Darstellung Landschaft mit Fluss, Bäumen, LKWs mit Kartonladungen.

Nachhaltig: Die Recyclingrate bei Karton soll europaweit bis 2030 auf 90 % steigen. (Bild: Dalle 3/Open AI)

Winfried Mühling
Winfried Mühling ist Director of Marketing & Communication beim Branchenverband Pro Carton. (Bild: Pro Carton)

Die Stimmung bei den Kartonherstellern ist vorsichtig optimistisch. Natürlich macht es auch ihnen zu schaffen, dass die Energiepreise gestiegen sind, der deutsche Markt schwächelt und die diversen Krisenherde in der Welt den Absatz negativ beeinflussen. Aber auf der anderen Seite gibt es viele Argumente, die für Karton als die Verpackung der Zukunft sprechen.

Das Wichtigste ist: Verbraucher schätzen den Packstoff. Mit Karton assoziieren sie „Nachhaltigkeit“ wie „Recyclingfähigkeit“. Vor allem letztgenannter Punkt ist relevant. Das belegt die Studie „Rethinking Packaging“, die der Branchenverband Pro Carton durchführen ließ. Dabei wurden 5.000 Verbraucher und Verbraucherinnen europaweit befragt. Mehr als zwei Drittel von ihnen, genauer gesagt 70 %, gaben an, dass Recyclingfähigkeit für sie wichtig ist. „Es steht außer Frage. Die Bevölkerung will weg von einer linearen zu einer zirkulären Wirtschaft. Wir sind mit unserer Industrie hier einer der Vorreiter. Die Recyclingrate bei Karton/Faltschachteln beträgt in Europa mittlerweile 83 % und in Deutschland sogar 86 %“, sagt Horst Bittermann, Director General bei Pro Carton. Bis 2030 sollen sogar 90 % in Europa wiederverwertet werden, entsprechend dem Ziel von 4evergreen, einer branchenübergreifenden Allianz der gesamten Wertschöpfungskette in Europa.

Am liebsten Karton und Wellpappe

Die Menschen haben klare Präferenzen, wenn es um das Verpackungsmaterial geht. Laut der Studie haben Wellpappe und Karton mit 90 % beziehungsweise 87 % die höchsten Zustimmungswerte aller Packstoffe. Ein klares Votum und nicht zuletzt ein Beleg dafür, dass die Sammel- und Recyclingaktivitäten für Karton akzeptiert werden. Es ist ein System, das über Jahrzehnte hinweg aufgebaut wurde. Ein Investment, das sich jetzt bezahlt macht. Zumal die Argumente pro Karton unschlagbar sind. Die zur Herstellung von Verpackungen eingesetzten Fasern werden aus nachwachsenden Rohstoffen (Holzfasern und Zellulose beziehungsweise aufbereitetem Altpapier) gewonnen. Sie stammen in Europa aus einer nachhaltigen und meist zertifizierten Forstwirtschaft (FSC, PEFC). Dafür wurde in den vergangenen Jahrzehnten kräftig aufgeforstet. Die Wälder speichern CO2. Das von den Bäumen aufgenommene CO2 bleibt über den gesamten Lebensweg der Holzfaser, also auch im Karton der Faltschachtel sowie über den Altpapier-Recyclingprozess, gebunden. Davon abgesehen sind ein beträchtlicher Teil des für die Herstellung von Karton verwendeten Holzes Reste aus der Möbel- und Bauindustrie oder Durchforstungsholz.

Grafik: Die Kartonindustrie übernimmt ihre Verantwortung zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in Europa.
Die Kartonindustrie übernimmt ihre Verantwortung zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft in Europa. (Bild: Pro Carton)

INTERVIEW

Horst Bittermann
Horst Bittermann ist seit 2022 Director General beim Branchenverband Pro Carton. (Bild: Pro Carton)

Horst Bittermann im Gespräch mit neue verpackung

neue verpackung: Herr Bittermann, Ende November 2024 hat das EU-Parlament das Regelwerk der PPWR angenommen: Ihre ersten Gedanken?
Horst Bittermann: Gott sei Dank! Die Einigung zu den europaweit zumindest teilweise einheitlichen Regelungen des Verpackungsmarktes ist ein Meilenstein für unsere Industrie. Die faserbasierte Verpackungsindustrie begrüßt ausdrücklich die Rechtssicherheit, die damit geschaffen wird. Nur so kann unsere Industrie weiter in die grüne Transformation investieren und in Innovationen von nachhaltigen, erneuerbaren und tatsächlich recycelten Verpackungen, um andere Verpackungen zu ersetzen und damit zur Reduktion von CO2-Emissionen in Europa erheblich beizutragen.

neue verpackung: Wie werten Sie das Regelwerk mit Blick auf die Papier- und Kartonhersteller?
Bittermann: Das Hauptziel der Packaging und Packaging Waste Regulation (PPWR) ist der Umbau von einer linearen zu einer zirkulären Verpackungswelt. Alle Verpackungen, egal aus welchem Material diese hergestellt sind, müssen bis 2030 zumindest 70 % recyclingfähig sein und bis 2035 mehr als 55 % tatsächlich recycelt werden. Die faserbasierte Verpackungsindustrie hat seit Jahrzehnten bereits daran gearbeitet, weil wir uns aus dem grünen Wald heraus entwickelt haben und deshalb die Umwelt immer im Fokus stand. Und wir waren und sind damit erfolgreich mit einer europaweiten Recyclingrate von über 83 % (2022 Eurostat). Unsere Verpackungen bestehen bereits jetzt aus 77 % sekundären Rohstoffen oder einfacher ausgedrückt aus Altpapier. Kritisch sehe ich allerdings die Einstellung zu recycelten Verpackungen, denn die sind kein Müll, sondern wertvolle Rohstoffe, eben sekundäre Rohstoffe, und genau dies soll durch die PPWR gestärkt werden sowie ein noch besser funktionierender EU-Binnenmarkt entstehen. Daher wäre hier auf EU-Ebene und Mitgliedsstaatenebene ein Umdenken erforderlich, nicht Verpackungen per se, sondern Verpackungen, die nicht tatsächlich in der EU recycelt werden, sollten ein Reduktionsziel haben und strikt limitiert werden, egal aus welchem Material.

neue verpackung: Mit der PPWR herrscht nun Klarheit. Wird das Regelwerk zu einem Investitions­booster?
Bittermann: Der Teufel liegt wie immer im Detail und die wichtigen Details werden erst durch delegierte Rechtsakte – Secondary Legislation – in den nächsten Jahren klar geregelt. Daher sind wir noch nicht ganz bei der wichtigen Rechtssicherheit und Planbarkeit für Investitionen und Innovationen. Die Zeit bis zur Umsetzung ab 2030 wird daher knapp, um die Ziele der PPWR für alle Verpackungen zu erreichen. Investitionen sehe ich vor allem in Recycling-Infrastrukturen und in der Logistik sowie in Produktionsanlagen, um nachhaltige Verpackungen derart zu gestalten, dass diese nicht-nachhaltige Verpackungen ersetzen können und somit die Recyclingquote erhöhen und den Carbon-Footprint senken  – für die Umwelt und uns Menschen.

Fast unendlich recycelbar

Die Kartonverpackung ist nahezu unerreicht, wenn es um die Recyclingfähigkeit geht, so eine Studie der TU Graz. Verpackungsmaterial auf Holzfaserbasis, also Papier, Pappe, Karton und Faltschachteln, lässt sich über 25-mal mit geringem oder keinem Verlust an Materialintegrität recyceln. Die mechanischen Eigenschaften des Materials, einschließlich seiner Festigkeit und Druckbeständigkeit, verändern sich nur wenig. Auch die Quellfähigkeit der Faser zeigt keinen negativen Trend. Insofern ist es keine Überraschung, dass sich Verbraucher und Verbraucherinnen bei identischen Produkten nach der Verpackung richten – und dabei durchaus einen Markenwechsel in Betracht ziehen. Winfried Mühling, Director of Marketing & Communication bei Pro Carton: „Die Verpackung spielt eine immer wichtigere Rolle für nachhaltige Kundenloyalität. 41 % der Verbraucher in Europa gaben in unserer aktuellen Konsumentenbefragung an, dass sie nur wegen der Verpackung in den letzten zwölf Monaten einen Markenwechsel vollzogen haben. Bei den 18- bis 29-Jährigen lag dieser Anteil mit deutlich über 50 % noch höher.“ Und: Für Nachhaltigkeit greifen die Menschen auch tiefer in die Tasche.

Ein Käuferverhalten, das Folgen für den Handel wie die Markenartikler hat. Die Zahl der Unternehmen, die ihre Verpackungskonzepte umweltfreundlicher gestaltet haben, ist beträchtlich. Und es werden immer mehr. So vertraut Amazon auf innovative Versandtaschen aus Papier, die gleichzeitig den Platzbedarf reduzieren. Oder Google: 2023 verkaufte der Hightech-Riese allein zehn Mio. Pixel-Handys. Plus viele Wearables. Auch für sie gibt es neue Verpackungen: aus Papier und aus recyceltem und FSC-zertifiziertem Material. Procter & Gamble hingegen will bis 2030 alle Verbraucherverpackungen recycelbar machen. Weitere Beispiele sind Ikea mit Transportschutz aus Fibre-Based-Materialien sowie die Waschmittelverpackung vieler Handels- und Kundeneigenmarken. Viel Bewegung ist auch im Lebensmittelsektor. So hat Milka Mitte 2024 damit begonnen, eine neue Papierverpackung für das Tafelportfolio zu testen. Nestlé hat bei Smarties auf Papierverpackung umgestellt, Ritter Sport arbeitet daran. Das Potenzial gerade im FMCG-Bereich ist riesig. Das belegt der „Material Change Index” des Forschungsunternehmens Retail Economics, nach der 48 % der Lebensmittel und Getränke in deutschen Supermärkten unnötig in Kunststoff verpackt sind. Faserbasierte Lösungen können ein Ersatz sein.

Kartonverpackungen sind bereits fit für die Verpackungsverordnung PPWR (s. Interview). „Auch wenn es noch etwas dauern wird, bis alle Details geklärt sind, so gibt es Anwendungen, die zeitnah  und mit eher überschaubarem Investment realisierbar sind“, sagt Horst Bittermann. So beim Obst- und Gemüsebedarf. Ab 2030 darf hier kein Plastik mehr zum Einsatz kommen. Als Alternative bleiben faserbasierte Verpackungen. Oder sogenannte „Multi-Packs“, wenn beispielsweise drei oder vier Wasserflaschen von einer Halterung aus Karton fixiert sind. Kurz: Karton gehört die Zukunft.

Karton in seiner schönsten Form

Der European Carton Excellence Award (ECEA) ist ein prestigeträchtiger Wettbewerb für innovative Kartonverpackungen. Er zeigt eindrucksvoll, wie vielseitig und kreativ das Packungsmaterial eingesetzt werden kann. Veranstaltet wird der ECEA von Pro Carton und der European Carton Makers Association (ECMA). Einreicher des ECEA kommen aus der gesamten Lieferkette. Eine renommierte Jury aus Verpackungsexperten bewertet die Arbeiten nach strengen Kriterien wie Grafik- und Strukturdesign, Produktionstechniken, Kosteneffizienz, Ökologie, Nachhaltigkeit, Innovation und Komfort. 2024 galt es, rund 100 Einreichungen zu bewerten.

Pro Carton arbeitet seit vielen Jahren auch sehr erfolgreich mit Universitäten in Europa zusammen. 2024 wurden mehr als 850 Arbeiten von mehr als 160 führenden Designhochschulen aus 25 Ländern für den Pro Carton Young Designers Award eingereicht. Der Verband ist hierbei jedes Jahr mit mehr als 2.000 Studenten in Kontakt und bildet auf diese Weise einen wachsenden Pool junger Design-Talente.

Das ist Pro Carton

Pro Carton ist die europäische Vereinigung der Karton- und Faltschachtelindustrie. Ihr Ziel ist es, den Karton und die Faltschachtel als nachhaltiges Verpackungsmedium für Handel, Markenartikler und Konsumenten zu fördern. Denn der Karton ist das Verpackungs­material der Gegenwart und der Zukunft, er ist ein klares Bekenntnis zur Nachhaltigkeit und zur Natur. Viele Millionen Konsumenten überzeugt seine einzigartige Kreislaufwirtschaft und es werden täglich mehr. Die von Verbrauchern immer stärker bevorzugte Kartonverpackung (Faltschachtel) unterstützt die Wertigkeit der Marke, fördert den Absatz am POS und schützt Produkt und Umwelt. Karton in seiner schönsten und kreativsten Form zeichnet der begehrte European Carton Excellence Award aus, an dem sich jedes Jahr führende Markenartikler, Handelsketten, Designer und Verpackungshersteller beteiligen. Der Verband steht in regelmäßigem Austausch mit den genannten Stakeholdern. Darüber hinaus unterhält das Pro Carton-Management durch Vorlesungen und Informationsaustausch enge Beziehungen zu Universitäten und Fachhochschulen. Pro Carton fördert außerdem durch Interviews und Diskussionsrunden den Dialog zu den Medien sowie zu relevanten Institutionen auf politischer Ebene.

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