie in den kommenden Jahren weiter vorantreiben dürften.
Wo sind Vepackungen aus Silphie bereits im Einsatz?
Auch wenn sie ingesamt noch eher ein Nischendasein fristen, gibt es bereits einige Projekte mit Silphie-Verpackungen. Diese haben wir hier einmal für Sie zusammengestellt.
Silphie ist nur ein Beispiel für Alternativen zur Frischfaser aus Holz. Weitere spannende Möglichkeiten, an der die Industrie gerade arbeitet, finden Sie in unserer Übersicht.