Hier wird Makel zur Marke

Wie beschädigte Verpackung zum Geschäftsmodell werden kann

Packung Wonky Coffee auf Frühstückstisch, zusammen mit Teller mit Croissonts.
Was es früher aufgrund kleinerer Makel nicht an den Point of Sale schaffen durfte, wird nun umverpackt und unter der Marke Wonky Coffee verkauft.

"Wonky kann man als schräg, merkwürdig, wackelig oder unperfekt übersetzen, unter einem "Wonk" kann man aber auch einen Streber oder einen Nerd verstehen. Laurence Stevens und Harrison Dark haben ihr Start-up trotzdem "Wonky Coffee" genannt - oder gerade deswegen.

Die Geschichte des britischen Unternehmens beginnt vor knapp fünf Jahren im Corona-Lockdown. Laurence und Harrison kennen sich seit sie acht Jahre alt sind, sind beste Freunde, wohnen zusammen in einer Londoner WG. Harrison hat gerade seinen Abschluss gemacht, während Laurence’ Job im Gastgewerbe aufgrund des Lockdowns auf Eis liegt. In einer riesigen leeren Markthalle kommt ihnen die Idee, ein Versandbusiness zu starten, und zwar mit einem Abo-Angebot an selbst geröstetem Craft Coffee.

Laurence und Harrison beschäftigen sich mit dem Kaffeemarkt, sitzen eines Tages mit einem großen Kaffeeröster zusammen, auf dem Tisch eine Sammlung eingedellter Kaffeekapseln. „Wir fragten den Röster danach, der uns erläuterte, dass sie Monat für Monat Millionen von Kaffeekapseln produzierten und zigtausende davon es nicht in den Handel schaffen, da die Supermärkte und die Marken sie ablehnen würden, wenn sie kleine Schönheitsfehler haben“, berichtet Laurence. „Wir schwenkten sofort um mit unserem Geschäftsmodell und wollten versuchen, diese zu verkaufen“, ergänzt Harrison.

Eine Hand gießt Kaffee in ein Glas, danben eine Packung mit Wonky Coffee.
Mittlerweile kann Wonky Coffee auf ein Netzwerk von weltweit 300 Röstern zurückgreifen.

Kaffeekapseln mit kleinen Schönheitsfehlern

Startkapital für Wonky Coffee. Die Palette mit 30.000 Kapseln Ausschuss bekamen Laurence und Harrison von besagtem Röster geschenkt, schleppten die ganze Ware in ihr Londoner Appartement im 4. Stock, sortierten diejenigen heraus, die noch gut funktionieren sollten, packten sie in Schachteln mit je 100 Stück, boten sie über Facebook Marketplace an und lieferten sie selbst mit dem Fahrrad in der Londoner Nachbarschaft aus.

Was wie eine verrückte Corona-Idee klingt, wurde nach und nach zu einem realistischen Geschäftsmodell, je mehr Laurence und Harrison sich damit beschäftigten. Der europäische Markt für Kaffeepads und Kaffeekapseln wird auf ein Volumen von jährlich 16 Mrd. USD geschätzt und soll bis 2029 jedes Jahr um 6,5 % wachsen. „Je nach Kaffeeröster sind zwei bis acht Prozent der Produktion Ausschuss. Dabei kann es sich um eingedellte Kaffeekapseln handeln, um fehlgedruckte Verpackungen, um Kapseln, die etwas zu wenig oder etwas zu viel befüllt sind oder auch um ausgelaufene Produkte oder Saisonartikel.“

Wonky Coffee hat heute 300 Röster weltweit, mit denen man im Austausch steht, von hoch spezialisierten Craft Coffeemakern bis hin zu großen internationalen Marken. So kann auch der Holiday Blend von Starbucks nach der Weihnachtszeit in einer Wonky-Box landen. „Die genauen Anteile haben wir nicht ausgewertet, aber der Teil unserer Produkte, bei denen die Kapsel nur leicht eingedellt, die Umverpackung beschädigt oder falsch bedruckt ist, ist immens“, erläutert Harrison. „Einmal haben wir sogar vier Millionen eigentlich perfekte Kaffeekapseln bekommen, da der Hersteller den Blauton der Verpackung verändert hat.“

Was mit den unperfekten Kaffeekapseln bisher passierte, bevor es Wonky Coffee gab? Sie wurden vernichtet – je nach Hersteller entweder komplett entsorgt oder entleert und das Aluminium recycelt. „Der Kaffee aber, der schon den ganzen Prozess von der Kaffeekirsche im Ursprung bis zum fertigen Produkt durchlaufen hat, wurde in allen Fällen vernichtet“, erklärt Harrison.

Die Welt wird künftig noch mehr wonky

V. l. n. r.: Harrison Dark und Laurence Stevens haben die Idee für Wonky während der Coronapandemie entwickelt.
V. l. n. r.: Harrison Dark und Laurence Stevens haben die Idee für Wonky während der Coronapandemie entwickelt.

Für Laurence und Harrison war Wonky Coffee nicht der erste Start-up-Versuch, auch an anderen Ideen haben sie sich bereits versucht, die aber einfach nicht fliegen wollten. Mit Wonky hat man dagegen einen Nerv getroffen. Aus der gemeinsamen WG ist die „Kaffeekapselküche“ mittlerweile in die ehemalige Garage von Laurence’ Oma umgezogen, die man in ein Lebensmittel-Packzentrum umgewandelt hat, in der Laurence’ Vater, Mutter und Schwester Qualitätskontrolle, Sortierung und Umpacken im Griff haben, während inzwischen professionelle Logistikpartner in UK und den Niederlanden Lagerung und Auslieferung übernehmen.

Aus dem Logistikcenter in den Niederlanden adressiert man seit Anfang Mai 2025 auch den deutschen Markt, bietet in Deutschland wie auch in allen anderen relevanten Märkten Kontinentaleuropas Kaffeekapseln und Eiskaffee an. Schweizer Schokolade und belgische Pralinen, die man in England ebenfalls im Sortiment hat, sollen bis Ende des Jahres auch nach Deutschland kommen. Was an Schweizer Schokolade und belgischen Pralinen wonky sein kann? Auch da ist es häufig die Verpackung, es sind Sortimentsumstellungen der Markenartikler oder es ist die Praline, die nicht perfekt rund ist. Letztlich ist es der Anspruch der Marken, der Anspruch des Handels und der Anspruch des Kunden, der ein Produkt genauso erwartet, wie das Foto auf der Verpackung es verspricht. Und dann gibt es da die Kunden von Wonky Coffee, die sich freuen, wenn in einer „Lucky Dip-Box“ zehn bis 15 verschiedene Sorten sind, die vielleicht etwas angedellt bunt gemischt das gesamte Spektrum von Kaffeearomen umspannen können.

Bedenken, dass ihnen die Ware ausgehen könnte, haben die Gründer nicht. Zu riesig ist das Produktionsvolumen, zu beachtlich die Ausschussquote und zu groß die zusätzlichen Möglichkeiten. „Als nächste Schritte wollen wir einerseits unsere Logistik in Europa direkt in den jeweiligen Zielmärkten verankern, anderseits unser Produktsortiment weiter ausweiten. Wonky Kekse, Süßwaren, Tee – Wonky alles. Wir haben schon die Domain wonky.com reserviert und es geht immer nur darum, ausreichend Menge zu finden und die Unternehmen davon zu überzeugen, mit uns zu arbeiten. Und zum Dritten glauben wir daran, dass unsere Produkte auch ihren Platz im Supermarkt-Regal finden können. Beispielsweise den Wonky Eiskaffee haben wir so entwickelt, dass er fast schon nicht mehr wonky ist“, blickt Laurence in die Zukunft. Einkauf, Produktentwicklung, Marketing, Vertrieb: Das kleine Team von Wonky Coffee macht dies alles inhouse, mit eigener Manpower und durch einen versierten Umgang mit ChatGPT. „Angesichts des riesigen Marktes haben wir in Europa noch nicht einmal an der Oberfläche gekratzt“, unterstreicht Harrison.

Über Knox

Knox ist eine Unternehmens- und Personalberatungs-Gesellschaft, deren Engagement der Verpackungs- und Druckindustrie gilt, sei es in der Produktion, im Handel oder im Dienstleistungsbereich. Das Team von Knox berät seit nahezu 20 Jahren in Deutschland, Europa und darüber hinaus Unternehmen in diesem Branchenumfeld bei strategischen Herausforderungen, insbesondere auch durch die umfängliche Betreuung und den erfolgreichen Abschluss von Unternehmenstransaktionen.

Auf Mission – ohne missionarischen Unterton

All das haben die beiden Gründer mit 5.000 britischen Pfund aufgebaut – dem Erlös, den sie aus der ersten Palette Kaffeekapseln erwirtschaftet haben. Und das ist auch die Empfehlung von Laurence an andere Gründer: „Macht es einfach. Verbringt nicht eure Zeit damit, Finanzmitteln hinterherzurennen. Überlegt euch eine gute Geschäftsidee, besorgt euch die Produkte und verkauft sie! Ihr braucht keine Agentur, um dies oder das zu tun, eignet euch die Dinge an und macht sie selbst!“

Was aus der Corona-Idee von Laurence und Harrison entstanden ist, ist ein wachstumsstarkes Unternehmen mit beachtlichem ökologischem Impact. „Ich möchte nicht nur auf dem Ökogedanken rumreiten“, so Harrison. „Wir sind nur zwei normale Jungs, mit einem normalen Background, wir sind nicht die Typen, die bei Protesten der Extinction Rebellion mitlaufen. Aber wir haben erkannt, dass es hier eine riesige Menge an Müll gibt, die wirklich, wirklich unnötig ist. Wir haben uns die ernsthafte Mission gesetzt, diesen Müll massiv zu reduzieren. Wir wollen Spaß haben, wir wollen Geld dabei verdienen und wir wollen ein wirtschaftlich erfolgreiches großes Unternehmen damit aufbauen. Aber der für uns dahinterliegende Treiber ist, dass wir uns die Aufgabe gesetzt haben, Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen und zu reduzieren.“

„Ich würde gern all die Unternehmen da draußen aufrufen, sich ihren Ausschuss anzuschauen“, hakt Laurence ein. „Sprecht mit euren Produktionsleitern, fragt die Leute in der Halle, rechnet hoch, wie viel Ausschuss in einem Jahr zusammenkommt. Und überlegt, ob ihr das verkaufen könnt, überlegt, ob ihr etwas Besseres damit machen könnt, als es zu entsorgen. Und wenn nicht, dann meldet euch bei uns.“

Auch wenn es nicht gleich die erste Start-up-Idee war, die Laurence und Harrison zum Fliegen gebracht haben: Mit Wonky sind sie dabei, für Unperfektes eine Marke und einen Markt zu schaffen – neu umverpackt – und manchmal mit neuen Tippfehlern auf der trendigen Verpackung. Aber bei einem Wonky-Produkt gehört das ja fast zum guten Ton ...

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