„Ziel ist es, Nachhaltigkeit für jeden zugänglich zu machen“

Hintergründe zum Ecobeautyscore von Beiersdorf

Die linke Hand einer Person hält ein Smartphone, die rechte ein Produkt von Nivea.
Mit dem Ecobeautyscore können Verbraucher bezüglich der Umweltauswirkungen eines Produktes informierte Entscheidungen treffen.

Mit dem Ecobeautyscore schafft Beiersdorf Transparenz über die Umweltauswirkungen von Produkten der Marken Nivea und Eucerin. Anke Pilzner, Global Claim Advisor, und Dorle Bahr, Head of Sustainability Strategy & Reporting, erklären im Interview, wie sich der Score zusammensetzt und warum er auch anderen Brancheunternehmen offensteht.

neue verpackung: Wie genau funktioniert Ecobeautyscore und welche Kriterien fließen in die Bewertung der Umweltauswirkungen eines Produktes ein?
Anke Pilzner: Zunächst einmal basiert die Ecobeautyscore-Methodik auf den Grundsätzen der Product-Environment-Footprint-Methodik (PEF) der Europäischen Kommission, die als die wissenschaftlich fortschrittlichste und umfassendste Methode zur Messung der Umweltauswirkungen von Produkten anerkannt ist. Der PEF wiederum basiert auf der Bewertung der Auswirkungen eines Produkts während seines gesamten Lebenszyklus: von der Beschaffung der Inhaltsstoffe über die Herstellung des Produkts, die Nutzung durch die Verbraucher und die Entsorgung. Es werden 16 Kategorien mit Kriterien angelegt, die von Wissenschaftlern zur Bewertung von Umweltauswirkungen wie Klima, Wasser und biologische Vielfalt verwendet werden.

Dorle Bahr: Ein so wissenschaftlich fundiertes Label gibt es bisher nicht – das ist einzigartig. Somit auch ein wirklicher Fortschritt, da es eine fundierte Transparenz für Verbraucher bietet. Zudem ist der Ecobeautyscore eine gänzlich freiwillige Initiative, die aus einem Zusammenschluss von mehr als 70 Unternehmen der Kosmetikbranche entwickelt wurde. Es soll der gesamten Branche helfen, die Umweltauswirkungen von Kosmetik- und Körperpflegeprodukten auf eine einheitliche Art und Weise zu messen und dann auch gezielt optimieren zu können. Wenn dann die Verbraucher mithilfe der Scores ihre Kaufentscheidungen treffen, kann der Score eine nachhaltige Verhaltensänderung unterstützen.

„Wir haben für Nivea- Duschpflegeprodukte und Bodylotions Leichtgewichtflaschen eingeführt.“

neue verpackung: Im Bereich Food hat die Verpackung im Vergleich zum Inhalt nur eine untergeordnete Rolle beim CO2-Fußabdruck. Welche Rolle spielt sie im Bereich Beauty?
Pilzner: Der Ecobeautyscore misst viel mehr als nur den CO2-Fußabdruck von Produkten. Es wird der ganzheitliche Umwelteinfluss entlang des gesamten Produktlebenszyklus ermittelt. Dabei kann die Auswirkung der Verpackung je nach Produktkategorie unterschiedlich hoch sein. Bei Duschpflegeprodukten, die beim Duschen oder Baden genutzt werden und danach ins Abwasser gelangen, sind die Nutzungsphase und die Entsorgung die größten Einflussfaktoren. Dort sind es nur rund 2 % der gesamten Umweltauswirkungen des Produkts, die auf die Verpackung zurückgehen. Bei Gesichtspflegeprodukten kann die Verpackung bis zu 30 % des Umwelteinflusses ausmachen. Eine Gesichtscreme ist ja in der Regel auch nicht nur in einem Tiegel verpackt, sondern noch von einer Faltschachtel umgeben. Hier spielt also die Verpackung eine größere Rolle – und es geht bei Gesichtspflege auch darum, dass die Verpackung eine andere Wertigkeit widerspiegeln muss als bei einem Duschgel.

Anke Pilzner, Global Claim Advisor bei Beiersdorf
Anke Pilzner, Global Claim Advisor bei Beiersdorf

neue verpackung: Welche Daten zu Materialien, Recyclingquoten und Produktionsprozessen werden berücksichtigt?
Bahr: Für die Berechnung des Ecobeautyscore werden auch detaillierte Daten zu Verpackungsmaterialien berücksichtigt, beispielsweise deren Recyclingfähigkeit und die Entsorgungswege sowie die Produktionsprozesse. Auch die Materialart und -menge, Herstellungsverfahren und Transportwege beziehungsweise -mittel sowie End-of-Life-Aspekte. Die Daten dafür kommen aus etablierten LCA-Datenbanken wie Ecoinvent sowie aus Datensätzen, die von den Mitgliedern der Association zusammengetragen wurden. Denn unser Ziel ist es ja, eine ganzheitliche Lebenszyklusanalyse der Produkte zu haben, die alle Umweltwirkungen transparent abbildet.

neue verpackung: Berücksichtigen die Scores regionale Besonderheiten, beispielsweise die länderspezifische Recyclinginfrastruktur, oder drückt der Wert ein globales Mittel aus?
Pilzner: Wir haben Analysen durchgeführt, in denen wir den Fußabdruck verschiedener Produkte einmal mit globalen und mit regionalen Durchschnittswerten für Datenpunkte wie die Recyclingrate verglichen haben. Denn selbst innerhalb einer Region können die Recyclingquoten von einem Land zum anderen stark variieren, sogar in Europa ist das so. In manchen Fällen variiert die Recyclingrate sogar innerhalb eines Landes sehr stark (beispielsweise Indien, wenn man ländliche Gebiete mit Städten vergleicht). Daher arbeiten wir hier mit globalen Durchschnittswerten. Da die „End of Life“, also die Entsorgungsphase der Produkte, oft auch nur einen geringen Anteil am gesamthaften Fußabdruck ausmacht, ist dies zwar streng genommen eine Ungenauigkeit, aber ohne Einfluss auf den Score. Zu guter Letzt war es uns auch wichtig, keine regionalen Abweichungen von Scores für ein und dasselbe Produkt zu haben, das würde Verbraucher eher verwirren, als dass es die Transparenz fördert.

Grafik Ecobeautyscore, Umweltauswirkungen.
Bei Tests wurde die Skala-Bewertung intuitiv verstanden.

neue verpackung: Wie haben Sie sichergestellt, dass die Ergebnisse auch für Verbraucher leicht verständlich und damit vergleichbar sind?
Pilzner: Wir haben in vier Märkten (Frankreich, China, USA und Brasilien) qualitative und quantitative Verbrauchertests durchgeführt, um zu verstehen, ob und wie die A-bis-E-Skala des Ecobeautyscore von Verbrauchern verstanden wird und eine Orientierung für die Kaufentscheidung sein kann. Die Ergebnisse waren in allen Märkten positiv, das heißt der Score wurde intuitiv richtig verstanden.

neue verpackung: Binden Sie Partner aus Handel und Industrie bei der Kommunikation des Systems mit ein?
Bahr: Zunächst einmal hat die Ecobeautyscore Association auch Mitglieder aus dem Einzelhandel, die aufgrund dessen, dass sie selbst auch eigene Kosmetikmarken herstellen und vertreiben, an einem einheitlichen, wissenschaftlich basierten Score interessiert waren und sich an dessen Entwicklung beteiligt haben. Darüber hinaus sind nun sowohl die Ecobeautyscore Association als auch die Hersteller, die vom Ecobeautyscore überzeugt sind und ihn derzeit etablieren, im Gespräch mit den Handelspartnern der bisherigen Launch-Länder, um die Scoring-Methode selbst zu nutzen sowie eine Sichtbarkeit des Labels am Point of Sale zu ermöglichen, um bei der Aktivierung zu unterstützen, sodass Verbraucher ihn bei der Orientierung am Regal nutzen können.

Dorle Bahr, Head of Sustainability Strategy & Reporting bei Beiersdorf
Dorle Bahr, Head of Sustainability Strategy & Reporting bei Beiersdorf

neue verpackung: Haben Sie auf Basis von Ecobeautyscore bereits Verpackungen in Sachen Design oder Materialwahl optimiert?
Pilzner: Wir haben in den letzten Jahren schon sehr viel gemacht, um unsere Verpackungen zu optimieren und den Fußabdruck zu verringern. So haben wir für unsere Nivea-Duschpflegeprodukte und Bodylotions Leichtgewichtflaschen eingeführt, die rund 20 % Material einsparen, sowie in vielen Sortimenten Rezyklat statt Neuplastik im Einsatz. Aber es stimmt natürlich, dass man auf Basis der Informationen, die man als Hersteller aus dem Ecobeautyscore-Tool erhält, Implikationen auch in Richtung Verpackungsoptimierungen ableiten kann, die man dann beispielsweise für anstehende Relaunches der Produkte mit in Betracht ziehen kann und sollte.

neue verpackung: Wie geht Beiersdorf mit möglichen Zielkonflikten um, etwa wenn eine nachhaltige Verpackung höhere Kosten verursacht?
Bahr: Nachhaltigkeit hat für uns einen hohen Stellenwert und wir haben schon viele Hebel in Bewegung gesetzt, um unsere Produkte nachhaltiger zu machen. Das hat eigentlich immer mit höheren Kosten zu tun und natürlich müssen auch wir wirtschaftlich denken und handeln. Wir versuchen daher beispielsweise die Mehrkosten für Rezyklat darüber auszugleichen, indem wir gleichzeitig unsere Verpackungen dünner machen, also Material einsparen. Das hat dann gleich einen doppelten Nachhaltigkeitseffekt und ergibt einen Triple-Win, weil es auch ökonomisch Sinn ergibt. Für die Transformation unseres Unternehmens in Richtung Net Zero, unser Ziel, das wir bis 2045 erreichen wollen, müssen wir immerzu schauen, wie wir wirtschaftlich agieren und gleichzeitig sinnvolle Investitionen in unsere Zukunftsfähigkeit tätigen. Essenziell wichtig ist dabei natürlich auch, dass unsere Verbraucher bei den Veränderungen mitgehen – und da kommt der Ecobeautyscore wieder ins Spiel.

Frau hält Tablet in der Hand, auf dem die Ecobeautyscore-Plattform zu sehen ist.
Die Ecobeautyscore-Plattform soll für alle Marken und Hersteller von kosmetischen Produkten nutzbar sein.

neue verpackung: Ist Ecobeautyscore als offenes System gedacht, das auch anderen Unternehmen zur Verfügung steht?
Bahr: Wir sind der festen Überzeugung, dass der Zugang zu Nachhaltigkeitserkenntnissen nicht nur den großen Marken vorbehalten sein sollte, die über interne Spezialisten verfügen und genügend finanzielle Mittel, die Datenerhebung selbst zu stemmen. Daher ist die Ecobeautyscore-Plattform so aufgesetzt, dass der Zugang und die damit verbundenen Daten und Erkenntnisse niemanden ausgrenzt. Sie soll für alle Marken und Hersteller von kosmetischen Produkten nutzbar sein und bietet deshalb auch ein Preismodell an, das sich nach der Unternehmensgröße richtet. Kleine Marken, die sich für die Nutzung von Ecobeautyscore entscheiden, profitieren von den umfangreichen Daten sowie dem Fachwissen und den Erkenntnissen der größeren Marken, die in den standardisierten Mess- und Bewertungsrahmen eingeflossen sind. Ein großer Vorteil für diejenigen Marken, die keine Nachhaltigkeitsexpertise inhouse haben: Die Plattform beziehungsweise das Tool ist so konzipiert, dass sie von Unternehmen jeder Größe genutzt werden kann, und bei Bedarf gibt es Unterstützung, um beispielsweise durch den Prozess des Tools zu führen. Das Ziel des Ecobeautyscore ist es, Nachhaltigkeit für jeden in unserer Branche zugänglich zu machen, egal ob Global Player oder kleine regionale Marke.

Die Fragen stellte Philip Bittermann, Chefredakteur neue verpackung