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26. Jun. 2025 | 07:51 Uhr | von Peter Hammer
Aktualisiert am: 26. Jun. 2025

Automatisierung im Maschinenbau

Offene Plattformen stärken den Maschinenbau

Wie kann der Maschinenbau zukunftssicher aufgestellt werden? Auf der Packaging Machinery Conference 2025 gaben Steffen Winkler, CSO Business Unit Automation bei Bosch Rexroth, und Ingo Hamel, CTO Rovema, spannende Einblicke: Sie zeigten, wie Automatisierung und moderne Steuerungsarchitekturen Unternehmen helfen, flexibel, effizient und nachhaltig auf Veränderungen zu reagieren.

Illustration für Automatisierung

Noch liegt Deutschland beim Thema Automatisierung weit vorne. Doch der Vorsprung schmilzt. (Bild: Dalle 3 / OpenAI)

Die Automatisierungstechnik ist eine der letzten Bastionen deutscher Technologieführerschaft. Dennoch ist der Druck aus Asien, geopolitischen Spannungen und regulatorischen Anforderungen stark gestiegen. Wie sich Unternehmen unter diesen Bedingungen zukunftssicher aufstellen können, zeigt Bosch Rexroth mit seinem offenen Automatisierungssystem „Ctrlx Automation“.  In seinem Vortrag skizzierte Steffen Winkler, CSO Business Unit Automation des Unternehmens aus Lohr am Main, fünf zentrale Stellschrauben, die eine zukunftssichere Automatisierungsstrategie ausmachen.

Ein offenes Betriebssystem für alle

Herzstück der Ctrlx-Plattform ist das Betriebssystem „Ctrlx OS“, das auf Echtzeit-Linux basiert und sich auf verschiedenen Geräten betreiben lässt – auch auf Hardware von Drittanbietern. Die Architektur ist mikroservicebasiert, browserfähig und webbasiert programmierbar. Entwickler können nahezu jede Programmiersprache verwenden, die Linux unterstützt, von Python bis C++. Damit orientiert sich das System an den Erwartungen junger Entwicklergenerationen, die mit modernen Entwicklungsumgebungen und Tools wie Github und Copilot arbeiten wollen.

Chart Ctrlx-Betriebssystem
Herzstück ist das offene Betriebssystem. (Bild: Bosch Rexroth)

Die Apps laufen isoliert in Sandboxen und werden von Bosch Rexroth hinsichtlich Performance und IT-Sicherheit zertifiziert. Bereits jetzt stammen rund die Hälfte der über 80 Apps im Ctrlx-Store von Drittanbietern, Tendenz steigend.

IT-Sicherheit als integraler Bestandteil

Industriesysteme geraten zunehmend ins Visier von Cyberangriffen. Bosch Rexroth verfolgt daher einen „Secure-by-Design“-Ansatz: Das Betriebssystem wurde mit Fokus auf Sicherheit von Grund auf neu entwickelt. Sicherheitsupdates lassen sich zentral verwalten und über Tausende Geräte hinweg ausrollen. Die Plattform erfüllt bereits IEC 62443 Level 2, Level 3 ist in Vorbereitung. Partner wie Txone unterstützen bei der Entwicklung von Intrusion Detection-Systemen.

Steffen Winkler
Steffen Winkler, CSO Business Unit Automation bei Bosch Rexroth, präsentierte auf der PMC2025 das offene Ctrlx-System. (Bild: Packaging Machinery Conference)

Besonderes Augenmerk gilt dem EU-weiten Cyber Resilience Act, der Hersteller verpflichtet, Sicherheitsrisiken systematisch zu erfassen, Updates bereitzustellen und Schwachstellen zügig zu beheben. Das Beispiel Bosch Rexroth zeigt, wie durchgängige Sicherheitsprozesse von der Entwicklung bis zum Feldbetrieb implementiert werden können.

Ein vollständiger Automatisierungsbaukasten

Ctrlx Automation ist mehr als nur ein Steuerungssystem – es umfasst ein komplettes Portfolio an Hardware, Software, Antrieben, Schnittstellen und Motion Control-Funktionalitäten. Die Modularität ermöglicht eine hohe Anpassungsfähigkeit. So lassen sich auch anspruchsvolle Anwendungen wie Transportlösungen in der Verpackungstechnik oder mobile Roboter mit vorintegrierten Lösungspaketen schnell realisieren.

Durch sogenannte Solution Sets, vorgefertigte Kombinationen aus Hardware, Software und Engineering-Templates, können Anwendungen wie Schlauchbeutelmaschinen oder autonome Transportsysteme mit geringem Aufwand in Betrieb genommen werden.

Ein Ökosystem statt Insellösungen

Kern des Ctrlx-Ansatzes ist die konsequente Offenheit für Drittanbieter. Über das Partnernetzwerk „Ctrlx World“ beteiligen sich inzwischen über 100 Unternehmen mit eigenen Hard- und Softwarelösungen. Die Integration erfolgt nahtlos, sei es durch standardisierte Schnittstellen, APIs oder über den Ctrlx Data Layer.

Das Ziel ist ein Plug-and-Play-Prinzip analog zu Apple Homekit oder USB: Sensoren, Aktoren und Softwarebausteine unterschiedlicher Hersteller lassen sich einfach einbinden und über standardisierte Tools konfigurieren. Der große Vorteil für Anwender: eine erweiterbare Plattform mit echtem Mehrwert durch Interoperabilität.

Langfristige Verfügbarkeit für nachhaltige Investitionen

Langlebigkeit ist ein essenzielles Kriterium für Investitionen im Maschinenbau. Bosch Rexroth garantiert eine Mindestverfügbarkeit seiner Komponenten über 25 Jahre – bestehend aus zehn bis 15 Jahren aktiver Verkaufsphase und mindestens zehn Ersatzteilversorgung. Auf Wunsch lässt sich diese Frist sogar verlängern. Der Nachhaltigkeitsaspekt liegt auf der Hand: Wer seine Systeme lange nutzen kann, spart Ressourcen und reduziert den CO₂-Fußabdruck.

Mit Ctrlx Automation stellt Bosch Rexroth eine Plattform zur Verfügung, die zentrale Herausforderungen der Industrie 4.0 adressiert: Offenheit, IT-Sicherheit, Softwarezentrierung, Flexibilität und Nachhaltigkeit. Damit leistet das Unternehmen nicht nur einen Beitrag zur Stärkung des Standorts Europa in der Automatisierungstechnik, sondern definiert auch neue Standards für die Zukunftsfähigkeit des Maschinenbaus.

Ingo Hamel
Rovema-CTO Ingo Hamel sprach über die Steuerungsumstellung im Unternehmen und erklärte, weshalb die Wahl auf Ctrlx fiel. (Bild: Packaging Machinery Conference)

Rovema und Ctrlx: ein Praxisbericht über die Steuerungsumstellung

Wie das in der Praxis aussehen kann, zeigte eindrucksvoll Inog Hamel, CTO beim Maschinenbauer Rovema im anschließenden Vortrag. Im Verpackungsmaschinenbau ist Langlebigkeit keine Ausnahme, sondern die Regel, so Hamel. Viele Anlagen laufen über 20 Jahre zuverlässig im Betrieb. Für Rovema bedeutet das: Steuerungs- und Automatisierungskonzepte müssen nicht nur technisch aktuell, sondern auch langfristig wart- und updatefähig sein. Vor diesem Hintergrund hat das Unternehmen seine hauseigene Steuerung „Paccontrol“ durch ein neues System ersetzt: Ctrlx von Bosch Rexroth.

Rovema ist seit über 65 Jahren im Markt aktiv und liefert heute weltweit Schlauchbeutel- und Endverpackungsmaschinen. Mit rund 900 Mitarbeitenden und über 30.000 gelieferten Maschinen – von denen rund 7.500 aktiv im Service sind – zählt Rovema zu den etablierten Größen im Segment. Neben dem Stammsitz in Fernwald betreibt das Unternehmen Standorte in den USA, Indien und den Niederlanden.

Steuerung als Differenzierungsmerkmal

Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal war bislang die eigene Steuerungsplattform „Paccontrol“. Diese basierte bereits seit 1996 auf Industrie-PCs und seit 2009 auf Linux. Ergänzt durch eigens entwickelte HMI- und Motion-Komponenten bot die Plattform ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit. Doch neue Anforderungen an Skalierbarkeit, Cybersicherheit, Schnittstellenoffenheit und Zukunftsfähigkeit machten einen grundlegenden Technologiewechsel notwendig.

Ctrlx: Warum Rovema umstieg

Mit Ctrlx Automation von Bosch Rexroth entschied sich Rovema für ein System, das auf offenen, industriellen Standards basiert und gleichzeitig bestehendes Know-how integriert. Kernpunkte der Entscheidung waren:

  • Skalierbarkeit: Von der kompakten Hardware-Variante „Ctrlx Core“ bis zur reinen Betriebssystemlösung „Ctrlx OS“ deckt das System unterschiedlichste Maschinenklassen ab.

  • Offenheit: Die Linux-basierte Plattform mit App-Struktur erlaubt die Integration eigener Tools und externer Anwendungen.

  • Sicherheit: Ctrlx erfüllt die Anforderungen des Cyber Resilience Acts und unterstützt eine differenzierte Update-Strategie.

  • Legacy Support: Durch die Möglichkeit, bestehende Motion- und HMI-Komponenten einzubinden, ist ein schrittweises Retrofit im Feld möglich – ein klarer Vorteil für Kunden mit Altanlagen.

Zukunftssicher dank Rückwärtskompatibilität

Ein entscheidender Aspekt bei der Umstellung war die Sicherstellung der Investitionssicherheit für Bestandskunden. Bereits verbaute Umrichter mit Multiprotokollfähigkeit lassen sich softwareseitig auf den neuen Ethercat-Bus umstellen. Der Schaltschrank wird lediglich um den neuen „Ctrlx Core“-Industrie-PC ergänzt und durch passende Koppler erweitert – ohne tiefgreifende Eingriffe in die Maschinenhardware.

Char5t Rovema und Ctrlx-System
Darum entscheid sich Rovema für Ctrlx. (Bild: Rovema)

Ein Beispiel aus der Praxis: Ein Schlüsselkunde mit erhöhtem Sicherheitsbedarf aufgrund regulatorischer Anforderungen (Stichwort NIS 2) erhält heute eine Anlage mit aktueller Steuerung – und das vertraglich zugesicherte Recht auf ein Update auf Ctrlx im Jahr 2027. Diese Upgrade-Fähigkeit über Jahrzehnte hinweg ist gelebte Investitionssicherheit.

Herausforderungen im Update-Management

Mit wachsender Systemoffenheit steigen jedoch auch die Anforderungen an das Firmware- und App-Management. Sicherheitsupdates müssen bewertet, verteilt und dokumentiert werden. Das ist eine Aufgabe, die künftig nicht nur Maschinenbauer, sondern auch deren Kunden stärker fordern wird. Besonders kleinere Betreiber mit geringem IT-Personal sind auf verständliche, zuverlässige Update- und Patch-Konzepte angewiesen.

Ctrlx bietet hier Vorteile durch App-Logik, Remote-Update-Fähigkeit und Versionsverwaltung. Dennoch bleibt die Bewertung, welche Version wann und in welcher Kombination eingesetzt wird, eine anspruchsvolle Aufgabe.

Geschäftspotenziale durch Lifecycle-Orientierung

Rovema setzt bereits heute 45 % des Umsatzes im Bereich Lifecycle Services um – Tendenz steigend. Die Möglichkeit, Bestandsmaschinen mit vertretbarem Aufwand auf den aktuellen Stand zu bringen, ist nicht nur ein Serviceversprechen, sondern auch ein differenzierendes Geschäftsmodell. Aktuell befindet sich Rovema mit ersten Pilotkunden in der Implementierungsphase.

Mit der Einführung von Ctrlx bleibt Rovema seiner Philosophie treu: technisch führend, kundennah und langfristig planbar. Das System vereint Offenheit mit Stabilität, Integration mit Sicherheit – und bietet damit eine Antwort auf die wachsenden Anforderungen im Maschinen- und Verpackungsanlagenbau.

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