Milram-Boykott: Wenn Käse zur Provokation wird

Verpackung mit Vielfalt? Shitstorm statt Applaus

Milram Käse-Edition
Seit wenigen Wochen im Regal und Thema in den Medien: die Milram Käse-Edition.

Mit der Verpackung für eine Käse-Edition hat Milram einen Shitstorm ausgelöst: Die Illustrationen von Menschen, die Vielfalt und Offenheit symbolisieren sollen, stoßen bei manchen Menschen auf Ablehnung bis zu Hasskommentaren. Wir haben mit dem Designer Nils Lehmler gesprochen, um zu verstehen, was da gerade passiert.

Viele Kommentare auf Facebook, X oder den digitalen Kanälen mancher Medien sind ausgesprochen negativ. „Dieses Aufzwingen vorn irgendwelchen Ideologien geht mir so dermaßen auf die Nerven“, schreibt beispielsweise Sebastian Koch. Kürzer ist der Post von Christine Mücher: „Wird boykottiert fertig“. Ljiljana Helm ergänzt: „Ich lasse mein Gehirn nicht Waschen“. Ein anderer Kommentator öffnet sogar die Rassismus-Schublade: „Afrikanisch bewerben, dann im Urwald verkaufen“.

Seitdem der Käsehersteller Milram mit seiner Käse-Edition in den Regalen der Supermärkte präsent ist und die bunten Verpackungen bewirbt, geht es rund in der digitalen Welt. Sie werden von nicht wenigen Menschen als persönlicher Angriff auf die eigene Wertewelt begriffen und mit Häme und Hass übergossen. Als wäre das nicht genug, gibt es Gruppen, die die Käseverpackungen für den eigenen Kulturkampf instrumentalisieren: gegen eine linke, woke Ideologie. So unter den Hashtags #MilramBoykott und #gowokebroke.

AfD-Banner
Auch AfD-Politiker Rolf Wiedenhaupt instrumentalisiert die Empörung im Web.

Wenig überraschend, dass auch Politiker der rechten AfD als Trittbrettfahrer aufgesprungen sind. Mit dabei: Rolf Wiedenhaupt, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. Auf einem Banner mit ihm ist zu lesen: „Die Bürger wollen Käse. Keine Belehrung. Die Menschen haben genug von dieser Umerziehung“.

Ob Milram mit den Shitstorm und den Boykottaufrufen gerechnet hat? Wohl kaum. Das Ziel ist es vielmehr, mit der Aktion und der Edition jüngere Käufer und Käuferinnen zu erreichen. Dafür spricht das komplette Kampagnenkonzept mit Fokus auf Social Media einschließlich dem Einsatz von Influencern.

„Die Social Media-Analyse zeigt sehr eindeutig, dass die Kommentare einer bestimmten, rechten, rechtskonservativen Blase zuzuordnen sind. Impfgegner und bekannte Sexisten tummeln sich ebenfalls in der Blase“, wird Milram-Kommunikationschef Oliver Bartelt auf wuv.de zitiert. „Daneben arbeiten sich auch entsprechende politische Kreise an einer Käseverpackung ab – wenn es nicht so traurig wäre, könnte man darüber lachen.“

Indes: So richtig überraschend ist der digitale Aufruhr nicht, sagt Nils Lehmler, Creative Director bei der Frankfurter Agentur Milk.

Nils Lehmel
Nils Lehmler ist seit 2014 bei der Frankfurter Food Packaging Design-Agentur Milk.

Herr Lehmler, die Aufregung über die Milram-Verpackungen in den Medien ist groß. Sie werden von vielen abgeurteilt und sogar politischinstrumentalisiert. Überrascht von den heftigen Reaktionen?

Lehmler: Keineswegs. Verpackungsdesign soll Produkte emotionalisieren und Reaktionen auslösen. Marken, Logos und Produkte haben einen hohen emotionalen Stellenwert in unserer Konsumgesellschaft und sind – vergleichbar mit populären Filmen oder Serien – zunehmend identitätsstiftend geworden. Heute ist es die Milram-Käseverpackung, morgen das Redesign eines Markenlogos und nächste Woche der zweideutige Slogan einer Werbekampagne. Lautstärke und Meinung sind nicht nur in der Politik gerade wortwörtlich tonangebend. Dass eine Käseverpackung nun zu einem weiteren Kristallisationspunkt des Kulturkampfes geworden ist, scheint vor diesem Hintergrund wenig überraschend.

Wie verändert sich die Rolle von Verpackungsdesign in einer zunehmend werteorientierten Konsumwelt?
Lehmler: Verpackungsdesign ist einem ständigen Wandel unterworfen und passt sich dem Markt und damit der Gesellschaft an. Designer und Designerinnen sollten deshalb immer ganzheitlich denken. Verpackungen müssen auf kleinster Fläche komplexe Marken-Narrative schnell und einfach kommunizieren. Mit der richtigen Strategie werden Konsumeierende emotional, rational und wertebasiert angesprochen. Wer sich heute darauf konzentriert, Verpackungen nur hübsch zu machen, verpasst die Chance, Glaubwürdigkeit und echte Differenzierung zu erzeugen.

Und wie viel Haltung darf oder sollte Verpackung zeigen? Wo liegen die Grenzen?
Lehmler: Natürlich liegen die Grenzen zunächst im rechtlichen Rahmen, also im gesetzlich Erlaubten. Darüber hinaus hängt sehr viel von der Art der Produkte und der Ausrichtung der jeweiligen Marke ab. Welche Haltung im Packaging Design zum Ausdruck gebracht wird, sollte bereits vor der Entwicklung des Verpackungsdesigns strategisch bewertet und reflektiert entschieden werden. Es ist eine Frage der Markenpositionierung oder speziell konzipierter Kampagnen, eine Tonalität, einen Slogan oder andere Inhalte vorzugeben, die sich am Ende auf der Verpackung wiederfinden. Wo dabei die Grenzen liegen, verraten uns die Konsumenten und Konsumentinnen – idealerweise im Testing, spätestens aber an der Kasse.

Milk.: Verpackungsdesign als Königsdisziplin

Milk. ist eine Food Branding & Packaging Design Agentur mit Sitz in Frankfurt. Seit 15 Jahren gestaltet das Team für große Marken wie Nestlè, Bauer oder Ritter Sport, aber auch für junge Startups mit frischen Ideen. Als „Partner des Wandels“ mit eigenem Innovation Lab verfolgt Milk einen holistischen Ansatz in der Verpackungsentwicklung und unterstützt Kunden mit kreativem Input und fundierten Fachwissen von der ersten Konzeptideen bis zum finalen Auftritt am Point of Sale.

Was macht ein Packaging polarisierend – gestalterisch wie inhaltlich?
Lehmler: Eines der primären Ziele von Packaging Design ist es, Gefühle zu wecken. Durch die richtigen Farben, Formen und Worte werden jene Personen angesprochen, die man mit seinem Produkt gezielt erreichen und für sich gewinnen möchte. So gesehen wohnt jeder kleinen Design-Entscheidung in der Verpackungsgestaltung ein polarisierender Gedanke inne. Je spitzer die Zielgruppe, desto intensiver muss auch das Design gelernte Codes bedienen oder mit Klischees und Denkmustern brechen, um Disruption zu erzielen. Jenseits der visuellen Ausdrucksmittel gibt es viele Möglichkeiten, durch das Aufgreifen, Zitieren oder Andeuten von kontroversen Inhalten für starke Polarisierung und jede Menge Aufmerksamkeit zu sorgen.

Stellt sich die Frage, ob man als Designer antizipieren, ob ein Packaging provozieren könnte und wie man damit umgeht?
Lehmler: Zu verstehen, wann, wie und warum eine Verpackung Gefühle bei Betrachtenden auslöst, ist eine Kernkompetenz von ausgebildeten Designerinnen. Nur wenn man versteht, wie durch das Zusammenspiel der Designelemente Wirkung entsteht, kann man diese gezielt einsetzen. Das unterscheidet die strategisch durchdachte Anwendung von Design von einer beliebigen Gestaltung. Um die Probleme, Potenziale und Qualitäten eines Packagings richtig einschätzen zu können, muss eine Designerin nah an der Marke sein, aber auch den Blick weiten. Konsumenten- und -Konsumentinnen-Verhalten, Trends, Marktentwicklung, Wettbewerbsanalyse – all diese Aspekte sind notwendig, um eine erfolgreiche, funktionale und, falls erforderlich, polarisierende Verpackung zu gestalten. Die inhaltliche Verantwortung für eine Verpackung liegt oftmals nicht oder nur sehr bedingt bei den ausführenden Designern und Designerinnen. Wenn beim Erhalt oder der Umsetzung eines Briefings Bedenken aufkommen, sollten diese mit dem Marketing oder Management der Kundinnen, notfalls mit den Rechtsabteilungen, abgeklärt und geregelt werden.

Tragen Packaging Designer eine gesellschaftliche Verantwortung oder ist das primär Aufgabe des Markenartiklers und des Marketings?
Lehmler: Auf jeden Fall sollten Designer und Designerinnen sich der Tragweite und Relevanz ihrer Arbeit bewusst sein. Sensible Themen wie Kinderprodukte, Alkohol, Sexualität oder Nachhaltigkeit erfordern eine präzise und reflektierte Auseinandersetzung. Schließlich finden sich die visuellen Entscheidungen, die wir treffen, oft tausendfach auf Frühstückstischen, in Kühlschränken, Regalen oder eben auch in Kinderhänden wieder. Das ist – wie ich finde – ein besonderer Reiz unserer Branche und zugleich eine besondere Verantwortung. Diese Gestaltungsmacht sollte immer dazu eingesetzt werden, Verpackungen sowohl kommerziell erfolgreich als auch ethisch vertretbar zu machen.

Gibt es aus Ihrer Sicht eine ethische Leitlinie für Packaging Design?
LehmIer: Ich denke, dass es eine ganze Reihe von ethischen Fragestellungen gibt, die uns in unserer täglichen Arbeit als Gestaltende und Kreative begleiten – etwa Nachhaltigkeit, Transparenz, Fairness oder kulturelle Sensibilität. Es gibt zwar einige Bestrebungen hier allgemein gültige Richtlinien zu formulieren, die aktuelle Auseinandersetzung mit dem Thema nehme ich aber stark unternehmensspezifisch wahr. Wir arbeiten mit unseren Kunden nicht nur an Markenstrategie, visuellen Codes und Umsetzung auf dem Packaging, sondern widmen uns mit unserem Innovation Lab und seinen Services auch Zukunftsfragen, wie proaktiver Implementierung von EU-Regulatorik oder der Entwicklung innovativer, nachhaltiger Produkt- und Verpackungskonzepte. Dabei spielen aktuelle Kulturfragen immer eine Rolle. Ein kritischer, beratender und informierter Umgang mit unseren Kunden und Kundinnen sowie und Partnern und Partnerinnen ist uns deshalb besonders wichtig.

Wird Packaging in Zukunft stärker politisch oder wieder neutraler?
Lehmler: Ich glaube, es gibt wenige Indizien dafür, dass unsere Gesellschaft auf dem Weg ist, rationaler und faktenbasierter zu werden. In Verbindung mit der Reichweite und Werbewirksamkeit, die über gezielte Provokationen und „Shitstorms“, besonders in den sozialen Medien, erzielt werden können, sehe ich hier einen Nährboden für weitere Marketingstunts und stark polarisierende Aktionen auch im Packaging-Design-Bereich. Trotzdem werden diese weiterhin nur einen kleinen Teil eines riesigen Mainstream-Marktes ausmachen, wenn wir den stationären Handel betrachten. Im E-Commerce- und Start-up-Bereich platzieren sich junge Marken dagegen schon seit langer Zeit mit einem sehr viel stärkeren Fokus auf politische und soziokulturelle Nischen. Online führt oft kein Weg an einer spitzen und polarisierenden Positionierung vorbei, um sich abzuheben und aufzufallen.

Vielen Dank fürs Gespräch.