Social Media im B2B-Bereich
Die Verpackungsbranche auf Tiktok: Humor trifft Technik
Tiktok ist längst mehr als Tanz und Trends. Unternehmen wie Optima, Alpla und Prewa nutzen die Plattform für Recruiting, Imagepflege und technische Inhalte – mit beachtlichem Erfolg und teils Millionenreichweiten.
Der Film dauert nicht lange. Genau gesagt nur 15 Sekunden. Die Story ist schnell erzählt. Ein junger Mann hält einer jungen Frau die Türe auf, hilft ihr weniger später an der Kaffeemaschine, holt eine Tasche vom Schrank runter. Nett, aber doch nur eine Wunschvorstellung, wie die übrigen Sekunden zeigen. Denn dann wird ihr die Türe vor der Nase zugemacht, die Kaffeetasse geklaut und daraus getrunken und mal eben der Schreibtisch-Organizer umgeschubst. Eher die Realität nicht nur in einem Männer lastigen Unternehmen.
Optima trifft den Nerv der Zeit – mit Humor und Realität
Auf stolze 253.000 Aufrufe kommt das Video von Optima, zu sehen auf Tiktok. Es trifft offenbar den Nerv vieler junger Menschen, die das Filmchen gerne teilen und kommentieren. Der Maschinenbauer ist seit vielen Jahren auf den sozialen Kanälen präsent, darunter Youtube und Instagram. Seit knapp einem Jahr zudem auf Tiktok. „Wir waren die ersten in unserer Branche“, sagt Samuel „Sam“ Weber nicht ohne Stolz. Er ist seit 2015 im Unternehmen und seit 2023 offiziell Digital Marketing Manager Social Media des Verpackungsspezialisten aus Schwäbisch-Hall. Jeder Content für die Socials geht über seinen Tisch. Das nicht ohne Grund. Weber ist gelernter Grafiker und Fotograf – und beschäftigt sich seit langem mit den sozialen Netzwerken, ihren Trends und Formaten.
Tiktok ist längst kein Nischenmedium mehr. Weltweit nutzen über 1,5 Mrd. Menschen die Plattform aktiv. In Deutschland sind es über 21 Mio. Erwachsene. Besonders relevant für die Verpackungsindustrie: 35 % der Nutzer sind zwischen 18 und 29 Jahre alt, weitere 29 % zwischen 30 und 39. Also genau jene Altersgruppen, die für Ausbildungsplätze, duale Studiengänge und Berufseinstiege infrage kommen. Nachwuchs, den die Branche so dringend braucht. Die Herausforderung: Die Generation Z informiert sich anders. Sie googelt nicht, sie scrollt. Wer heute junge Talente erreichen will, muss dort sichtbar sein, wo sie sich aufhalten. Tiktok ist dabei längst mehr als ein Tanzparkett für Influencer: Es ist ein ernstzunehmender Kommunikationskanal mit enormem Potenzial für Employer Branding und Recruiting.
Ziehl-Abegg zeigt: Technik kann viral gehen
Kein Wunder, dass auch immer mehr Maschinenbauer Tiktok als Bühne nutzen, um ihre Innovationskraft zu zeigen, ihr Arbeitgeberimage zu schärfen und vor allem junge Mitarbeitende zu gewinnen. B2B-Unternehmen wie Ziehl-Abegg zeigen, dass Tiktok kein reines Konsumformat ist: Mit über 55 Mio. Views und einem signifikanten Anstieg de Bewerbungen über die Karrierewebseite beweist der Ventilatorenhersteller, dass auch technische Inhalte viral gehen können. Der Mut zur Plattform zahlt sich aus und verändert die Art, wie Industrieunternehmen kommunizieren.
Am Anfang war Sam Weber nicht von Tiktok für Optima überzeugt. „Ich war kein Gegner, aber ich habe nicht geglaubt, dass ein Maschinenbauunternehmen wie wir gut auf Tiktok ankommt. Allerdings hat mich auf den Social Media Days in Berlin ein Vortrag so geflasht, dass ich hinterher voller Tatendrang war. Ich habe den Account erstellt und wir haben begonnen.“
Ein Schlüsselmoment, den es bei Alpla in der Form nicht gegeben hat. Auch der Anbieter von Kunststoffverpackungen gehört zu dem, mehr oder weniger, elitären Kreis derjenigen Firmen, die sich auf Tiktok engagieren. Die Zielsetzung der Verantwortlichen ist klar: „Wir wollen mit unserer Kommunikation alle Altersgruppen abdecken, also die ältere Generation via Facebook, unsere Stakeholder auf Linkedin, die etwas jüngere Zielgruppe auf Instagram und auf Tiktok“, erzählt Patrick Schnetzer, Social Media Expert bei Alpla. Wobei das Tiktok-Engagement durchaus differenziert ausfällt. Denn es gibt zwei Bereiche. So den Kanal, der sich gezielt an Endkonsumenten richtet. Es ist der Account von Philipp Lehner, dem CEO des Familienunternehmens.
Alpla: Zwei Kanäle, zwei Strategien
Den „CEO-Channel“ gibt es seit Juni 2022. Seitdem präsentiert sich Lehner als eine Art Corporate Influencer, der einerseits das Gesicht der Firma ist, gleichzeitig aber auch das Thema Kunststoff vorantreibt. Titel des Kanals: „#plasticisfantastic“. Mit ihm will das Familienunternehmen die Menschen rund um das Thema „Kunststoff“ informieren, auch aufklären. Das Spektrum ist breit und spart auch keine heiklen Themen wie Mikroplastik aus. Das Video dazu bringt es auf 1,9 Mio. Aufrufe. Ein beeindruckender Wert. Und dennoch vergleichsweise wenig im Vergleich zum Eierkarton-Film. Mehr als 2,3 Mio. mal wurde dieser mittlerweile angeklickt. Darin erklärt Lehner, wie Konsumenten ihren CO2-Footprint reduzieren können: indem sie Eier kaufen, die nicht im Faserguss-Karton, sondern im Tray aus recyceltem Kunststoff verpackt sind. „Wir kommunizieren über ‚Plastic is Fantastic‘ nur Inhalte, die wissenschaftlich belegt sind“, so Schnetzer. „Mittlerweile sind wir bei knapp 180 Videos, die wir veröffentlicht haben. In der Regel drehen wir einmal im Monat mit unserem CEO, um Trends und aktuelle Themen aufzugreifen." Mit Erfolg. Philip Lehner hat auf Tiktok mittlerweile knapp 40.000 Follower.
Der zweite Tiktok-Kanal dient dem Recruiting und richtet sich vor allem an Lehrlinge oder Schulabgänger. Betreut wird er seit einigen Monaten von Dilara Gürleyen als Digital Marketing Apprentice. Der Name des Kanals: „#lehrebeialpla“. Präsentiert werden nicht nur Inhalte zur Ausbildung. Es sind Entertainment-Themen, womit Alpla auf sich aufmerksam macht und Sympathiepunkte sammelt. „Natürlich orientieren wir uns bei anderen Kanälen, aber wichtig ist, dass man sein eigenes Ding macht“, sagt Patrick Schnetzer. Oberste Regel laut Gürleyen ist: Die Filme dürfen nicht langweilig sein, aber auch nicht zu „cringe“. Und sie müssen gute Laune verbreiten. Nicht nur in der Community, sondern auch bei den Akteuren. Gedreht wird mit Auszubildenden aus dem eigenen Haus. Einer der Videos trägt den Titel“ Du wachst als Lehrling bei Alpla auf“ – und genau darum geht es darin.
Die Wirkung nach Innen darf dabei nicht unterschätzt werden. Denn Plattformen wie Tiktok finden keineswegs bei allen im Unternehmen Gefallen. Es gibt durchaus Stimmen, die kritisch hinterfragen, ob sich das Investment überhaupt lohnt. Bei Alpla sind es drei Mitarbeitende aus der Marketingabteilung, die sich um das Thema kümmern. Bei Optima sind es zwei Angestellte, die von Kollegen und Kolleginnen aus diversen Abteilungen unterstützt werden.
Keine Extra-Ziele für Tiktok
Und was bringt es dem Unternehmen? „Wir haben keine separaten Ziele für Tiktok definiert“, sagt Sam Weber. „Es sind allgemeine Ziele, die wir erreichen wollen, so die Bekanntheit von Optima in allen relevanten Altersgruppen steigern und ein positives, junges Image aufbauen.“ Es komme immer wieder vor, dass Bewerber erzählen, sie hätten die Firma schon in den Socials erlebt. „Oder wenn der Lehrling berichtet, seine Familie hätte das Video gesehen und es ziemlich lustig gefunden. Es gibt auch Bewerber, die sofort auf Instagram gehen, nachdem sie eine Stellenzeige gesehen haben, und sich so einen ersten Eindruck verschaffen“, so der Social Media-Manager.
Was nicht heißen will, dass das Unternehmen aus Vorarlberg nicht misst, was funktioniert und was nicht. Die Verantwortlichen beobachten die Follower-Entwicklung, Profilaufrufe, Videoaufrufe, Likes, Shares, Kommentare und das Engagement bei allen sozialen Medien, die Optima bespielt. Diese Kennzahlen werden monatlich in einem zentralen Dashboard ausgewertet. Das wird auch für den Testlauf mit drei Influencern gelten, der jetzt gestartet wurde. Denn gerade für den Pharma-Sektor sucht Optima händeringend neue Mitarbeitende und erhofft sich so mehr Erfolg.
Krones: Menschen und Technik auf Tiktok
Image Building und Employer Branding und Recruiting – dafür lässt sich Tiktok offenbar gut einsetzen. Doch gehen manche Unternehmen einen Schritt weiter. So die Krones AG. Der Spezialist für Prozesstechnik, Abfüll- und Verpackungstechnik ist nicht nur mit den bekannten Themen und Formaten präsent, sondern auch mit reichlich Technik. Da sind neben Filmen wie über das diesjährige Firmenfest oder die Teilnahme an der Messe Drinktec nicht wenige produkt- oder technikbezogene Vidoes zu sehen. Sie dokumentieren die technologische Kompetenz der Neutraublinger. Auch diese Filme kommen beim Auditorium an. So bringt es der Ergobloc L, eine Blocklösung, die die Prozesse Streckblasen, Etikettieren, Füllen und Verschließen in einer kompakten Anlage vereint und von nur einer Person bedient werden kann, auf mehr als 160.000 Aufrufe. Was derlei Formate bringen? Antworten auf unsere Fragen gab es nicht. Trotz mehrfacher Versuche war niemand bei Krones bereit, mit uns zu sprechen.
Prewa: Produktvideos als Strategie
Anders hingegen Martin Wagner, einer der Geschäftsführer von Prewa Verpackungsmaschinenbau. Der Mittelständler aus Busek nutzt seit wenigen Jahren alle gängigen Social-Media-Plattformen. Allerdings anders als seine Kollegen in den großen Firmen. Zwar produziert auch Prewa regelmäßig neuen Content und hat damit einen externe Social-Media-Fachmann engagiert. Aber die Inhalte werden nahezu identisch in allen Kanälen verwertet, angefangen von Facebook über Instagram, Linkedin, Whatsapp, Youtube bis zu Tiktok. Und: Es sind fast zu 100 % Produktfilme, die zu sehen sind, meist Maschinen „in action“, einschließlich diverser Leistungswerte. Wagner ist von dem Ansatz überzeugt: „Damit generieren wie eine beträchtliche Reichweite“, sagt er. „Die Brand Awareness ist deutlich gestiegen. Das alles hat dazu geführt, dass wir unheimlich viel Frequenz auf unserer Website haben.“ Das wiederum schlage sich im Neukundengeschäft nieder. Für die Kontaktanbahnung hält der Geschäftsführer allerdings Tiktok weniger gut geeignet, auch wenn sich hier und da auch ein Einkäufer unter den Nutzern befinden mag.
Ist China Vorbild bei Tiktok?
Tiktok und die Verpackungsbranche. Die große Liebe ist das nicht. Oder noch nicht. Nur wenige Unternehmen nutzen die Möglichkeiten der Plattform. Vertrieb oder Leadgenerierung sind aktuell so gut wie kein Thema. Müssen es vielleicht auch nicht sein. Obgleich ein Blick Richtung Fernost etwas anderes vermuten lässt. Die Maschinenbauer aus dem Reich der Mitte sind zu Hunderten auf der ehemaligen Tanzplattform vertreten und preisen ihre Packmittel und Maschinen an. Ob Snack-Verpacker, Abfüllanlage, Kartonaufrichter, PET-Blasmaschine, Packaging-Linie oder Etikettiermaschine: Es gibt wohl nichts aus der Packaging-Welt, das nicht in diesem digitalen Schaufenster ausgestellt und beworben würde.
Bisweilen nicht anders als bei den Teleshopping-Sendern. Da tänzelt schon mal eine junge Frau mit tiefroten Lippen durch eine Fertigungshalle und ruft „Trust me! Trust me! Trust my Factory“. Die Fabrik ist Jiaqian Machinery. Das anschließend angepriesene Produkt eine Etikettiermaschine für runde Behälter. „Nur 2000 US-Dollar“ poppt der Preis im Video auf, während die junge Frau liebevoll ein frisch etikettiertes Glas in die Kamera hält. Der Unterhaltungswert des Films geht gegen Null. Von einem „künstlerischen Anspruch“ ganz zu schweigen. Und dennoch: Die teils zahlreichen Kommentare unter manchen Maschinen sind klares Zeichen dafür, dass die Videos durchaus wahrgenommen werden. Immerhin bringt es Jiaqian auf knapp 40.000 Follower.