Der Vortrag gab einen Ein- und Überblick zu aktuellen Entwicklungen, aber auch Herausforderungen, KI-Systeme der Verpackungsindustrie einzuführen.
Warum eigentlich Bioökonomie?
Die aktuellen linearen Formen von Produktion, Konsum und Entsorgung, verbunden mit einer stetig wachsenden Weltbevölkerung, führen zu einer zunehmenden Verknappung endlicher Ressourcen und damit zur Überschreitung planetarer Grenzen. So erreichte Deutschland seinen Overshoot Day, den Tag also, an dem unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit alle Ressourcen für ein Jahr verbraucht sind, im Jahr 2024 bereits am 2. Mai. Es braucht also eine Umstellung, hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise – einer Kreislaufwirtschaft.
Allerdings ist eine solche Kreislaufwirtschaft aufgrund von Verlusten bei der Kreislaufführung niemals ein völlig in sich geschlossenes System, sondern benötigt zu einem bestimmten Anteil immer wieder neue Rohstoffe. Und stammen diese von fossilen Ressourcen, ist die angestrebte Umweltneutralität nicht zu erreichen. Daher ist eine Kombination mit einer alternativen Wirtschaftsweise, der Bioökonomie, erforderlich, die auf mehrmals jährlich oder zumindest in einigen Jahren nachwachsenden Rohstoffen passiert.
Zur Wahrheit gehört aber auch: Die Nutzung biobasierter statt fossiler Rohstoffe führt nicht automatisch zu einer Entlastung der Umwelt, sondern eher zu einer Verschiebung der Umweltbelastungen. Zudem stellen die unterschiedlichen Eigenschaften biobasierter Materialien im Vergleich zu fossilen Materialien, insbesondere im Hinblick auf den Produktschutz bei Lebensmittelverpackungen, derzeit noch eine Herausforderung dar.
Künstliche Intelligenz als Enabler der Bioökonomie
Der Hauptfokus des Vortrags lag auf der Rolle der Künstlichen Intelligenz als Katalysator für die Transformation der Verpackungsindustrie. Schmid erklärte: „KI-Systeme nutzen Algorithmen und Modelle, um aus Daten zu lernen und sich zu verbessern. Es gibt verschiedene Ansätze zur KI, darunter maschinelles Lernen, neuronale Netze und regelbasierte Systeme.“
Unter dem Begriff „Künstliche Intelligenz“ versteht man allgemein die maschinelle Nachbildung kognitiver menschlicher Fähigkeiten, indem beispielsweise Entscheidungsstrukturen des Menschen durch Programmierung imitiert werden. Auch das maschinelle Lernen und die Fähigkeit zur Improvisation zählen dazu. Die Begriffe „Künstliche Intelligenz“, „Maschinelles Lernen“ und „Deep Learning“ werden dabei allerdings oft fälschlicherweise als Synonyme verwendet, weshalb Schmid diese erst einmal definierte:
Maschinelles Lernen umfasst Algorithmen, die mithilfe statistischer Methoden Computersysteme befähigen, aus Daten zu lernen und Entscheidungen zu treffen. Diese Algorithmen unterscheiden sich von traditionellen Computer-Algorithmen dadurch, dass die Regeln nicht explizit programmiert werden. Stattdessen lernen sie Muster und Gesetzmäßigkeiten aus den Daten, um Vorhersagen für neue Daten treffen zu können. Verschiedene Verfahren, beispielsweise künstliche neuronale Netze (KNN), kommen hierbei zum Einsatz. Diese Netze sind lose vom Aufbau des Gehirns inspiriert und sollen dessen Lernprozesse nachbilden. Sie bestehen aus miteinander verbundenen Neuronen, die basierend auf einem Eingangssignal durch interne Berechnungen ein Ausgabesignal erzeugen.
Deep Learning bezeichnet eine spezielle Klasse von künstlichen neuronalen Netzen mit besonders tiefen, komplexen Architekturen und vielen zu lernenden Parametern. Diese Unterscheidung ist wichtig, da die Komplexität und die Möglichkeiten, die vom System generierten Entscheidungspfade nachzuvollziehen, sehr unterschiedlich sind.
Methoden der schwachen KI sind im Gegensatz zur starken KI darauf ausgelegt, jeweils nur ein sehr spezifisches Problem zu lösen, wie das Erkennen von Objekten in Bildern, die Annotation von Wortkategorien in Texten oder die Vorhersage von Zeitreihen. Ein aktueller Trend zeigt, dass zunehmend Modelle eingesetzt werden, die für verschiedene Aufgaben trainiert werden können und dabei mehrere Modalitäten (Text, Bild und Video) unterstützen können. Diese Modelle werden als „Foundation Models“ bezeichnet.
Eine weitere, vergleichsweise erst kürzlich populär gewordene Kategorie von Algorithmen im Bereich des maschinellen Lernens sind generative Modelle. Diese ermöglichen es, sehr komplexe Verteilungen, beispielsweise von Bildern und Texten, zu modellieren, sodass von dieser gelernten Verteilung neue Instanzen generiert werden können. So können real aussehende Bilder oder korrekt formulierter Text (das wohl bekannteste Beispiel wäre Chat GPT) erzeugt werden, die den Verteilungen der Trainingsdaten entsprechen.
Praktische Anwendungen von KI in der Verpackungsindustrie
Schmid stellte mehrere konkrete Anwendungen der KI in der Verpackungsindustrie vor, beispielsweise beim Packmittelhersteller Klingele: Dieser hatte die Idee einer KI-basierte Plattform für eine wissensbasierte Serviceberatung, mit der beispielsweise Akteure der Verpackungsbranche durch die Bündelung von spezifischem Bilanzierungswissen bei der Erstellung von CO2-Bilanzen unterstützt werden. Die Entwicklung des Konzepts haben der Nachwuchsgruppenleiter für intelligente Kreislaufwertschöpfungssysteme, Dr. Dimitri Petrik von der GSAME Stuttgart (Graduate School of Excellence Advanced Manufacturing Engineering) und Florian Härer, Innovationsmanager bei Klingele, in einem Forschungsbeitrag beschrieben, der nun von der IEEE International Conference on Engineering, Technology and Innovation akzeptiert wurde. Das Konzept soll noch in diesem Jahr den nächsten Schritt in Richtung Marktreife gehen und im Rahmen eines Forschungsprojekts als Prototyp umgesetzt werden.
Ein weiteres Beispiel ist der Bereich Qualitätskontrolle. Denn KI-basierte Inspektionssysteme können fehlerhafte Verpackungen nicht nur „sehen“ und ausschleusen, sondern auch „verstehen“. KI kann aber auch beispielsweise den Energieverbrauch einer Anlage überwachen oder die Anlageneffizienz durch vorausschauende Wartung steigern. Darüber hinaus erstreckt sich die Fähigkeit zur Vorhersage auch auf die Nachfrageprognose und das Bestandsmanagement, sodass Unternehmen ihre Ressourcen und Lagerhaltungskosten optimieren können.
Wo kann KI in der Verpackungsindustrie zum Einsatz kommen?
Design
- Optimierung der Materialauswahl und -nutzung, z. B. Rohstoffauswahl / Biomasse / Rest- und Nebenstoffe
- Simulation bzw. Vorhersage Materialeigenschaften
- Identifikation des Optimierungspotentials bestehender Verpackungen
- Lebenszyklusanalysen zur Erfolgskontrolle oder begleitend, z. B. Tool zur Unterstützung bei CO2-Bilanz
- Shelf-life Modelling, für neue Lebensmittel, wie bspw. vegane Alternativen fehlen erforderlichen Daten
Produktion
- Energieverbrauch überwachen und minimieren
- Anlageneffizienz durch vorausschauende Wartung steigern
- Qualitätskontrolle: Fehlererkennung mithilfe visueller Systeme
Distribution
- Vorhersage von Verbrauchertrends und Nachfrageprognose
- Optimierung des Bestandmanagements:
Vermeidung von Überproduktion und Lagerüberschüssen
End of Life
- Materialerkennung auf Sortierbändern
- Sortierung mit KI-ausgestatteten robotischen Armen
- Prüfung Rezyklatqualität
Herausforderungen beim Einsatz von KI
Trotz der zahlreichen Vorteile und Anwendungsmöglichkeiten der KI in der Verpackungsindustrie hob Schmid auch die bestehenden Herausforderungen hervor. Dazu zählen die Verfügbarkeit und Sicherheit von Daten, die Grenzen der Modelle und Technologien sowie die Notwendigkeit qualifizierten Personals für Design, Implementierung und Wartung der KI-Systeme. „Die Integration von KI-Technologie in den Verpackungsbetrieb erfordert teils erhebliche Vorabinvestitionen in Infrastruktur, Software und Schulungen, bevor die Vorteile gewinnbringend genutzt werden können“, betonte Schmid. Dies stellt vor allem kleinere Unternehmen mit begrenzten Ressourcen, sowohl monetär als auch personell, vor Herausforderungen.
Außerdem sind die meisten heutigen Modelle des Machine- oder auch Deep-Learnings jeweils nur für eine bestimmte Frage in einer bestimmten Umgebung konzipiert, sodass jedes Mal, wenn ein neues Problem identifiziert wird, auch ein neues Modell konstruiert werden muss – ein Aufwand, den Unternehmen in den meisten Fällen scheuen werden.