„Als Branche den Mut haben, über den Wettbewerb hinaus gemeinsam zu handeln“
Interview mit Winfried Mühling, Pro Carton, auf der Fachpack 2025
Wir sprachen mit Winfried Mühling von Pro Carton auf der Fachpack 2025 über Trends, Herausforderungen und Chancen der Branche. Und darüber, warum Kooperation, klare Regeln und Mut zur Veränderung jetzt entscheidend sind.
neue verpackung: Herr Mühling, wie fällt Ihr Fazit nach zwei Tagen Fachpack aus? Wie nehmen Sie die Stimmung auf der Messe wahr – und gab es etwas, das Sie besonders beeindruckt hat?
Winfried Mühling: Die Fachpack ist und bleibt „die“ Messe für die Verpackungsindustrie mit besonderem Fokus auf die DACH-Region. In diesem Jahr haben wir erstmals zu „Lunch Talks“ mit Fachbeiträgen auf unseren Stand eingeladen – das wurde von unseren Mitglie-dern und den Messebesuchern sehr gut angenommen. Die Stimmung würde ich als abwartend zuversichtlich beschreiben. Es gab viele Produktinnovationen zu sehen, insbesondere faserbasierte Lösungen dominierten auf zahlreichen Ständen. Bei Kunststoffverpackungen ist ein klarer Trend hin zu Monomaterialien erkennbar. Was mich besonders beeindruckt hat, waren die zahlreichen Kooperationen und Gemeinschaftsstände. Zudem ist der Wunsch nach klaren gesetzlichen Richtlinien deutlich spürbar – vor allem natürlich rund um die PPWR und EUDR. Viele Unternehmen hoffen hier auf schnelle Klarheit, um den wachsenden Investitionsstau zu lösen.
neue verpackung: Welche Themen standen für Pro Carton dieses Jahr im Fokus?
Mühling: In unseren Fachbeiträgen haben wir zentrale Themen aufgegriffen, die die Industrie aktuell bewegen: die Regulierung durch EUDR und PPWR, Recycling sowie Konsumententrends. Auch die 4evergreen Toolbox war ein Thema. Besonders viel Aufmerksamkeit erhielten die frisch gekürten Gewinner des European Carton Excellence Award, Pro Carton Young Designers Award und Pro Carton Student Video Award, die wir auf unserem Stand ausgestellt haben. Das Interesse war groß. Gemeinsam mit FFI und 4evergreen steht Pro Carton für Transparenz, Information und inhaltliche Kompetenz.
Wir leben Kreislaufwirtschaft – mit jeder Rolle Karton und jeder ausgelieferten Faltschachtel
neue verpackung: Welche Entwicklungen sehen Sie aktuell im Bereich Kartonverpackungen – insbesondere im Vergleich zu anderen Materialien?
Mühling: Kartonverpackungen erschließen sich zunehmend neue Anwendungsbereiche. Beschichtungen aus erneuerbaren Materialien erhöhen den Anteil erneuerbarer Rohstoffe weiter. Biobasierte Barrieren helfen, Polymeranteile zu reduzieren und gleichzeitig die Recyclateignung zu erhalten. Es gilt, neue Anwendungen zu erschließen: Mayr-Melnhof hat beispielsweise eine Kartonflasche vorgestellt. Auch formbare Trays und Schutzverpackungen aus faserbasierten Materialien zeigen, wie vielfältig Karton heute eingesetzt werden kann. Verpackungen aus erneuerbaren Rohstoffen werden zunehmend als Wettbewerbsvorteil wahrgenommen.
neue verpackung: Wie reagieren Markenartikler und Händler auf die steigenden Anforderungen an nachhaltige Verpackungslösungen – insbesondere im Hinblick auf die PPWR?
Mühling: Es herrscht weiterhin ein gewisses Maß an Verunsicherung. Dennoch bevorzugen Markenartikler zunehmend faserbasierte Verpackungslösungen. Wo möglich, setzen sie auf Karton und Papier, wo nötig auf Monoplastik. Wichtig ist, dass wir jetzt handeln und die Umsetzung zügig vorantreiben. Einheitliche und verbindliche Vorgaben sind dringend erforderlich. Gleichzeitig sollte der Gesetzgeber meiner Meinung nach von Überregulierung absehen – denn unternehmerische Gestaltungsfreiheit fördert Innovationen, während übermäßige Regulierung diese erfahrungsgemäß hemmt.
neue verpackung: Wie beeinflussen solche politischen Rahmenbedingungen eigentlich die strategische Ausrichtung von einem Verband wie Pro Carton?
Mühling: Die letzten Jahre haben gezeigt, wie wichtig Verbände als Interessenvertretung sind. Die Zusammenarbeit mit anderen Verbänden wurde deutlich gestärkt – gemeinsame Positionen und übereinstimmende Kommunikationsstrategien erhöhen unsere Reichweite in Brüssel und sorgen dafür, dass die Stimme der Kartonindustrie gehört wird. Einzelne Mitglieder könnten das so nicht leisten. Wir bündeln also Ressourcen und ermöglichen unseren Mitgliedern, sich auf ihre Kernkompetenzen zu konzentrieren. Mittel wurden gezielt in Aktivitäten rund um die Regulierung umgeleitet. Diese Erfordernis zeigt, wie weit wir von den Absichtsbekundungen aus Brüssel entfernt sind, Bürokratie zu reduzieren. Wir haben uns als deutlich effizienter und agiler erwiesen als so manche nationale Regierungskoalitionen. Die aktuelle Diskussion um planbare politische Rahmenbedingungen sind für uns eine Chance, unsere Stärken zu zeigen, die Branche enger zusammenzuführen und die führende Rolle von Karton in der Kreislaufwirtschaft zu verankern.
neue verpackung: Pro Carton setzt sich stark für nachhaltige Verpackungen ein. Wie bewerten Sie den Fortschritt der Branche in Richtung Kreislaufwirtschaft?
Mühling: Wir leben Kreislaufwirtschaft – mit jeder Rolle Karton und jeder ausgelieferten Faltschachtel. Unsere gesamte Wertschöpfungskette – vom nachhaltig bewirtschafteten Rohstoff bis zum effizienten Recycling – ist auf Europa ausgerichtet. Unser Vorteil ist das Vertrauen und die Mitwirkung der Konsumenten, was sich in beispielhaften Recyclingzahlen widerspiegelt. Die aktuellen Eurostat-Erhebungen zeigen eine weitere Steigerung auf 86,6 % für Papier- und Kartonverpackungen. Im Bereich flexibler Kunststoffverpackungen sieht es etwas differenzierter aus. Hier muss der Fokus stärker auf den Aufbau einer verlässlichen Sammelinfrastruktur gelegt werden – recyclingfähige Verpackungsstrukturen werden sich ergeben. Am Ende kann nur recycelt werden, was zuvor (getrennt) gesammelt wurde.
neue verpackung: Welche Herausforderungen sehen Sie für die Kartonindustrie in den kommenden Jahren?
Mühling: Die zunehmende Komplexität der Compliance und der zusätzliche Administrationsaufwand durch Regelwerke wie EUDR und PPWR stellen große Herausforderungen dar. Wir brauchen stabile und wettbewerbsfähige Versorgungsketten – insbesondere mit Blick auf Energie- und Holzpreise sowie planbare Kostenstrukturen. Die Balance zwischen Nachhaltigkeit, Funktionalität und Kosten ist entscheidend für Markeninhaber und Konsumenten. Zudem sehen wir uns mit globalen Handelskonflikten konfrontiert. Importe aus Asien, welche unter abweichenden rechtlichen und ökonomischen Voraussetzungen erfolgen, schaffen hierbei zusätzliche Herausforderungen für Hersteller in Europa.
neue verpackung: Wenn Sie einen Wunsch an die Verpackungsbranche äußern könnten – welcher wäre das?
Mühling: Ich wünsche mir, dass wir als Branche den Mut haben, über den Wettbewerb hinaus gemeinsam zu handeln. Dann können wir eine resistente Kreislaufwirtschaft in Europa aufbauen - materialübergreifend und auf europäische Wertschöpfung ausgerichtet, vom Rohstoff bis zum Recycling. Damit schaffen wir zukunftsweisende Arbeitsplätze und stärken Europas Rolle als Vorreiter einer gelebten Kreislaufwirtschaft, die als Exportmodell weltweit wirken kann.