Kreisläufe mit Unterstützung aus der Natur

Erfolge im enzymatischen Kunststoffrecycling

PET-Obstverpackung
Von einer PET-Obstverpackung (links) bleiben nach der Behandlung mit dem Enzym PHL7 nur Farbstoff und Reste von Schnittkanten.

Die Entwickler von chemischen Verfahren zum Kunststoffrecycling suchen sich mittlerweile auch Inspiration und Unterstützung in der Natur. Aber wie baut man etwas auf natürliche Art ab, das in der Natur nicht vorkommt?

Reaktor im Labor zum enzymatischen Zersetzen einer PET-Verpackung.
Reaktor im Labor zum enzymatischen Zersetzen einer PET-Verpackung.

Beim Recycling von Kunststoffen, insbesondere moderner Hochleistungsmaterialien, gibt es verschiedene Hürden zu überwinden: Zusatzstoffe, Materialgemische, Farbstoffe und Verunreinigungen erschweren beispielsweise die Produktion von Rezyklaten, die in ihren Eigenschaften Neuware ebenbürtig sind. Ein alternativer Ansatz ist darum das chemische Recycling, bei dem Kunststoff-Polymere in Monomere zurück-überführt werden. Mit diesen einfach aufzureinigenden Bausteinen als Ausgangsstoff lässt sich nicht nur neuwertiges, sondern chemisch tatsächlich neues Material herstellen. Bisherige Verfahren zum chemischen Recycling nutzen jedoch in der Regel hohe Temperaturen, hohen Druck oder sogar beides, haben also einen vergleichsweise hohen Energiebedarf. Um gleichzeitig wirtschaftlich und nachhaltig zu sein, sind sie also auf preisgünstige Energieversorgung aus regenerativen Quellen angewiesen. Diese ist noch nicht überall ausreichend verfügbar und insbesondere für Anwendungen im großen Maßstab oft nicht ausreichend.

Biokatalysatoren für jede Reaktion

Plastikschale
Die durch maschinelles Lernen optimierte Fast Petase zerlegt PET-Endprodukte wie diese Plastikschale in weniger als 48 Stunden in ihre Ausgangsstoffe.

Um den Energiebedarf chemischer Reaktionen zu senken, sind Katalysatoren ein etabliertes Mittel. Mittlerweile ebenso etabliert ist der biotechnologische Ansatz, geeignete Enzyme als hochwirksame Katalysatoren einzusetzen. Für praktisch jede biochemische Reaktion, und damit auch für viele ähnliche Reaktionen, gibt es ein entsprechendes Enzym – also einen Biokatalysator – das diese Reaktion umsetzt. Aber gelingt das auch für synthetische Hochleistungskunststoffe, die in der Natur gar nicht vorkommen?

Die Antwort lautet „Ja.“ Getreu dem vielfach zitierten Grundsatz aus dem Film Jurassic Park – „Die Natur findet immer einen Weg“ – existieren Bakterien, die mit ihrer Enzymausstattung auch Kunststoffe abbauen können. Diese galten zunächst als Hoffnungsträger, um die biologische Abbauzeit von Kunststoffabfällen in den Ozeanen zu beschleunigen. Mittlerweile liegt die Aufmerksamkeit verschiedener Forschungsgruppen aber auch auf dem Nutzen für chemische, genauer gesagt biochemische Recyclingverfahren. Allerdings waren die gefundenen Bakterien und deren Enzyme bislang zu empfindlich oder nicht leistungsfähig genug für den großtechnischen Einsatz. In diesem Bereich haben jedoch zuletzt gleich mehrere Forschungsgruppen deutliche Fortschritte und Erfolge gemeldet.

So haben Forschende um Dr. Christian Sonnendecker von der Universität Leipzig ein Enzym, das den verbreiteten Kunststoff PET geradezu in Rekordzeit in seine Monomere zerlegt. Im Laborversuch baute das Enzym PHL7 PET-Proben in nur 16 Stunden zu 90 % ab. Den Wissenschaftlern zufolge ist es damit rund doppelt so schnell wie das bereits 2012 in Japan entdeckte Enzym Hydrolase LCC, das bislang als Gold-Standard in diesem Bereich gilt. Eine Plastikschale für Obst aus dem Supermarkt löste PHL7 in weniger als 24 Stunden in die PET-Bausteine Terephthalsäure und Ethylenglycol auf. Dies gelang in wässriger Lösung bei Temperaturen unter 70 °C – ein deutlicher Vorteil gegenüber den energieaufwendigen chemischen Recyclingverfahren.

Kunststoffrecycling: Der große Überblick

Mann mit Kreislaufsymbol auf dem T-Shirt

Sie wollen alles zum Thema Kunststoffrecycling wissen? Klar ist, Nachhaltigkeit hört nicht beim eigentlichen Produkt auf: Es gilt Produkte entsprechend ihrer Materialausprägung wiederzuverwerten und Kreisläufe zu schließen. Doch welche Verfahren beim Recycling von Kunststoffen sind überhaupt im Einsatz? Gibt es Grenzen bei der Wiederverwertung? Und was ist eigentlich Down- und Upcycling? Alles was man dazu wissen sollte, erfahren Sie hier.

Enzyme von ungewöhnlichen Fundorten

So ungewöhnlich wie die hohe Aktivität des Enzyms erscheint auch der Fundort, an dem es isoliert wurde: ein Komposthaufen auf dem Leipziger Südfriedhof. Dies ist allerdings nur teilweise überraschend, erklärte Dr. Christian Sonnendecker im Interview mit dem MDR: Die Kunststoff-zersetzenden Enzyme basieren auf Werkzeugen der Bakterien, um pflanzliche Polymere abzubauen. Wo viel pflanzliches Material verrottet, besteht also auch eine höhere Wahrscheinlichkeit, die gewünschten Kunststoff-zerlegenden Enzyme zu finden.

An einem ebenfalls unerwarteten Ort wurden thailändische Forschende um Chayasith Uttamapinant vom Vidyasirimedhi Institute of Science and Technology in Rayong und Worawan Bhanthumnavin von der Chulalongkorn University in Bangkok fündig. Normalerweise als vielversprechend für die Suche nach Kunststoff-verdauenden Bakterien gelten Orte, an denen auch viel Kunststoff vorliegt – etwa Mülldeponien oder auch die großen Plastikmüll-Strudel in den Ozeanen. Das Team aus Thailand entdeckte jedoch ein PET-spaltendes Enzym namens MG8 in menschlichem Speichel. Produziert wird es dort von Mikroorganismen, die auf natürliche Art im Speichel vorkommen. Die Wissenschaftler vermuten, dass sich diese Mikroorganismen an Mikroplastik angepasst haben, da Menschen viele in Kunststoff verpackte Lebensmittel konsumieren. MG8 zeichnet sich dadurch aus, dass es sich auch in denaturiertem Zustand isolieren und anreichern lässt, dann aber einfach zu renaturieren ist und wieder einsatzfähig ist. Diese Eigenschaft erleichtert den großtechnischen Einsatz deutlich.

Nicht ausschließlich auf die Natur verlassen wollten sich Hal Alper und seine Mitarbeitenden von der University of Texas in Austin. Sie nutzten maschinelles Lernen, um ein bekanntes PET-spaltendes Enzym zu modifizieren. Das Ziel war, die bekannten Schwachpunkte existierender Enzyme zu überwinden, namentlich deren Empfindlichkeit gegenüber Temperatur und pH-Schwankungen sowie langsame Reaktionsgeschwindigkeiten. Das erhaltene Enzym namens Fast-Petase erwies sich als stabil und aktiv im Bereich von 30 bis 50 °C, und konnte unbehandelte PET-Abfälle in weniger als einer Woche in Monomere zerlegen. Auch hier sehen die Forschenden das Potenzial für einen wirtschaftlichen industriellen Einsatz.

Zusammengenommen zeigen diese und weitere Forschungsergebnisse der letzten zwei Jahre, dass Enzyme als Werkzeuge im chemischen Recycling nicht mehr von der Hand zu weisen sind. Neben den bereits entwickelten chemischen Verfahren sowie dem mechanischen Recycling können sie eine wirtschaftliche Ergänzung darstellen, um Kunststoffkreisläufe zu schließen.

Bildergalerie: Das zweite Leben einer PET-Flasche

Grafik PET-Recycling
Der PET-Flaschenkreislauf ist bereits ausgesprochen effizient: Durch das Pfandsystem konnten 97 % des PET eingesammelt und wieder aufgearbeitet werden. Dieses Recycling-Material ist sortenrein und lässt sich auch als Lebensmittel-Verpackung wieder einsetzen. Doch aufgrund seiner Eigenschaften ist das Material auch ein begehrtes Produkt auf den Sekundär-Kunststoffmärkten. Rund 55 Prozent des Recycling-PET kaufen die Hersteller von Folien, Textilien und Verpackungen für Putzmittel oder Kosmetik und verwenden es für ihre Produkte.
Rucksack und PET-Flaschen
Invilus ist ein junges Familienunternehmen, mit Hauptsitz in Heidelberg, welches vor allem Rucksäcke aus recycelten Plastikflaschen konzipiert und vertreibt.
weißer und schwarzer Druckkugelschreiber auf einem Buch,
Grässlin Kunststoffe, Sax Polymers und Schneider Schreibgeräte haben aus rPET eine Druckkugelschreiber entwickelt, der als erstes Schreibgerät mit dem Blauen Engel ausgezeichnet wurde. Der Schaft, der in drei Farben gefertigt wird, besteht zu 92 % aus Rezyklat. Das Minenröhrchen der nachfüllbaren Großraummine wird ebenfalls aus PCR-Rezyklat hergestellt.
Klebebandrollen von Tes
Tesa, Hamburg, entwickelt ein neues Verpackungsklebeband mit Trägermaterial aus recyceltem Post-Consumer-PET (rPET). Der Träger des Klebebandes besteht zu 70 % aus rPET, der verwendete Acrylatklebstoff ist wasserbasiert. Der Produktionsprozess ist komplett lösungsmittelfrei, für die Herstellung werden gebrauchte PET-Produkte, einschließlich Flaschen, recycelt und als Rohstoff für das Trägermaterial verwendet.
Blick in einen Lüfter
Das Petrochemieunternehmen Sabic hat ein neues Kunstharz entwickelt, dessen Ausgangsmaterial aus dem Meer eingesammelte PET-Flaschen sind.Mittels chemischem Verfahren werden daraus neue PBT-Harze. Das neue Material ergänzt das Portfolio an chemisch recycelten LNP Elcrin IQ-Materialien, die zur Kreislaufwirtschaft beitragen sollen und gleichzeitig als potenzieller Ersatz für PBT-Neukunststoffe dienen. Angewandt werden soll das upcycelte Polymer beispielsweise in der Unterhaltungselektronik, wie etwa bei Lüftergehäusen in Computern und Autositzen, sowie für elektrische Steckverbinder und Gehäuse.
Weißes Auto mit Vorderreifen
Als erster Reifenhersteller führt Continental recyceltes Polyestergarn in die Serienproduktion von Pkw-Reifen ein.Das Garn wird mit einem neuen Verfahren aus PET-Kunststoffflaschen gewonnen. Der Werkstoff wird im ersten Schritt in ausgewählten Dimensionen von Sommerreifen sowie in Ganzjahresreifen eingesetzt. So wird das herkömmlich verwendete Polyester in der Karkasse der Reifen vollständig ersetzt. Bei einem Satz Standard-Pkw Reifen kommen rund 40 recycelte PET-Flaschen zum Einsatz. Der Reifenhersteller hatte die eigens entwickelte Contire.Tex-Technologie im September 2021 erstmals vorgestellt. Mit ihr kommt Polyestergarn zum Einsatz, das ohne jegliche chemische Zwischenschritte aus gebrauchten PET-Flaschen gewonnen wird, die nicht anderweitig wiederverwertet werden.
PET-Flaschen und Auto-Sitzbezüge
In der vierten Generation des Audi A3 setzt der Automobilhersteller Audi erstmals auf Sitzbezüge aus Sekundärrohstoffen. Bis zu 89 % des verwendeten Textils bestehen dem Hersteller zufolge aus recycelten PET-Flaschen, die zu Garn verarbeitet werden. Die Stoffe sollen dabei sowohl optisch als auch haptisch die gleichen Qualitätsstandards wie klassische Textilbezüge gewährleisten. Insgesamt werden pro Sitzanlage bis zu 45 PET-Flaschen à 1,5 Liter verwertet. Hinzu kommen weitere 62 PET-Flaschen, die für den Teppich im Fahrzeug recycelt wurden. Auch weitere Komponenten des Interieurs bestehen vermehrt aus Sekundärrohstoffen, so zum Beispiel Dämmstoffe und Dämpfungsbauteile, die Seitenverkleidung des Kofferraums, der Ladeboden und die Einlegematten. Die Sitzbezüge sind jedoch noch nicht voll und ganz aus recyclingfähigem Material gefertigt
Waldarbeiter in Arbeitskleidung
Die Fristads Green High Visibility-Kollektion wird aus Bio-Baumwolle und Polyester aus recycelten PET-Flaschen hergestellt. Sie besteht aus einer breiten Palette von Kleidungsstücken, die es Berufstätigen in den Bereichen Straßenbau, Bauwesen, Transport und Logistik ermöglichen, sich von Kopf bis Fuß in hoch sichtbarer Kleidung mit geringerer Umweltbelastung zu kleiden - ohne dabei Kompromisse bei Sicherheit und Qualität einzugehen. Mit nachhaltigem 4-Wege-Stretch und Rippstrick-Einsätzen an der Taille bieten diese Kleidungsstücke viel Komfort bei geringerer Umweltbelastung als normale Warnschutzkleidung.
Taucheruhr mit Ziffernblatt aus rPET
Bei derAquis Date Upcyclehandelt es sich um eine Version einer bereits erhältlichen Taucheruhr von Oris mit einem farbenfrohen Zifferblatt aus rezyklierten PET-Kunststoff, der aus aus dem Meer gesammelten PET-Flaschen stammt. Jede Uhr der Sonderedition ist ein Unikat, da das Recylingverfahren zufällige Muster erzeugt und darum keine zwei Zifferblätter gleich sind.
Tiefziehfolien aus reinem rPET lassen sich zu lebensmitteltauglichen Behältern, wie Schüsseln, Blister oder Eierbehälter formen.
Gemeinsam mit Amut hat Erema die erste Extrusionsanlage für lebensmitteltaugliche PET-Folien in Albany, Neuseeland, für Alto Plastic Packaging in Betrieb genommen. Zum Einsatz kommt hier Eremas Vacurema PET-Recyclingtechnologie, kombiniert mit der Amut Inline Sheet Produktionstechnologie. Die Schmelze kommt direkt von der Vacurema 1716 T Basic ohne den Umweg über die Granulierung in die Amut-Anlage. Das Post-Consumer-PET-Material wird or der Extrusion im Vakuumreaktor der Erema-Anlage dekontaminiert und vorgetrocknet, bei einem Durchsatz von bis zu 1.500 kg pro Stunde. Nach der Hochleistungsfiltration durch einen Erema SW-RTF Rückspülfilter und eine Online-IV-Messung gelangt die Schmelze direkt in die Inline Sheet Anlage von Amut. Dort wird sie zu einschichtigen rPET-Tiefziehfolien von 0,15 bis 1,2 mm Dicke verarbeitet. Die Folien sind nicht nur 100 % lebensmittelkonform, sie erfüllen auch die Vorschriften der FDA für Lebensmitteltauglichkeit. Die rPET-Tiefziehfolien werden dann zu Schalen und Lebensmittelbehältern weiterverarbeitet.
Garnrollen in der Fabrik
Der Türkische Garnproduzent Korteks mit Sitz in Bursa stellt seit Mai 2021 auf einer Starlinger Recyclinganlage Polyesterfilamentgarne aus Recyclingmaterial her. Die Anlage hat eine Produktionskapazität von 7.200 t/a und verarbeitet sauberen Produktionsabfall des Garnherstellers und gewaschene Post-Consumer PET-Flaschenflakes im Verhältnis 1:1. Die hergestellten Garne werden in vielen Bereichen eingesetzt, zum Beispiel für Heimtextilien, Bekleidung, Textilien für den Kraftfahrzeugbereich oder für Gartenmöbel.
Tasche aus recyceltem PET
Der Taschen- und Zubehörhersteller Dicota, Schweiz, treibt die Umstellung seiner Produkte auf ein nachhaltiges, umweltfreundliches Herstellen voran. Auch die Notebooktaschen, Sleeves und Rucksäcke der Base-Kollektion werden jetzt als Eco Base aus recycelten Kunststoffflaschen gefertigt. Dabei finden je nach Produkt bis zu 19 PET-Flaschen ein zweites Leben.
Frau springt durch Flaschen
Bereits zum zweiten Mal brachte Kaufland im März 2021 eine exklusive nachhaltige Sportkollektion aus recyceltem Polyester auf den Markt. Die Produkte entstehen aus gebrauchten PET-Flaschen, Fischernetzen und Kunststoffabfällen und sind komplett nach dem Global Recycling Standard (GRS) zertifiziert.
Outdoor-Jacken in einem Vaude-Store
Vaude, Hersteller von Outdoor-Produkten, lässt PET-Flaschen recyceln und zu Isolationen, Wattierungen, Fleece oder Polyester-Garn umwandeln. Ab Sommer 2024 verwendet der Hersteller auch neu auch Hartkunststoffteile aus recyceltem PET. Im Vergleich mit einer Neuproduktion ist es dem Unternehmen möglich, mit Recyclingmaterialien die Belastungen für die Umwelt fast zu halbieren.
PET-Flasche wird zu Lego-Steinen
Ein Team von mehr als 150 Mitarbeitern arbeitet daran, nachhaltige Lösungen für Lego Produkte zu finden. In den letzten drei Jahren haben Materialwissenschaftler und Ingenieure über 250 Variationen von PET-Materialien und hunderte anderer Kunststoffformulierungen getestet. Das Ergebnis ist ein Prototyp, der mehrere ihrer Qualitäts-, Sicherheits- und Spielanforderungen erfüllt – einschließlich der Kupplungsleistung. +Update+ Lego hat inzwischen angekündigt, nicht weiter auf rPET als Materialalternative für seine Produkte zu setzen. Alternative Ideen würden aber weiterverfolgt.
Schuhe am Strand
Einen ökologischen Fußabdruck hinterlassen – Lidl nimmt das wörtlich: Im Rahmen der von der Schwarz Gruppe initiierten Plastikstrategie „Reset Plastic“ launcht Lidl Deutschland Schuhe, für deren Obermaterial recycelte PET-Flaschen aus Asien eingesetzt werden.