Tomra-Pilotprojekte in mehreren europäischen Städten
Darum machen Rückgabesysteme den Unterschied
Mehrwegbecher sind ökologisch überlegen, werden sie mehrfach genutzt. Doch erst durch skalierbare Rückgabesysteme wird auch die Ökonomie tragfähig. Städte wie Aarhus, Berlin und Lissabon zeigen, wie sich Umwelt- und Kostenfragen lösen lassen.
Einweg gerät europaweit unter Druck. Immer mehr Städte führen Steuern auf Einwegverpackungen ein, die EU plant verbindliche Mehrwegquoten, und das Vertrauen in das klassische Recycling schwindet: als zu ineffizient, zu unzuverlässig und zu stark vom Verhalten Einzelner abhängig. Gleichzeitig wächst der Handlungsdruck im urbanen Raum: Allein in Deutschland fallen täglich im Schnitt etwa 40 Mio. Einwegverpackungen im To-go-Segment an, so eine Analyse der Umweltschutzorganisation WWF. Die zentrale Erkenntnis: Kreislaufwirtschaft beginnt nicht bei der Verpackung, sondern bei der Infrastruktur. Nur wenn Rückgabeprozesse intuitiv und alltagsnah funktionieren, kann Mehrweg massentauglich werden.
Infrastruktur statt Appell
In Deutschland ist die Nutzung von Mehrwegbechern trotz regulatorischer Vorgaben nach wie vor gering. Ein Grund: Für Verbraucherinnen und Verbraucher ist die Rückgabe oft aufwendiger als der Griff zum Einwegbecher – mit beschränkten Rückgabestellen, zusätzlichem Spülaufwand und fehlender Logistik. Solange Mehrweg komplizierter bleibt, gewinnt Einweg durch Bequemlichkeit. Ein Blick nach Europa zeigt andere Wege: In Frankreich oder den Niederlanden führen Verbote von Einwegverpackungen im Vor-Ort-Verzehr zu deutlich höheren Rücklaufquoten. Deutschland dagegen stagniert im einstelligen Prozentbereich: trotz Pfand-Infrastruktur für Flaschen und Dosen. Entscheidend ist nicht der gute Wille der Konsumenten, sondern die Alltagstauglichkeit der Systeme.
Digitale Systeme als Game Changer
Digitale Reuse-Systeme setzen genau hier an. Tomra Reuse zeigt mit Pilotprojekten in mehreren europäischen Städten, wie sich Rückgabe als Teil urbaner Infrastruktur etablieren lässt. Kern des Ansatzes ist die Kombination aus bargeldloser Pfandrückerstattung, serialisierten Bechern nach GS1-Standard und zentral organisierter Reinigung. Damit werden Rückgabeprozesse transparent, automatisiert und bequem.
- Nachhaltigkeit: Ab spätestens sechs Umläufen ist ein Mehrwegbecher ökologisch überlegen. Studien zufolge liegt dieser Wert als Mindestschwelle, während in der Praxis deutlich höhere Umlaufzahlen erreichbar sind.
- Ökonomie: Für den Handel rechnet sich das System, sobald die Kosten pro Umlauf mit denen von Einweg vergleichbar sind. Städte profitieren von sinkenden Kosten für Abfallentsorgung und Straßenreinigung.
- Technologie: Vernetzte Rücknahmestationen erkennen autorisierte Becher automatisch, buchen Pfand zurück und liefern Echtzeitdaten über Nutzung und Umläufe.
Praxisbeispiele aus drei Städten
Aarhus – eine Mio. Rückgaben in 15 Monaten
Seit Januar 2024 betreibt Aarhus das europaweit erste stadtweite Reuse-System. 27 Automaten im öffentlichen Raum ermöglichen Rückgaben rund um die Uhr. Nach 15 Monaten wurde die Marke von einer Mio. Rückgaben überschritten bei einer Rücklaufquote von 86 %. Einzelne Becher wurden bereits mehr als 30-mal genutzt. Auf Events zeigt sich die Wirkung besonders: 2024 wurden bei einem Straßenfest 100.000 Einwegbecher eingespart, für 2025 sind fünf Großveranstaltungen mit bis zu 500.000 eingesparten Bechern geplant.
Berlin – Mehrweg im Supermarkt
In Friedrichshain-Kreuzberg können Verbraucher seit Frühjahr 2025 ihre Recup- und Einfach-Mehrweg-Becher direkt in sieben Rewe-Märkten über Tomra T9-Leergutautomaten zurückgeben, zusammen mit Flaschen und Dosen. Die Logistik erfolgt zentral über das Zentrallager und einen Dienstleister, der die Becher reinigt. Für den Handel entsteht kein Mehraufwand, sondern sogar ein ökonomischer Anreiz: Jede Rückgabe wird über eine Handling Fee vergütet. Angesichts von zwei Mio. Einweg-To-go-Verpackungen täglich in Berlin ist das Modell ein wichtiger Praxistest für die Skalierung im Lebensmitteleinzelhandel.
Lissabon – Hauptstadt mit Reuse-System
Am 25. Juni 2025 startete Lissabon als erste europäische Hauptstadt mit einem stadtweiten System. Grundlage ist ein kommunales Einwegverbot, flankiert durch Rücknahmeautomaten an stark frequentierten Orten. Der Handlungsbedarf ist enorm: Jede Nacht werden rund 25.000 Becher genutzt, bislang ohne funktionierende Rücknahme – nun können sie erstmals in einen digitalen Kreislauf zurückfließen. Schon die ersten Monate zeigen Rücklaufquoten von 80 bis 90 %. Bis Oktober werden 17 Sammelstationen eingerichtet, ein einheitlicher „Lisbon Cup“ eingeführt und derzeit etwa 5.000 Becher im Umlauf gebracht. Das Pfand von 0,60 € wird digital und ohne Registrierung in Sekunden erstattet.
Ökologie braucht Ökonomie
Die Frage nach der Wirtschaftlichkeit entscheidet über die Zukunftsfähigkeit von Reuse-Systemen. Ökologisch im Vorteil sind sie schon nach wenigen Umläufen – doch erst durch Skalierung erreichen die Systeme auch ökonomische Tragfähigkeit. Nur wenn genügend Rücknahmepunkte, Reinigungslogistik und Nutzer im System sind, können die Kosten pro Nutzung mit Einweg konkurrieren.
Die Projekte von Tomra Reuse zeigen, wie Ökologie, Ökonomie und Regulierung ineinandergreifen: In Berlin erhält der Handel für jede Rückgabe eine Handling Fee, was ökologischen Nutzen mit einem ökonomischen Anreiz verbindet. In Aarhus konnte die Stadt innerhalb von 15 Monaten mit einer Mio. Rückgaben nicht nur Abfall vermeiden, sondern auch die Kosten für Reinigung im öffentlichen Raum deutlich senken. Und in Lissabon macht die Verknüpfung von Einwegverbot und digitaler Rückgabe-Infrastruktur deutlich, wie politische Regulierung und wirtschaftliche Tragfähigkeit ineinandergreifen.
Für Kommunen bedeutet das: Reuse-Systeme sind nicht nur ein ökologischer Hebel, sondern auch ein finanzieller. Wer in Rückgabe-Infrastruktur investiert, spart an der Entsorgung – und entlastet zugleich Gastronomie und Handel von logistischen Prozessen.
Mehrweg wird zur Infrastrukturfrage
Die Beispiele aus Aarhus, Berlin und Lissabon zeigen: Reuse scheitert nicht an der Akzeptanz der Verbraucher, sondern an fehlender Infrastruktur. Sobald Rückgabeprozesse so einfach wie Wegwerfen werden, steigen Rücklaufquoten auf über 80 %, Umläufe erhöhen sich und Einweg verliert seine Daseinsberechtigung.
Ob regulatorisch getrieben wie in Lissabon, partnerschaftlich wie in Berlin oder freiwillig wie in Aarhus: Die Richtung ist eindeutig. Mehrweg wird zur Infrastrukturfrage. Für die Verpackungsbranche bedeutet das, den Blick über Materialien hinaus auf Systeme zu richten, die Kreislaufwirtschaft praktisch umsetzbar machen.